Foodora und Deliveroo: Totale Flexibilisierung

Interview von Gitta Düperthal

Die Fahrradkurierin ist beschäftigt bei „Foodora“. Als Gewerkschafterin der anarcho-syndikalistischen Föderation Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter- Union (FAU) ist sie Mitinitiatorin der Deliverunion-Kampagne, einer länderübergreifenden Protestbewegung von Essenslieferanten, bei der vor allem Fahrer von Deliveroo und Foodora mitmachen. Im folgenden Gespräch vermittelt sie Einblicke in eine neue prekäre Arbeitswelt, in der sich viele von Auftrag zu Auftrag hangeln müssen und eine Organisierung der Arbeiterinnen und Arbeiter nur langsam Gestalt annimmt.

Seit November 2015 arbeiten Sie als Fahrradkurierin bei Foodora. Können Sie einen ganz normalen Arbeitstag schildern, welche Tätigkeiten er beinhaltet, wann er beginnt, was den Stress ausmacht und wieviel Geld Sie am Ende des Tages verdient haben?

Es ist schwierig, so ganz allgemein zu schildern, wann der Arbeitstag bei Foodora anfängt und wann er aufhört, weil es jeden Tag und für jede Person anders abläuft. Nach meiner Kenntnis arbeiten etwa 600 Fahrerinnen und Fahrer derzeit bei der Unternehmensniederlassung in Berlin. Ich habe jetzt immerhin feste Schichten. In den vergangenen zwei Jahren ging es mir genauso wie vielen anderen Kurierinnen und Kurieren: Ein Teil dieser Arbeit besteht immer auch darin, sich selber online Schichten zu organisieren. Schichten dauern im Regelfall zwischen zwei und sechs Stunden – sind also durchaus unterschiedlich lang. Manchmal bekommen wir zum Beispiel zwei kurze Schichten über den ganzen Tag verteilt. Fahrerinnen und Fahrern werden automatisch Schichten zugeteilt. Freitags wird der Plan für die nächste Woche veröffentlicht. Wenn man zu wenige Schichten erhalten hat, ist es möglich, auf einer Internetseite nachzuschauen, ob noch welche frei sind. Oder Du fragst Kolleginnen und Kollegen, ob jemand eine Schicht abzugeben hat. Wenn einem eine Schicht zeitlich nicht passt, kann man versuchen, sie an andere abzugeben – oder gegen eine andere Schicht zu tauschen. Das alles ist besonders dann sehr schwierig, wenn es insgesamt zu wenige Schichten gibt. Dann kommt eine Kurierin nicht auf das Geld, das sie zum Leben braucht. Der Einstiegslohn ist neun Euro. Weil ich länger als ein Jahr dabei bin, bekomme ich mittlerweile 9.50 Euro.

Das klingt nach komplizierter Arbeitsbeschaffung – vor allem so, als ob die Schichten ständig Mangelware sind…

Ja. Vor allem im Frühling und Frühsommer sieht es nicht gut aus. In dieser Jahreszeit gibt es mehr Fahrer, als eigentlich gebraucht werden. Es kann sogar passieren, dass jemand Null Schichten zugeteilt bekommt. So ist es mir im letzten Frühling auch ergangen. Ich musste eine Menge Zeit damit verbringen, überhaupt Schichten zu ergattern.

Weshalb ist es in dieser Jahreszeit so schwierig?

Einerseits haben im Frühjahr und Frühsommer überhaupt mehr Leute Lust so einen Job anzunehmen; andere wollen mehr Schichten fahren als im Winter. Im vergangenen Jahr war es besonders krass. Im Winter wurden zu viele eingestellt. Einer der Chefs hat in dem Zusammenhang von einem „Speckgürtel“ gesprochen, den das Unternehmen sich zugelegt habe. Fakt ist: Bei wärmeren Temperaturen gibt es möglicherweise weniger Bestellungen – und mehr Fahrerinnen und Fahrer brauchen Schichten. Wir werden nur nach der Zeit bezahlt, die wir tatsächlich tätig sind.

Das Unternehmen arbeitet offenbar nach dem Prinzip der größtmöglichen Flexibilisierung von Arbeitskräften. Wie geht es Menschen, die bei Foodora angestellt sind, aber Null Schichten bekommen?

Es ist doch so: Wenn ich den ganzen Monat nicht arbeite, erhalte ich kein Geld. Wenn ich mich dann bei Foodora melde, würde ich zumindest eine Schicht bekommen. Theoretisch kann man bei Foodora montags bis sonntags zwischen 11.30 bis 23 Uhr arbeiten. Das Unternehmen schließt mit den Beschäftigten jeweils einen Vertrag ab, der eine Mindeststundenanzahl erhält. Das Problem dabei ist: Danach ist man gehalten, jede Schicht anzunehmen, auch wenn sie einem zeitlich nicht passt. Da ist es dann mit der versprochenen Flexibilität, was unsere Arbeitsbedingungen betrifft, nicht mehr weit her.

 Was könnte einem Angestellten schlimmstenfalls passieren – wenn er „unpassende“ Schichten zugeteilt bekommt?

Zum Beispiel erhält jemand eine Zweistunden-Schicht gegen Mittag in Moabit, dann vier Stunden Pause, abends geht es weiter mit zwei Stunden in Schöneberg. Der Tag ist damit gelaufen. Man kann gar nichts anderes an diesem Tag unternehmen, denn es gilt obendrein die Entfernung zwischen den beiden Bezirken zurückzulegen. Es ist extrem unbeliebt, wenn einem so etwas bei der automatischen Schichtenzuteilung passiert – und zwar aus gutem Grund: Danach geht man mit noch nicht mal 40 Euro in der Tasche nach Hause.

Die Wartezeiten zwischen den Schichten, sowie die Tätigkeit des Schichten-Organisierens gehören nicht zur Arbeitszeit?

Nein, jedenfalls werden wir für diesen Teil der Arbeit nicht bezahlt. Und genau das ist ein großes Problem für Menschen, die keine festen Schichten haben. Sie müssen erst mal ein oder zwei Stunden zu Anfang der Woche damit zubringen, sich überhaupt welche zu organisieren. Feste Schichten zu haben, bedeutet in meinem Fall beispielsweise 20 Stunden in der Woche regelmäßig fest zugeteilt zu haben. Es gibt übrigens auch Vollzeitbeschäftigte, aber nur wenige.

Wieso kamst Du darauf, diesen Job zu machen?

Durch mein Studium habe ich viel am Schreibtisch gesessen. Ich dachte deshalb, dass das Radfahren, und die sportliche Bewegung dadurch, eine gute Ergänzung dazu sein könnte. Wenn man das als Minijob macht und nur wenig Geld braucht, um etwa das BAföG zu ergänzen, könnte es im Prinzip ein schöner Ausgleichsjob sein. Aber selbst dann ist es, wie gesagt, oft schwierig, genug Geld zu verdienen. Und sobald man das als Teilzeitjob macht, ist es sehr anstrengend. Es gibt kaum Zeit, sich zu erholen.

Was ist im Fall von Krankheit?

Dann wird nach der gesetzlichen Mindestregelung bezahlt. Falls man noch keine Schichten für die Woche hatte, wird der Durchschnitt des Tageslohns gezahlt, den man in der letzten Zeit hatte. Bei Foodora muss am ersten Tag der Krankheit ein ärztliches Attest vorliegen, selbst wenn man nur eine zwei-Stunden-Schicht hatte: Kulanz von drei Tagen, wie bei einigen anderen Arbeitgebern gibt es dort nicht.

Wie läuft die Tätigkeit ab?    

Aus der Sicht des Fahrers sieht es so aus: Mit dem Fahrrad und allen Arbeitsmaterialien – also Box oder Rucksack, Klamotten mit Logo, usw. – muss man sich zu einem bestimmten Anlaufpunkt im Bezirk begeben, und dort einloggen, um anzuzeigen, dass man die Arbeit aufnimmt. Da wartet man dann auf den ersten Auftrag und fährt los. Bei Foodora wird ab diesem Zeitpunkt dann der Stundenlohn gezahlt, egal ob Du einen oder drei Aufträge hast. Bei Deliveroo sieht es anders aus: Gibt es keinen Auftrag während dieser Zeit, wird nichts gezahlt.

Wann wird es besonders stressig in dem Job?

Wenn in einem Bezirk zu wenig Fahrer eingeteilt sind oder es plötzlich zu viele Aufträge gibt, ist es problematisch. Es können auch Fehler im System auftreten. Zu Anfang ist alles gut; man kommt pünktlich zum ersten Restaurant, und bringt das Essen zum Kunden. Aber wenig später passieren plötzlich Dinge, auf die die Fahrerin oder der Fahrer keinen Einfluss hat. Die Folge sind Verzögerungen. Das Essen ist in einem Restaurant zu spät fertig oder es steht schon zu lange rum und ist bereits kalt. Wenn sich die Probleme dann stapeln, steht plötzlich in deiner App: das Essen hätte im Restaurant schon vor 30 Minuten abgeholt werden sollen. Die Fahrer kriegen dann die schlechte Laune vom Restaurant ab und von den Kunden erst recht. Nur wenige Restaurants und Kunden wissen aber, dass die Verzögerung nicht an der Fahrerin liegt. Das ganze Procedere ist von einem Riesenstress begleitet. Die Beschwerden nehmen weitere Zeit weg. Die Kunden haben das Essen schon online bezahlt, und sind ärgerlich. Wir können ihnen aber nicht helfen, weil wir keine Möglichkeit haben, den Kundendienst telefonisch zu erreichen. Wir können nur per WhatsApp die dafür zuständigen „Dispatcher“ kontaktieren, die aber auch überlastet sind. Weshalb sich alles weiter nach hinten schiebt – und der nächste Auftrag entsprechend erst noch später erledigt werden kann, was dann wieder zu neuem Ärger führt. Wir Fahrer können da gar nichts ausrichten, bekommen aber die Wut darüber ab. Denn wir führen nur die Befehle der App aus, und sind folglich extrem unflexibel.

Es gibt noch weiteren Stress…?

Genau, wenn man sich länger im Restaurant aufhalten muss, etwa weil das Essen noch nicht fertig ist, oder aus irgendwelchen Gründen beim Kunden, dann fängt die App nach wenigen Minuten an zu piepen, gibt laute Signalgeräusche von sich. Mit diesen Geräuschen werden wir unter anderem auch aufgefordert, die Restaurants zu “verpetzen”, wenn das Essen nicht rechtzeitig fertig ist. Das ständige Piepsen setzt also sowohl uns, als auch die Menschen, die in den Restaurants arbeiten, konstant unter Zeitdruck. Weiterhin gibt es ein Sanktions- und Abmahnungssystem in Form von drei sogenannten „strikes“: Beim ersten „strike“ wird verwarnt, beim zweiten „zum Gespräch ins Büro eingeladen“, beim dritten kann man gefeuert werden. Das System soll auch greifen, wenn jemand zum Beispiel nicht die Foodora-Klamotten trägt, sondern private Kleidung.

Wie funktioniert das System insgesamt?

Zu Beginn drückt man „Auftrag angenommen“, erhält dann erst die Adresse vom Restaurant. Dann gibt man Bescheid, dass man das Essen abgeholt hat, und erst daraufhin erhält man die Adresse des Kunden.

Was geschieht, wenn Sie mit dem Fahrrad hinfallen?

Wenn das Essen heruntergefallen und „hinüber“ ist, muss ich via WhatsApp Bescheid sagen. Dann muss ich warten, bis dieser Auftrag von den Dispatchern aus der App gelöscht wurde, und dann erst kann ich den nächsten annehmen.

Insgesamt klingt das nervenaufreibend. Wie lange machen Leute diesen Job?

Viele sind nicht länger als ein halbes Jahr dabei. Mit der Zeit merkt man, dass sich der Job kaum lohnt, weil viele Kosten anfallen, über die man am Anfang gar nicht nachdenkt. Zum Beispiel fallen viele hohe Reparaturkosten für das Fahrrad an, wenn man monatelang bei jedem Wetter unterwegs ist. Reifen und Schläuche gehen kaputt; auch größere Sachen wie die Kette oder die Bremse. Einen großen Teil des Lohns muss man dann im Zweifelsfall dafür ausgeben, um überhaupt wieder weiter arbeiten zu können. Ich musste schon das Pedal und dessen Innenlager austauschen, sowie die Kettenblätter und die Kette: Materialkosten von etwa 120 Euro. Die Bremsen waren auch hinüber, dafür musste ich erneut mehr als 50 Euro bezahlen, etc. Zu diesem Zeitpunkt hatte ich nur 450 Euro monatlich; davon war ich dann letztlich knapp die Hälfte los. Das Reparieren selber nimmt natürlich auch Arbeitszeit in Anspruch – unbezahlte, versteht sich.

Gibt es aufgrund des Verkehrs Probleme?

Stundenlang im Berliner Straßenverkehr unterwegs zu sein, ist gefährlich. Es gibt Unfälle. Deshalb finde ich es auch unverantwortlich mit einer laut piepsenden App Zeitdruck zu vermitteln, oder mit einem Bonussystem Anreize zu setzen, möglichst schnell zu fahren. So wird der Verkehr noch gefährlicher, als er sowieso schon ist.

Wie funktioniert das Bonussystem?

Es gibt ein Ranking unter Fahrern: Die schnellsten 15 Prozent erhalten einen Euro mehr pro Stunde. All das wird erfasst: Wie viele Aufträge „schafft“ man in der Stunde, wie lange ist man schon im Betrieb, wie oft kommt man zu spät… Obgleich das meiste davon ja gar nicht unter dem Einfluss der Fahrerinnen und Fahrer liegt, wie bereits geschildert. Es soll angeblich ein Leistungsbonus sein: Aber wie viele Aufträge sie erhält, dafür kann die einzelne Fahrerin nichts. Bei Deliveroo wird sowieso nur der einzelne Auftrag bezahlt; die Wartezeit gar nicht. Dort gibt es keinen Stundenlohn. Insofern ist der Anreiz, möglichst schnell zu fahren, noch stärker; um überhaupt auf den Mindestlohn zu kommen.

Es kam angesichts dieser miesen Arbeitsbedingungen Gegenwehr der Beschäftigten auf – was war dafür der Auslöser?

Bei Foodora begann es mit Protesten im Jahre 2016, bei Deliveroo noch früher. Es begann damit, dass wir uns getroffen haben und überlegten, wie wir bessere Bedingungen fordern können. Erst Anfang 2017 sind wir dann zur FAU gegangen. Bei Deliveroo gab es bereits 2015 große Empörung unter den Fahrerinnen und Fahrern, als ihnen der Wochenend-Bonus von etwa 50 Euro gestrichen wurde. Davon hatten die Arbeiterinnen und Arbeiter damals ihren Krankenkassenbeitrag gezahlt. Dann hieß es plötzlich aus heiterem Himmel, der Bonus werde abgeschafft. Da wurden die Leute richtig wütend. Bei Foodora kam Unzufriedenheit auf, weil die Kunden die Möglichkeit bekamen, unsere Wege nachzuverfolgen. Zudem wurden wir von ihnen plötzlich mit Vornamen angeredet: Das Unternehmen hatte auch diese herausgegeben. All das, ohne irgendetwas davon mit uns abzusprechen; wie waren noch nicht mal über die Maßnahme informiert worden. Wir wussten also zunächst gar nicht: Woher kennt der Kunde meinen Namen? Dass unsere Daten an die Kunden herausgegeben wurden, hat dann das Fass zum Überlaufen gebracht.

Muss die Krankenkasse also von den Beschäftigten selber bezahlt werden?

Das kommt auf den Vertrag an. Bei Midi- und Vollzeit-Verträgen beteiligt sich Foodora. Ich habe einen Werkstudenten-Vertrag; mich kostet die Krankenversicherung etwa 90 Euro. Ich verdiene derzeit 850 Euro, damit bleiben mir also nur noch 760 Euro. Arbeiterinnen und Arbeiter bei Deliveroo arbeiten als Selbstständige; da ist es also noch schlechter.

Gibt es Trinkgeld?

Mal bekommt man in einer langen Schicht von fünf Stunden 15 Euro, mal nur zwei. Das ist sehr unterschiedlich und unzuverlässig. Foodora argumentiert mit dem Trinkgeld, um Fahrer und Fahrerinnen anzuwerben. Da heißt es dann: “Verdiene bis zu 13 Euro pro Stunde!”. Aus unserer Sicht ist das nicht zulässig, weil Trinkgeld nicht als Teil des Lohns anzusehen ist.

 

Wie habt ihr euch bisher gewehrt gegen die miesen Arbeitsbedingungen?

Wir haben uns immer besser organisiert und drei Forderungen aufgestellt. Die erste: Wir wollten einen Euro mehr pro Stunde oder pro Auftrag – je nachdem, nach welchem bisherigen System die Fahrer tätig sind. Zweite Forderung: Die Unternehmen sollten die Kosten für alle Arbeitsmittel übernehmen. Wir sind der Meinung, dass uns Fahrräder gestellt werden müssen – zumindest aber muss eine Kompensation dafür gezahlt werden, dass wir eigene Räder nutzen. 35 Cent für Wartungen und Reparaturen pro Kilometer hatten wir gefordert. Die dritte Forderung: Wir wollten mehr Sicherheit in der Schichtplanung. Damit niemand mehr Null Euro erhält.

Um diese Forderungen zu erreichen, gab es schon im vergangenen Jahr Aktionen – welcher Art?

Wir haben im Mai, im Juni und im Juli 2017 in Berlin demonstriert. Im Juli haben wir alte Fahrradschläuche und den ganzen Schrott kaputter Fahrräder vor der Filiale von Deliveroo abgeladen, um unserer Forderung nach Kompensation für die Reparaturkosten Nachdruck zu verleihen. Das Management von Deliveroo mauert nach wie vor. Dort hieß es gewerkschaftsfeindlich: Ihr braucht keine kollektive Interessensvertretung; lasst uns das individuell im Gespräch mit der jeweiligen Fahrerin regeln. Freilich ist das für das Unternehmen einfacher; so hat sich auch das Management in London verhalten.

Haben Sie vor Foodora 2017 auch aus Protest Fahrradschrott abgeladen?

Nein – weil das Unternehmen, nachdem bekannt geworden war, dass wir uns zu dieser Aktion entschlossen hatten, einen Verhandlungstermin anbot. Der Grund dafür war vermutlich auch, dass der Mutterkonzern des Unternehmens „Delivery Hero“ (Lieferheld) just zu dem Zeitpunkt an die Börse ging. Vielleicht wollte man keine negativen Schlagzeilen; jedenfalls gab es dann Verhandlungen.

Was haben die Beschäftigten bei den Verhandlungen erreicht?

Sie scheiterten am Ende. Das Management von Foodora hatte beim ersten Verhandlungstermin im August 2017 zugesagt, einen Gegenvorschlag zu unserem Forderungskatalog zu unterbreiten. Weitere Verhandlungstermine wurden von der Geschäftsleitung dann ständig verschoben. Schlimmer noch, sie nutzte diese Phase, um Verschlechterungen für uns einzuführen: Wir sollten künftig nicht mehr, wie bisher, Schichten bis 48 Stunden vor Schichtbeginn einfach absagen können, sondern müssten uns in jedem Fall selber um einen Tauschpartner bemühen, hieß es. Auch das Bonussystem wurde verschlechtert: Es gilt nun nicht nur bestimmte Bedingungen zu erfüllen, um den Bonus zu erhalten, sondern vor allem besser als die Kollegen zu sein. Was die von uns geforderte Kompensation der Reparaturkosten von 35 Cent pro Kilometer anging: Das Foodora-Angebot beinhaltete nur umgerechnet ca. 5 Cent pro Kilometer, die als Guthaben in bestimmten Fahrradläden gestellt werden wollten. Besonders unpraktisch: Jeweils zum Ende des Monats sollte das Guthaben wieder verfallen. Auf unsere Kosten kämen wir so nicht. All das sollte ab Januar 2018 in Kraft treten; bisher haben wir aber nichts mehr davon gehört. Für uns war das Angebot völlig inakzeptabel. Aber weder in dem Zusammenhang, noch in Bezug auf die anderen Forderungen, zeigte die Geschäftsleitung auch nur die geringste Gesprächsbereitschaft. Wir haben daraufhin die Gespräche abgebrochen. So hatte das keinen Sinn. Nun wird es wieder auf der Straße weitergehen, bis sich etwas konkret verbessert oder die Unternehmen zu echten Verhandlungen bereit sind.

Welche neueren Aktivitäten der Beschäftigten gab es?

 

In Berlin Mitte gibt es einen Raum, wo wir unsere Rucksäcke und Klamotten abholen. Dort hatten wir im Zusammenhang mit einer kleinen Demo Ende November 2017 ein schwarzes Brett aufgehängt, um beispielsweise über die Gewerkschaft zu informieren. Nach zwei Wochen wurde dieses plötzlich wieder abgehängt. Jetzt sind wir dabei, durchzusetzen, dass unser schwarzes Brett hängen bleibt und wir dort Gewerkschaftsaktivitäten bekanntmachen können. Wir planen zudem eine Online-Plattform, auf der Fahrer und Fahrerinnen kollektiv ihre Forderungen sammeln können: Denn es gibt tatsächlich jede Menge mehr Forderungen; mit den genannten drei hatten wir nur angefangen. Die entsprechende “Online-Tarifkommission” könnte die Grundlage für Tarifverhandlungen sein. Sollte Foodora diese dann wieder blockieren, wäre auch ein Streik denkbar. Das hängt aber alles natürlich von der Zustimmung und dem Engagement der Fahrer und Fahrerinnen ab.

 

Weshalb habt ihr euch in der FAU organisiert?

Das hat sich ganz natürlich ergeben. Wenn sich in einem Betrieb schon von selbst Basisgruppen gebildet haben, ist es nur logisch, dass diese sich dann auch in einer basisdemokratischen Gewerkschaft organisieren. Die FAU hat das Ziel, Selbstorganisierung im Betrieb zu unterstützen; die Entscheidungen darüber, was wir fordern und wie wir dafür kämpfen, liegt also letztlich bei den Fahrerinnen und Fahrern selbst. Das ist gerade unter den Bedingungen der so genannten “Gig-Economy” von großem Vorteil: Gerade die Deliveroo-Fahrerinnen und -Fahrer haben sehr untypische, prekäre Bedingungen und müssen sich von Auftrag zu Auftrag hangeln. Zudem ändern sich die Arbeitsbedingungen in beiden Unternehmen ständig; die Fahrerinnen und Fahrer wissen am besten, was die jeweils neueste Änderung für sie bedeutet, und können flexibel darauf reagieren. Trotzdem freuen wir uns natürlich, wenn etwa ver.di sich solidarisch mit unserem Arbeitskampf zeigt.

 

Dabei geht es ja auch um den Tatbestand der Scheinselbstständigkeit. Schützt der Gesetzgeber die Beschäftigten nicht davor?

In anderen europäischen Ländern sind schon viele Deliveroo-Fahrerinnen und -Fahrer vor Gericht gegangen, um sich als Festangestellte einzuklagen. In erster Instanz haben die Gerichte den Arbeiterinnen und Arbeitern Recht gegeben. Aber die Urteile sind noch nicht rechtskräftig; das Unternehmen ist dagegen in Berufung gegangen. Wenn die Deliveroo-Fahrerinnen und -Fahrer das wollen, könnten wir etwas Ähnliches auch hierzulande versuchen.

 

Fahrerinnen und Fahrer sind solidarisch miteinander, werden aber auch durch Bonus-Systeme etc. in Konkurrenz zueinander getrieben…

Viele werden zu Einzelkämpfern gemacht: Am Ende des Tages sind die Beschäftigten jeweils hauptsächlich vereinzelt mit dem Fahrrad in der Stadt unterwegs gewesen. Angesichts dessen finde es doch beeindruckend, wie solidarisch die Arbeiterinnen und Arbeiter dennoch untereinander sind. Wir wollen alles daran setzen, das Bewusstsein zu schaffen und – wo es schon da ist – zu vertiefen, dass wir letztlich alle die gleichen Probleme haben.