Der Sündenfall der Schulprivatisierung in Berlin
Katrin Kusche
In Berlin ist die rot-rot-grüne Landesregierung (R2G-Senat) zum Angriff übergegangen, zum Angriff auf das Gemeineigentum. Sie bedient sich dabei nicht nur der Sprache des Militärs, droht auch, bewährte öffentliche Strukturen zu beschädigen, wenn nicht gar zu zerstören. Dabei bedarf es genau des Gegenteils: nämlich des Aufbaus statt der Zerstörung. Es bedarf der Sanierung und des Neubaus von Schulen, nicht des Ausverkaufs. Der sprachliche Aspekt ist dabei nur ein Nebenschauplatz, verrät aber schon einiges über das Anliegen der Senatsverwaltung.
Bildung ist ein wichtiges Gut. Sie spielte im Berliner Wahlkampf 2016 eine große Rolle und ist bis heute ein unverändert brisantes Thema. Kaputte Schuldächer, bröckelnder Putz, Hausschwamm, defekte Toiletten, gesperrte Turnhallen und fehlende Klassenräume sorgen fast wöchentlich für Schlagzeilen. Aufgebrachte Eltern und eine besorgte Lehrerschaft sitzen den zuständigen Behörden im Nacken. Entsprechend dynamisch und zupackend möchte sich rot-rot-grüne Koalition in Szene setzen. Leider misslingt das derzeit nicht nur sprachlich, sondern auch in der Umsetzung.
Sprachliche Entgleisung
Die Rede ist von der sogenannten Berliner Schulbauoffensive. Das Wort Offensive geht auf das lateinische Wort offendere (offensum) zurück und wird meist mit „anstoßen, verletzen, beschädigen“ übersetzt [1]. Sich derartig militärisch schlagkräftig gebend propagiert der Senat unter diesem Schlagwort ein Programm zur Sanierung und zum Neubau von Schulen für die Jahre 2017 bis 2027. In einem 10-Punkte-Plan [2] zur angestrebten Kooperation zwischen Bezirken und dem Senat im Bereich des Schulwesens tummeln sich weitere militärische Begriffe.
Zur gesamtstädtischen Steuerung beispielsweise wird eine „Task Force Schulbau“ eingerichtet. Der Begriff Task Force stammt aus der Zeit des Zweiten Weltkriegs und stand für einen temporären Zusammenschluss verschiedener Einheiten der US Navy [3]. Als Ziele der neuen Schulbau-Kooperation definiert der genannte 10-Punkte-Plan auf „strategische[r] und operative[r] Ebene“ – man bleibt dem Militärjargon treu –: Kosten zu reduzieren, die Effizienz zu steigern sowie die Planungssicherheit zu erhöhen. Doch worum geht es in Wirklichkeit; was steht hinter diesem martialischen Wortgeklingel?
Ambitionierte Senatspläne
In Berlin wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Das Paradebeispiel ist der Flughafen BER – wenn alles glatt geht, wird er Ende 2020 mit acht Jahren Verspätung und geschätzten Baukosten von zehn Milliarden Euro eröffnet. Ursprünglich vorgesehen war eine Bausumme von einer Milliarde Euro.
Und jetzt sind also die Schulen dran. Für 5,5 Milliarden Euro sollen innerhalb von zehn Jahren zahlreiche der 671 öffentlichen allgemeinbildenden Berliner Schulen [4] saniert und darüber hinaus etliche neu gebaut werden. Die in diesem Zusammenhang herumgeisternden Zahlen reichen von „über 40“ [5] bis zu 59 Neubauten. Der regionale Sender rbb berichtete, dass es Plände für 51 neue Lernorte mit 26.400 neuen Schulplätzen gibt. Insgesamt spreche der Senat von 59 neuen Schulen. Denn zusätzlich zu den oben genannten Schulgebäuden sollen mit Ergänzungs- und Erweiterungsbauten weitere 33.800 Schulplätze geschaffen werden. [6]
Derzeit lernen an öffentlichen allgemeinbildenden Schulen Berlins 315.358 Kinder und Jugendliche. Neben den öffentlichen allgemeinbildenden Schulen gibt es auch noch eine seit Jahren wachsende Zahl allgemeinbildender Privatschulen; im laufenden Schuljahr 2017/18 sind es 146 Schulen, an denen 35.891 Schüler unterrichtet werden [7].
Boomende Schülerzahlen
„Berlin wächst und wird jünger“ überschrieb das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg am 11. Januar seine Pressemitteilung zum Jahresauftakt. [8] Bereits seit dem Jahr 2013 verzeichnet Berlin kontinuierlich wachsende Schülerzahlen [9]. Nachdem jahrelang und – man mag es kaum glauben – auch aktuell noch Schulen umgewidmet, verkauft oder abgerissen wurden und werden, macht sich jetzt zunehmend Panik breit. Wenn selbst im beschaulichen Stadtteil Mahlsdorf-Süd im Sommer 2017 verzweifelte Eltern wegen fehlender Grundschulkapazitäten Protestmärsche durchführen und Lerncontainer in Eigenregie organisieren, dann heißt das: Die Lage ist ernst. Wie entwickelt sich die Schülerzahl von Berlin?
Während der 10-Punkte-Plan bis 2024 einen Bedarf von 70.000 zusätzlichen Schulplätzen für Berlin definiert, nannte Sandra Scheeres, Senatorin für Bildung, Jugend und Familie, bei einer Podiumsdiskussion am 12. Dezember 2017 die Zahl von 86.000 zu schaffenden Plätzen. Eine Bertelsmann-Studie prognostizierte im vergangenen Sommer für die Stadtstaaten der Bundesrepublik Deutschland bis zum Jahre 2030 einen Anstieg der Schülerzahlen um rund 30 Prozent [10].
Die Autoren schränkten im Vorwort allerdings selbst ein, dass es sich um eine „stark vereinfachte Schätzung“ handele, die „keinen Anspruch darauf“ erhebe, „die künftige Entwicklung akkurat vorherzusagen. Aktuell ist noch zweifelhaft, ob die derzeit steigenden Geburtenzahlen sich zu einer dauerhaften Trendwende verfestigen und ob es bei anhaltend hohen Zuwanderungszahlen bleibt.“
Die Studie beruhte auf Bevölkerungsvorausschätzung (Statistisches Bundesamt vom März 2017) und den jüngsten Geburtenzahlen der sogenannten Milupa-Geburtenliste. Eine landeseigene Prognose aus dem Jahr 2016/17 ging für Berlin von einer Erhöhung der Schülerzahl um rund 75.000 innerhalb von neun Jahren bis zum Schuljahr 2025/26 aus, wobei die Entwicklung in den einzelnen Stadtbezirken stark differiert. [11] Dieser Entwicklung – mag auch manches noch etwas nach Glaskugel klingen – steht eine marode Bausubstanz und Ausstattung der Schulen entgegen.
Kaputtgesparte Schulen und Bauämter
Der Ausspruch des früheren Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit, Berlin sei arm, aber sexy, versüßt den Bewohnern der Stadt die Lage seit dem Berliner Bankenskandal nur mäßig. Das Land spart seit dem Desaster, dass es quietscht. Allein den Sanierungsstau im Bereich der öffentlichen Schulen bezifferte der Senat Ende Juni 2016 mit 1,2 bis 1,5 Milliarden Euro [12]. Nicht enthalten darin ist der regelhaft und dauerhaft anfallende Bauunterhaltungsbedarf.
Doch es machen nicht nur marode Schulgebäude schlapp. Die Bauämter der Bezirke wurden über Jahre kleingespart. Wer soll jetzt die Baumaßnahmen umsetzen, zumal die Zahlen berlintypisch immer gewaltiger werden? Mit Grausen denkt man an den BER. Spandaus Bezirksbürgermeister Helmut Kleebank stellte am 12. Oktober 2017 in einem Vortrag die Schul-Investitionsbedarfe bis 2026 dar. Darin waren auch Angaben zum Sanierungsstau der Berliner Schulen enthalten, die sich aus dem sogenannten Gebäudescan aus den Jahren 2015/16 ergeben sollen. Die aufgelaufenen, noch nicht abgearbeiteten Sanierungen beliefen sich demnach sogar auf 1,79 Milliarden Euro [13]. Den Finanzbedarf für den Neubau bezifferte Kleebank mit 2,958 Milliarden, den für den laufenden baulichen Unterhalt mit 1,540 Milliarden Euro.
Angesichts der seit mehr als zehn Jahren eingedampften Mitarbeiterzahlen der Bauämter und Planungsabteilungen (nur Neukölln bildet ein Ausnahme), fühlen sich die meisten Bezirke von der heranrollenden Sanierungs- und Neubaulawine personell überfordert, denn im Schnitt sollen für Schulen pro Jahr berlinweit 550 Millionen Euro verbaut werden. Dies bedeutet eine erhebliche Steigerung gegenüber den Vorjahren. Die tatsächlichen jährlichen Investitionen in den Schulbau Berlin stiegen von 119,7 Millionen Euro im Jahre 2012 auf 162,2 Millionen Euro im Jahr 2016, lagen also deutlich unter dem Plan der „Schulbauoffensivler“. [14].
Für 2017 versprach der Senat, 830 Millionen Euro für den Bau und die Sanierung von Schulen in den Haushalt einzustellen, knapp 530 Millionen Euro direkt aus dem Landeshaushalt, den Rest aus Infrastrukturmitteln und Förderprogrammen. [15] Im Dezember 2017 wusste die Berliner Morgenpost dann jedoch zu berichten: „Geld für Schulen bleibt liegen. Bezirke können Sanierungsmittel nicht verbauen. Finanzsenator sieht aber Fortschritte“ [16].
Bisher nehmen die Berliner Bezirke die Aufgaben des Schulträgers für die öffentlichen Schulen wahr. Ihnen obliegt die Verwaltung und Unterhaltung der äußeren Schulangelegenheiten der allgemeinbildenden Schulen mit Ausnahme zentral verwalteter Schulen. Zu den Aufgaben zählen vor allem Bau, Ausstattung und Unterhaltung. Für die Einrichtung von Klassen und die Zuweisung von Schülern an Schulen sind die Bezirksämter verantwortlich. Sie decken den Sachbedarf, stellen das Verwaltungspersonal und sind für die laufende Verwaltung der Schulen verantwortlich. [17] Mit der „Schuloffensive“ soll nun einiges anders werden.
Um diese Aufgaben zu stemmen, verbleiben nur noch kleinere Sanierungsmaßnahmen bis zu einem Umfang von 5,5 Millionen Euro wie bisher in der Regie der Bezirke. Für Sanierungsprojekte mit einem Umfang von 5,5 bis zehn Millionen Euro gilt das auch. Allerdings können die Bezirke für derartige Projekte das Land auch um Amtshilfe bitten oder überbezirkliche Kooperationen bilden. Sanierungsprojekte über zehn Millionen Euro pro Vorhaben sowie alle Neubauprojekte sollen generell in zentraler Hand liegen.
Im November 2017 beschloss der Rat der Bürgermeister „die Errichtung einer gemeinsamen Geschäftsstelle ‚Schulbauoffensive der Berliner Bezirke (GSB)‘ sowie die Einrichtung“ dreier „Regionalverbünde“. [18] Noch im Sommer 2017 waren statt der Regionalverbünde bis zu vier GmbHs als Hülle für bezirkliche Kooperationen vorgesehen. Die ist jetzt vom Tisch, nicht aber ein anderes Vorhaben, das in Berlin die Gemüter erhitzt: die Gründung einer zentralen Schul-GmbH. Und hier droht in jeder Hinsicht Ungemach.
Schleichende Privatisierung
Rot-Rot-Grün plant, finanziell großvolumige Sanierungsvorhaben sowie alle Neubauvorhaben in eine Schul-GmbH auszulagern. Carl Waßmuth von der privatisierungskritischen Organisation „Gemeingut in BürgerInnenhand“ geht davon aus, dass 85 Prozent des Bauvolumens der „Schulbauoffensive“ von der Schul-GmbH abgewickelt werden sollen: das komplette Neubau-Volumen von drei Milliarden Euro sowie die Gelder für Großsanierungen von bis zu 1,8 Milliarden Euro.
Hierzu soll unter bisher vom Senat nicht näher beschriebenen Umständen eine Tochtergesellschaft der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft Howoge gegründet werden, falls nicht die Howoge-GmbH direkt als Hülle dienen kann. Schon jetzt sei die Howoge in die aktuellen Vorhaben und Prozesse personell eingebunden, berichtete Bildungssenatorin Sandra Scheeres stolz bei der bereits erwähnten Podiumsdiskussion im Dezember 2017.
Dem Vernehmen nach soll die Schul-GmbH Eigentümerin der Schulgrundstücke und -gebäude werden. Nach allem, was bekannt ist, gehen die Pläne dahin, ihr per Erbbaurecht die Grundstücke und Schulgebäude für einen Zeitraum von bis zu 30 Jahren zu übertragen, sprich: zu verschenken. Die Schul-GmbH nimmt dann für die Bau- und Sanierungsmaßnahmen Kredite auf, beleiht dafür vermutlich die Schulen und vermietet sie zu marktwirtschaftlichen Konditionen an die Bezirke. Oder auch an andere Nutzer.
Dass es sich bei der Übereignung der Gebäude und Flächen um eine formelle Privatisierung handelt, weist man von rot-rot-grüner Seite hartnäckig zurück. Auch dem Senat ist bekannt, dass rund 80 Prozent der Bundesbürger die Privatisierung von Gemeingütern inzwischen ablehnen. Die GmbH sei doch eine landeseigene Gesellschaft, wiegeln Politiker wie der Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen ab [19]. Dass aber genau der geplante Übergang zu einer privatrechtlichen Konstruktion der erste Privatisierungsschritt ist, zeigt die Praxis.
Es drohen Intransparenz und Managemententscheidungen zu weiterreichender Privatisierung, zum Beispiel zum Abschluss öffentlich-privater Partnerschaften (funktionale Privatisierung). Denkbar ist auch eine materielle Privatisierung infolge Insolvenz oder Verkauf. In jedem Fall werden der parlamentarische Einfluss und die Kontrollmöglichkeiten für Bürger durch das Privatrecht, dem die GmbH zuzuordnen ist, beschnitten. Schon jetzt überlegt der Senat, ob die Fläche pro Schüler für Schulbauten zu reduzieren ist.
Genaue Zahlen wollte Sandra Scheeres bei der genannten Veranstaltung im Dezember nicht nennen. Man habe aber Flächenüberschneidungen gefunden. Voraussichtlich Ende Januar 2018 wolle man mit einem Gesamtkonzept an die Öffentlichkeit gehen.
Vom ähnlich strukturierten Modell in Hamburg ist bekannt: Nicht nur die Schulraumflächen pro Schüler wurden reduziert, auch manche Schulhoffläche wurde verkleinert und für eine marktwirtschaftliche Nutzung freigegeben. Habe ich eine Skizze des abgeschlossenen Wettbewerbs zu den Modellvorhaben des beschleunigten Schulbaus richtig in Erinnerung: „Lernwelten“ in offenen, verbreiterten Flurbereichen – ist das die Zukunft der Berliner Bildungsstätten? Ist so konzentriertes Lernen und Arbeiten möglich?
Vorgeschobene Schuldenbremse
Laut Berliner Koalition resultiere die geschilderte GmbH-Konstruktion aus den Erfordernissen der vom Senat geplanten Umgehung der ab 2020 auch für Berlin geltenden Schuldenbremse. Die Schuldenbremse erlaubt den Kommunen keine Nettoneuverschuldung. Bereits der R2G-Koalitionsvertrag ließ in diesem Zusammenhang aufhorchen: Dort vereinbarten SPD, Linke und Grüne, dass „eine landeseigene gesellschaftsrechtliche Konstruktion geschaffen wird, die auch die Aufnahme von Krediten in privatrechtlicher Organisationsform ermöglicht“ [20]. Im Klartext heißt das: Aufgaben des Landes Berlin werden in privatrechtliche GmbHs ausgelagert, um dort Kredite aufzunehmen, die nicht in einen ausgeglichenen Haushalt, den sogenannten Kernhaushalt, hineinpassen.
Das heißt allerdings auch, dass nicht nur die Schulden, die normalerweise im Landeshaushalt auftauchen würden, weiterhin entstehen – jetzt allerdings versteckt. Es werden außerdem noch weitere Kosten hinzukommen: Eine privatrechtliche, zumal neu gegründete GmbH verfügt nicht über das gleiche Rating wie das Land Berlin, sondern erhält Kredite zu schlechteren Konditionen. Während der Berliner Finanzsenator Matthias Kollatz-Ahnen zweckoptimistisch nur von 0,2 Prozent höheren Zinsen ausgeht, was am Ende bei der geplanten Kreditaufnahme von 1,5 Milliarden Euro auch mehrere Millionen sind, hält der Verein „Gemeingut in BürgerInnenhand“ nach Vergleich mit einem in Hamburg umgesetzten ähnlichen Modell mehrere Prozentpunkte für durchaus wahrscheinlich. [21, 22]
Die geschilderte Konstruktion bedeutet auch: Politiker setzen von vornherein ihre Kraft nicht für die korrekte Einhaltung der Schuldenbremse ein, sondern verwenden ihren Gehirnschmalz lieber auf deren Umgehung durch die Schaffung von Schattenhaushalten – für GmbH-Strukturen, die für Intransparenz, Profitorientierung und Geheimniskrämerei stehen, auch wenn offiziell das Etikett der Schul-GmbH die Bezeichnung „landeseigen/öffentlich“ zieren soll.
Offene Fragen
Nicht nur angesichts der bisher dürftigen Informationen des Senats zum GmbH-Knackpunkt seiner „Schulbauoffensive“ bleiben viele Fragen offen. Zum Beispiel: Vor 20 Jahren, im Schuljahr 1996/97, verzeichnete das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 416.105 Schüler an allgemeinbildenden Schulen Berlins. Die Zahl für 2016/17 lag nach der gleichen statistischen Erhebung bei 346.218 Schülern. [23] Wie wurden die damaligen Schülerzahlen bewältigt? Warum müssen jetzt bis zu 59 Schulen neugebaut werden, um in zehn Jahren eine ähnlich hohe Anzahl von Schülerinnen und Schülern aufzunehmen wie 1996/97? Wie sorgsam ist Berlin in den vergangenen Jahren mit den Schulflächen und -gebäuden der Berliner umgegangen, mit den Gemeingütern seiner Bewohner? Alles abgerissen, verkauft oder umgewidmet?
Was ergibt sich daraus für die neuen Planungen und Schulbauten? Die Berliner Steuerzahler sollen in den kommenden zehn Jahren gewaltige Summen für Schulsanierung und -neubau stemmen. Bei erforderlicher Kreditaufnahme dann auch noch Jahre darüber hinaus. Was folgt nach diesem Gewaltakt? Wer profitiert davon? Sicher nicht die regionale mittelständische Bauwirtschaft.
Werden die derzeit geschätzten Schülerzahlen überhaupt erreicht? Was wird aus den Schulen bei wieder sinkenden Zahlen? Hat Berlin dann den Mut, Schulklassen mit zehn oder 15 Schülern zu unterrichten statt mit über 30? Oder wird dann wieder abgerissen, weiter verkauft? Ist die GmbH vielleicht schon der erste Schritt, um den finalen Ausverkauf des Gemeinguts Bildung/Schule in Berlin weiter voranzutreiben?
Außerdem: Wie schnell wird die „Schuloffensive“ in Gang kommen, wenn die neue Schul-GmbH ohne Personal sich erst einmal aufbauen und strukturieren muss? Woher nimmt sie qualifiziertes Personal, das sich mit den Eigenheiten des Schulbaus auskennt und sofort die Mammutaufgabe angeht? Wäre es nicht einfacher, das Personal der Bezirksämter aufzustocken und dort vorhandenes Know-how auf kurzem Wege zu transferieren? Die „Schuloffensive“ gerät so von Anfang an unnötig ins Stocken.
Und langfristig: Was wird, falls es statt eines Privatisierungsreinfalls doch zu einem regulären Heimfall der Schulen nach maximal 30 Jahren an die Bezirke kommt? Wie werden dann die Bezirke die in der Zwischenzeit verlorene Fachkompetenz wieder aufbauen? Wer kennt sich an den Schulen zu baulichen und sonstigen Aspekten dann überhaupt aus? Werden bautechnische Unterlagen vollständig übergeben?
Es mutet wie ein politischer Schildbürgerstreich an, dass jetzt mit der Schul-GmbH eine völlig neue Struktur aufbaut und mit dem erforderlichen Know-how gefüttert werden soll, um dann in 30 Jahren das Rad wieder zurückzudrehen. Oder will man es gar nicht zurückdrehen? Die Schuldenbremse zumindest taugt als Vorwand angesichts eines Haushaltsüberschusses von 2,1 Milliarden Euro im Jahre 2017 auch wenig als Begründung für den strukturellen Umbau. [24]
Organisierte Gegenwehr
Weil es viele offene Fragen zur Schul-GmbH und vor allem große Sorgen hinsichtlich der angestrebten Privatisierung und ihrer Folgen gibt, hat der Verein „Gemeingut in BürgerInnenhand“ am 3. Januar auf einer Pressekonferenz gemeinsam mit der „AG Privatisierung“ von attac, der Berliner attac-Gruppe und dem „Berliner Wassertisch“ die Volksinitiative „Unsere Schulen“ gestartet.
Schaffen es die Aktivisten, innerhalb von sechs Monaten 20.000 gültige Unterschriften zusammenzubringen, müssen sie zumindest von den betroffenen Ausschüssen im Berliner Abgeordnetenhaus angehört werden. Die Privatisierungskritiker sehen es als Skandal an, dass dieser Aufwand nötig ist. Obwohl die Mehrzahl der Berliner hinsichtlich der Gemeingüter privatisierungskritisch ist, gibt es im derzeitigen Abgeordnetenhaus keine einzige Partei, die diese Bürger vertritt.
Schlimmer noch: Verwirklicht ein rot-rot-grüner Senat diese Privatisierungspläne, wird der Privatisierungsmotor in der ganzen Bundesrepublik neue Fahrt aufnehmen. Schon mit den Beschlüssen von Bundestag und Bundesrat zur Autobahn-GmbH Anfang Juni 2017 hatte das Modell der Infrastrukturgesellschaft zur Umgehung der Schuldenbremse bei gleichzeitiger Privatisierung Auftrieb erhalten.
Nicht jedes Schulbauluftschloss ist der Bildung dienlich.
Anmerkungen:
[1] Friedrich Kluge: „Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 22. völlig neu bearbeitete Auflage, Walter de Gruyter, 1989, S. 514
[2] Gemeinsame Erklärung der Berliner Bezirke für einen 10-Punkte-Plan zur Kooperation im Rahmen der Schulbauoffensive aus der Klausurtagung am 6. November 2017
[3] Wikipedia, Eintrag Task Force (Militär), https://de.wikipedia.org/wiki/Task_Force_(Milit%C3%A4r); zuletzt geprüft 11. Januar 2018
[4] Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Hg.): „Zahlen – Daten – Fakten. Ausgewählte Eckdaten. Allgemein bildende Schulen 2017/2018, Oktober 2017; https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/bildungsstatistik/#eckdatenallg; zuletzt geprüft 15. Januar 2018
[5] Gemeinsame Erklärung der Berliner Bezirke für einen 10-Punkte-Plan zur Kooperation im Rahmen der Schulbauoffensive aus der Klausurtagung am 6. November 2017
[6] https://www.rbb24.de/politik/beitrag/2017/12/schulen-berlin-mobs-neubau-senat.html; zuletzt geprüft am 15. Januar 2018
[7] Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Hg.): „Zahlen – Daten – Fakten. Ausgewählte Eckdaten. Allgemein bildende Schulen 2017/2018, Oktober 2017; https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/bildungsstatistik/#eckdatenallg; zuletzt geprüft am 15. Januar 2018
[8] Amt für Statistik Berlin-Brandenburg, Pressemitteilung Nr. 6 vom 11. Januar 2018; https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/pms/2018/18-01-11.pdf; zuletzt geprüft am 15. Januar 2018
[9] Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Zeitreihe zur Entwicklung der Schülerzahlen in Berlin; https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/BasisZeitreiheGrafik/Zeit-Schulen.asp?Ptyp=400&Sageb=21001&creg=BBB&anzwer=5; zuletzt geprüft am 15. Januar 2018
[10] Klaus Klemm und Dirk Zorn: „Demographische Rendite adé. Aktuelle Bevölkerungsentwicklung und Folgen für die allgemeinbildenden Schulen“, Bertelsmann Stiftung Juli 2017; sowie Pressemeldung der Bertelsmann Stiftung vom 12.7.2017: „Schüler-Boom: Zehntausende zusätzliche Lehrer und Klassenräume notwendig“: https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung/pid/schueler-boom-zehntausende-zusaetzliche-lehrer-und-klassenraeume-notwendig/; zuletzt geprüft 11. Januar 2018
[11] Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie (Hg.):„Blickpunkt Schule. Schuljahr 2016/2017“, Februar 2017; https://www.berlin.de/sen/bildung/schule/bildungsstatistik/#eckdatenallg; zuletzt geprüft am 10. Januar 2017
[12] SenBJW: „Gemeinsame Erklärung zur Statuserhebung des Sanierungsstaus
und der Sanierungsbedarfe an Berliner Schulen“, 30. Juni 2016, http://www.berlin.de/sen/bjf/schulsanierung/; zuletzt geprüft am 15. Januar 2018
sportamt/schulamt/artikel.202179.php; zuletzt geprüft am 11. Januar 2018
[13] Ulrich Scholz/ Carl Waßmuth: „Kurzstudie zur Entwicklung der Ausgaben für Schulbau und -sanierung in Berlin 2012 bis 2017, 7. November 2017; www.gemeingut.org; zuletzt geprüft am 15. Januar 2018
[14] Ebenda.
[15] Sylvia Vogt: „830 Millionen Euro für Berlins Schulen. Senat will Schulbau und Sanierung beschleunigen“, Tagesspiegel, 11.4.2017; http://www.tagesspiegel.de/berlin/830-millionen-euro-fuer-berlins-schulen-senat-will-schulbau-und-sanierung-beschleunigen/19660564.html; zuletzt geprüft am 16. Januar 2018
[16] Andreas Abel, Florentine Anders, Gisa Bodenstein: „Geld für Schulen bleibt liegen. Bezirke können Sanierungsmittel nicht verbauen. Finanzsenator sieht aber Fortschritte“, Berliner Morgenpost, 10. Dezember 2017; https://www.morgenpost.de/berlin/article212788517/Geld-fuer-Schulen-bleibt-liegen.html; zuletzt geprüft am 16. Januar 2018
[17] https://www.berlin.de/ba-charlottenburg-wilmersdorf/verwaltung/aemter/schul-und-
[18] Rat der Bürgermeister, Beschluss R-243/2017,
https://www.berlin.de/rbmskzl/regierender-buergermeister/buergermeister-von-berlin/rat-der-buergermeister/beschluesse/; zuletzt geprüft am 12. Januar 2018
[19] Jérôme Lombard: „Kritik an ’stiller Privatisierung‘. Eine Volksinitiative will gegen die Schulbauoffensive des Senats mobil machen“, neues deutschland, 4. Januar 2018
[20] Koalitionsvereinbarung zwischen Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) Landesverband Berlin und Die Linke Landesverband Berlin und Bündnis 90/Die Grünen Landesverband Berlin für die Legislaturperiode 2016-2021, S 71, https://www.berlin.de/rbmskzl/regierender-buergermeister/senat/koalitionsvereinbarung/, zuletzt geprüft am 10. Januar 2017
[21] Frederik Bombosch/Gabriela Keller/Martin Klesmann/Kai Schlieter: „Marode Schulen in Berlin. Das dubiose Milliarden-Versprechen“, Berliner Zeitung, 4. November 2017; https://www.berliner-zeitung.de/berlin/marode-schulen-in-berlin-das-dubiose-milliarden-versprechen—28763958; zuletzt geprüft am 15. Januar 2018
[22] https://www.gemeingut.org/oeoep-schulbau-hamburg-kleiner-teurer-intransparent/; zuletzt geprüft 16. Januar 2018
[23] Amt für Statistik Berlin-Brandenburg: Lange Reihe zur Entwicklung der Schülerzahlen in Berlin; https://www.statistik-berlin-brandenburg.de/statistiken/langereihen.asp?Ptyp=450&Sageb=21001&creg=BBB&anzwer=5; zuletzt geprüft am 15. Januar 2018
[24] Senatsverwaltung für Finanzen: „Berlin schließt das Haushaltsjahr 2017 erfolgreich ab – Kollatz-Ahnen: Wir setzen weiter konsequent auf Konsolidieren und Investieren“, Pressemitteilung Nr. 18-001 vom 10. Januar 2018
Katrin Kusche ist freiberufliche Journalistin und Redakteurin (www.wortformer.de). Sie arbeitet unter anderem für die kultur- und wirtschaftspolitische Zweiwochenschrift Ossietzky.