Benedict Ugarte Chacón

Die Finanzbranche erschlich sich über Jahre Milliarden an Steuergeldern – und der Staat sah zu.

Aktiendeals, bei denen die Wertpapiere einmal mit (cum) und einmal ohne (ex) Dividendenanspruch zwischen Verkäufern, Leerkäufern und -verkäufern sowie Käufern hin- und hergeschoben wurden, fanden rund um die Dividendenstichtage deutscher Unternehmen statt. Im Kern ging es bei dieser Art von Geschäften um die Rückerstattung von Kapitalertragsteuer.

In einer bestimmten Konstellation ließen sich Käufer und Verkäufer jeweils eine Steuerbescheinigung auf die entfallene Kapitalertragsteuer von ihrer jeweiligen Depotbank ausstellen, während die Steuer vorher vom Dividenden ausschüttenden Unternehmen ans Finanzamt abgeführt wurde. Wurden nun die beiden Steuerbescheinigungen zwecks Rückerstattung beim Finanzamt eingereicht, konnte dieses nicht erkennen, für welchen Akteur vorher die Kapitalertragsteuer abgeführt worden war und musste zunächst davon ausgehen, dass beide Akteure vormals Kapitalertragsteuer abgeführt hatten. In Wirklichkeit wurde die Steuer also nur einmal abgeführt, dafür aber zwei Steuerbescheinigungen „produziert“ (1).

Die nur einmal gezahlte Steuer wurde doppelt oder zum Teil sogar mehrfach zurückerstattet. Den entstandenen „Gewinn“, der sich lediglich aus den Steuerrückerstattungen – also aus dem Erschleichen öffentlicher Gelder – ergab, teilten die Akteure untereinander auf. So erst rechnete sich das Geschäft für alle. Und es wird klar, dass hier Netzwerke am Werk waren, die untereinander die entsprechenden Absprachen treffen mussten, damit die Deals funktionieren.

Der Schaden, der der Allgemeinheit durch diesen – nach heutiger Auffassung der Bundesregierung illegalen – Trick entstanden ist, soll sich nach Schätzungen auf rund 12 Milliarden Euro belaufen. Dass mit solchen Deals rund um den Dividendenstichtag der Staat geprellt werden kann, ist jedoch keine neue Erkenntnis. Bereits 1992 publizierte die Landeszentralbank Hessen, also eine damalige Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank, in ihrem „Frankfurter Finanzmarktbericht“ einen Aufsatz mit dem Titel „Dividendenstripping im Zwielicht“. Darin heißt es zur „Produktion von Steuerbescheinigungen“, dass mit entsprechenden Modellen bewusst darauf gezielt werde, „Erstattungsansprüche für Steuern zu erlangen, die überhaupt nicht gezahlt wurden“ (2).

Es lässt sich demnach konstatieren, dass das Prinzip der später als Geschäftsmodell vertriebenen Cum/Ex-Geschäfte der deutschen Bankenaufsicht, für die neben dem damaligen Bundesaufsichtsamt für das Kreditwesen (BAKred) die Bundesbank zuständig war, bereits vor 25 Jahren bekannt war. Zwar mag es sich damals um eher theoretische Überlegungen gehandelt haben – eine Reaktion des Bundesfinanzministeriums erfolgte jedenfalls nicht. Letzteres wurde, so lässt sich bisher rekonstruieren, durch ein Schreiben des Bundesverbandes deutscher Banken vom 20. Dezember 2002 explizit darauf hingewiesen, dass es im Hinblick auf Aktiendeals um den Dividendenstichtag, die sich eines Leerverkaufs bedienen, zu Problemen im Zusammenhang mit Einzug und Erstattung der Kapitalertragsteuer kommen kann.

Man kann annehmen, dass es der Bankenlobby bei ihrem Hinweis wohl eher weniger um das Wohl der deutschen Steuerzahler als vielmehr um mögliche Haftungsrisiken ging, die sich für ihre Mitgliedsinstitute hätten ergeben können, sollten sie in solche Geschäftspraktiken verwickelt gewesen sein. Dennoch bleibt festzuhalten, dass das Bundesfinanzministerium spätestens seit dem Eingang dieses Schreibens darüber informiert war, dass Handlungsbedarf bestand. Tatsächlich abgestellt wurden diese Geschäfte aber erst im Jahr 2012. Seit Februar 2016 versucht ein Untersuchungsausschuss des Bundestages zu klären, warum die Finanzbranche über Jahre nahezu ungehindert die Steuerkassen plündern konnte.

Banken versus Steuerzahler

Eine Produktion von vorgeblichen Steuerrückerstattungsansprüchen ohne vorher Steuern gezahlt zu haben – was absurd klingt, wurde von einer Szenerie aus spezialisierten Beratern, Kanzleien und Mitarbeitern von Kreditinstituten als regelrechtes Geschäftsmodell entwickelt und vertrieben. Lohnenswert waren diese Geschäfte erst, wenn hohe Aktienvolumina bewegt wurden. Somit ist auch klar, dass diejenigen, die hier ihr Geld einbrachten, zunächst einmal über die entsprechenden Mittel verfügen mussten. In Frage kommen hier in erster Linie Banken und vermögende Privatleute, die in entsprechende Finanzprodukte investierten.

Mit dabei waren zum Beispiel große Bankhäuser wie die Commerzbank. Nach Medienberichten leitete die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt/Main im Mai 2016 ein Ermittlungsverfahren gegen das Geldhaus ein. Zuvor hatte die Bank eine interne Untersuchung durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft PricewaterhouseCoopers veranlasst und mögliche Verdachtsfälle selbst an die Ermittlungsbehörde gemeldet.

Vor dem Untersuchungsausschuss sagte Markus Plümer (Head of Securities Finance and Equity Collateral Solutions) aus, seine Bank habe Cum/Ex-Geschäfte im Eigenhandel betrieben und keine entsprechenden Finanzprodukte an Kunden vermittelt, wie dies andere Banken getan hatten. Die Geschäfte seien in den Jahren 2004, 2005 und 2008 getätigt worden. Die interne Untersuchung dauere allerdings noch an. Eine besondere Brisanz erhalten die Cum/Ex-Geschäfte der Commerzbank dadurch, dass die Bank im Jahr 2009 mit Milliardensummen aus öffentlichen Mitteln vor dem Zusammenbruch gerettet und teilverstaatlicht wurde.

Die von der Commerzbank im Jahr 2008 übernommene Dresdner Bank war ebenfalls in Cum/Ex-Deals verwickelt. Diese sind Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen. Dabei lässt sich die Commerzbank von der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer vertreten (3).

Die HypoVereinsbank wiederum verklagte drei ehemalige Vorstände auf Schadenersatz, der sich in einer Höhe von 180 Millionen Euro bewegen soll. Wie ein Rechercheverbund aus WDR, NDR und Süddeutscher Zeitung herausfand, hatte die Bank von 2005 bis 2008 Cum/Ex-Geschäfte über eine Londoner Tochtergesellschaft abgewickelt.

Ein Bankhaus, das mit seinen Cum/Ex-Geschäften das große Rad drehen wollte und schließlich kollabierte, war die Frankfurter Maple Bank. Dort rückte die Staatsanwaltschaft im Herbst 2015 zur Durchsuchung an. Die Bank steht im Verdacht, den Fiskus um Steuerzahlungen von 450 Millionen Euro gebracht zu haben. Am 6. Februar 2016 verhängte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein Moratorium über das Institut, erließ also ein Veräußerungs- und Zahlungsverbot und schloss es für den Kundenverkehr. Laut einer Erklärung der Maple Bank wurde diese Maßnahme mit der drohenden Überschuldung „wegen einer voraussichtlich zu bildenden Steuerrückstellung“ begründet. Diese stehe „im Zusammenhang mit den laufenden Ermittlungen zu Cum/Ex-Geschäften aus den Jahren 2006 bis 2010“. Da gegen ihren ehemaligen Sprecher der Geschäftsführung Wolfgang Schuck ebenfalls ermittelt wird, konnte dieser sich im November vor dem Untersuchungsausschuss auf sein umfassendes Aussageverweigerungsrecht berufen.

Anfang 2016 fand eine Durchsuchung der Geschäftsräume der Hamburger Nobelbank Warburg statt. Von „kriminellen Aktiengeschäften“ im Umfang von bis zu 150 Millionen Euro wurde hinterher berichtet. Die Bank äußerte sich zu den Vorwürfen nur sehr schmallippig. „Nach einer intensiven Überprüfung“ könne man „an der Auffassung festhalten, dass sie rechtlich einwandfrei gehandelt hat“, schrieb die Bank im April 2016 in einer Pressmitteilung. Vor dem Untersuchungsausschuss zog sich der vormalige Chef der Warburg und heutige Aufsichtsratsvorsitzende Christian Olearius ebenfalls auf sein umfassendes Aussageverweigerungsrecht zurück, da auch gegen ihn persönlich ermittelt wird. Vorher hatte er sich allerdings in der ARD-Sendung Panorama zu der Äußerung hinreißen lassen, dass er von seiner Einschätzung, die bekannt sei, „keinen Deut abzuweichen“ bräuchte.

Doch auch Banken in öffentlichem Eigentum waren in Cum/Ex-Geschäfte verwickelt. So teilte die HSH Nordbank zu einer von ihr 2012 in Auftrag gegebenen Untersuchung durch die Kanzlei Clifford Chance im Dezember 2013 mit, dass in den Jahren 2008 bis 2011 „29 Transaktionen identifiziert [wurden], die aufgrund eines in der Summe mit rund 112 Mio. Euro hohen Steueranrechnungsvolumens auffällig und derzeit Gegenstand vertiefter Prüfung sind“. Die Bank kündigte gleichzeitig die Rückzahlung der unbegründet erstatteten Kapitalertragsteuer an. Der Anfang November vor den Untersuchungsausschuss geladene Zeuge aus der HSH Nordbank Christian Hofmann verweigerte ebenfalls die Aussage. Gegen ihn seien zwar noch keine Ermittlungen im Gange. Diese könnten aber durch eine Aussage eingeleitet werden, teilte sein Rechtsanwalt dem Ausschuss mit.

Die Räumlichkeiten der Portigon AG, dem Nachfolgeinstitut der 2012 aufgespaltenen WestLB, wurden im Herbst 2015 durchsucht. Grund dafür war ebenfalls der Verdacht der Beteiligung an Cum/Ex-Geschäften, die die WestLB seinerzeit betrieben haben soll. Seit dem Sommer 2016 wird gegen ehemalige Vorstandsmitglieder ermittelt.

Die Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) soll sich nach einem Bericht der Süddeutschen Zeitung in den Jahren 2007 und 2008 ebenfalls an Cum/Ex-Geschäften beteiligt haben. Hierfür habe sie bereits 150 Millionen Euro an den Staat zurückgezahlt.

Auf eine parlamentarische Anfrage teilte die damalige Berliner Wirtschaftssenatorin Cornelia Yzer im September 2015 dem Abgeordnetenhaus von Berlin mit, dass die Landesbank Berlin „durch die Steuerbehörden auf wenige mögliche Leerverkaufsgeschäfte aus dem Jahr 2007 aufmerksam wurde“. Es würden nun gemeinsam mit den Behörden und einem externen Wirtschaftsprüfer im Rahmen einer steuerlichen Betriebsprüfung „alle in Frage kommenden Geschäftsvorgänge“ untersucht (4).

Investoren wollen Opfer sein

Einer der prominenteren Investoren in Cum/Ex-Geschäfte ist der von bestimmten Medien als „Finanzguru“ gefeierte Carsten Maschmeyer. Über ihn und sein Investment gibt es bereits ausführliche Recherchen der investigativen Journalisten Wigbert Löer (Stern) und Oliver Schröm (Panorama). Vom Untersuchungsausschuss wurde Maschmeyer Ende November 2016 vernommen – allerdings geriet seine Aussage zu einem recht sonderbaren Auftritt. So führte er aus, dass er im Jahr 2010 von Eric Sarasin, damals Vize-Chef des gleichnamigen Basler Bankhauses, ein Angebot für ein Investment in einen Fonds bekommen habe, welches eine Rendite zwischen 10 und 12 Prozent liefern sollte. Gleichzeitig seien die Einlagen zu 98 Prozent abgesichert – ein Geschäft fast ohne Risiko also. Erst nachdem zwei Jahre später die Hälfte seiner Einlage verschwunden gewesen sei, habe sich Maschmeyer bei seinem – damals noch – Freund Sarasin über die Hintergründe seines Investments erkundigt und schließlich sein Geld zurückverlangt.

Dass hier in Cum/Ex-Geschäfte investiert wurde, will Maschmeyer nie gewusst haben. Auch habe er niemals Unterlagen oder Prospekte des Fonds erhalten, in den er sein Geld steckte. Trotz mehrfacher kritischer Nachfragen blieb Maschmeyer bei seiner Behauptung. Man muss sich – bis der Untersuchungsausschuss eventuell den Gegenbeweis antritt – mit der vorläufigen Feststellung begnügen, dass ein „Self-Made-Millionär“, der mit seinem Strukturvertrieb AWD seinerzeit die unterschiedlichsten Finanzprodukte an Kleinanleger brachte, 40 Millionen Euro bei sich, seiner Familie und seinen Freunden einsammelt und diese zu einer hohen Rendite bei einer Bank investiert, ohne sich über deren Anlagestrategien oder Risiken irgendwelche Gedanken zu machen. Die Frage von Richard Pitterle (Die Linke), warum er erst vergleichsweise spät juristisch gegen die Bank vorgegangen sei und ob dies eventuell mit der Medienberichterstattung zu Cum/Ex-Geschäften zusammenhänge, konnte Maschmeyer nicht klar beantworten.

Ebenfalls zum illustren Kreis wohlhabender Investoren gehört „Drogeriekönig“ Erwin Müller. Auch er investierte bei der Bank Sarasin und auch er sieht sich nach dem Platzen seines Investments als Opfer der Bank. Nach einem Bericht des Handelsblatts habe Müller bei der Staatsanwaltschaft Köln ausgesagt, dass die Bank Sarasin sein Geld ohne sein Wissen in Cum/Ex-Geschäfte investiert habe. Woher die Rendite von 12 Prozent auf seine Investition kommen sollte, habe ihm die Bank verschwiegen. Dies habe ihn schließlich 50 Millionen Euro gekostet.

Die Staatsanwaltschaft führte Müller, so die Zeitung, als Zeugen. Zumindest das Handelsblatt äußerte in seinem Artikel vom 11. November 2014 Zweifel an Müllers weißer Weste. So habe ihm der Berater Thomas Koblenzer bereits 2010 ein Gutachten verfasst, das sich mit einem anderen Investment Müllers befasste, bei dem es ebenfalls um Cum/Ex-Geschäfte gegangen sein soll. In dem Gutachten soll festgehalten sein, wie durch „Ausnutzung der Steuervorschriften Gewinne erzielt werden können“. Das Investment, für das Koblenzer das Gutachten vorlegte, soll Müller lange vor seinem Investment bei der Bank Sarasin getätigt haben. Wenn dies zuträfe, so könnte Müller nicht behaupten, dass ihm Cum/Ex-Geschäfte fremd gewesen seien.

 

Die Beraterszene

Ob die Aussagen von Maschmeyer oder Müller wirklich glaubwürdig sind, wird sich im Lauf der Zeit zeigen. Fest steht, dass sich im Dunstkreis von Banken und Investoren eine recht überschaubare Beraterszene scharte, die sich auf die Konstruktion, Begutachtung und Vermittlung von Finanzprodukten spezialisiert hatte, die in Cum/Ex-Deals investierten. Der Müller-Gutachter Thomas Koblenzer, selbst Teil der Szene, sagte im November vor dem Untersuchungsausschuss aus, dass es sich um einen Kreis von 30 bis 50 Akteuren gehandelt haben soll.

Einer größeren Öffentlichkeit dürfte mittlerweile der ehemalige hessische Finanzbeamte und Bankenprüfer Hanno Berger bekannt sein. Er wechselte schließlich die Seiten und schloss sich zunächst der Großkanzlei Dewey & LeBoeuf an. Kurz vor deren Pleite verließ er mit seinem Kompagnon Kai-Uwe Steck die Kanzlei und gründete mit selbigem ein eigenes Büro. Diese Kanzlei ist unterdessen ebenfalls nicht mehr aktiv. Berger selbst, der laut Medienberichten zwischenzeitlich in mehreren Verfahren mit Cum/Ex-Bezug als Beschuldigter geführt wurde, hat sich mittlerweile in die Schweiz abgesetzt.

Zwar äußert sich der ehemalige Cum/Ex-Berater mitunter mit harschen Vorwürfen gegen die ermittelnden Stellen in den Medien, vor dem Untersuchungsausschuss wollte er allerdings bislang nicht erscheinen. Auf Grund internationaler Abkommen ist eine förmliche Ladung Bergers durch den Ausschuss mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass sich die Schweiz hier nicht kooperativ zeigen wird.

Eine tragende Institution bei der Beratung der „Bankseite“ war laut Aussage von Thomas Koblenzer vor dem Untersuchungsausschuss die Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer. Der Ausschuss geht, so heißt es auf der Homepage des Bundestages, davon aus, dass „die Kanzlei als externer rechtlicher Berater eine Schlüsselrolle“ gespielt habe. Hierzu habe sie „Gutachten und Rechtsbewertungen“ erstellt. Diese wiederum wollte Freshfields dem Untersuchungsausschuss nicht vorlegen, so dass dieser zum ersten Mal in der Geschichte des Bundestages im November beim Bundesgerichtshof einen Durchsuchungsbeschluss beantragte. Laut einem Bericht des Spiegel soll die Kanzlei unter anderem die Maple Bank über einige Jahre beraten haben. Schon 2007 habe Freshfields einen entsprechenden Deal der Bank begleitet und für „steuerlich unbedenklich“ erklärt.

Die Commerzbank, mit der das Finanzamt Frankfurt-Höchst sich wegen der Cum/Ex-Geschäfte der 2009 in der Commerzbank aufgegangenen Dresdner Bank vor Gericht streitet (siehe oben), griff in diesem Prozess ebenfalls auf die Dienste von Freshfields zurück. Je nachdem, was die im Raum stehende Durchsuchung ergeben wird, kann die Rolle der Kanzlei erst in den kommenden Monaten genauer aufgeklärt werden.

 

Systematische Verschleierung

Unterdessen kann nach den bisherigen Zeugeneinvernahmen des Untersuchungsausschusses schon gesagt werden, dass Banken und Berater bei der Verschleierung ihrer Cum/Ex-Deals systematisch vorgingen. Dies belegen nicht zuletzt die Aussagen von Mitarbeitern des Bundeszentralamts für Steuern (BZSt). So hätten sich die Initiatoren unterschiedlicher Verteilungs- und Absicherungsmechanismen bedient. Zum Beispiel wurden Aktienpakete über mehrere Ländergrenzen verschoben und mit Future- und Swap-Geschäften sowie Wertpapierleihen verkompliziert. All dies erschwere die behördliche Aufklärungsarbeit.

Gleichwohl reagierte die Finanz- und Beraterindustrie allergisch auf die Ermittlungen der Beamten. Mit Dienstaufsichtsbeschwerden und Amtshaftungsklagen sollten diese persönlich aus dem Milieu heraus unter Druck gesetzt werden. Dies wurde durch mehrere Aussagen vor dem Untersuchungsausschuss bestätigt. Als Belege, dass die vom BZSt vertretene Rechtsauffassung, nämlich dass es sich bei Cum/Ex-Praktiken um illegale Geschäfte handelt, falsch sei, führten manche Finanzakteure auch Fachartikel der Professoren Marc Desens (Universität Leipzig) und Joachim Englisch (Universität Münster) an. Beide vertreten – stark verkürzt dargestellt – die Auffassung, dass es eine Lücke in der gesetzlichen Regelung gegeben habe und Cum/Ex-Geschäfte letztlich nichts Illegales darstellen würden. Beide hatten wiederum – so sagten sie vor dem Untersuchungsausschuss – Gutachten und Stellungnahmen für Hanno Berger geliefert. Dabei gingen sie, selbstverständlich, streng wissenschaftlich vor.

 

Unfähige Bankenaufsicht

Zurück zur staatlichen Seite. Nachdem das Bundesfinanzministerium seit 2002 über die Cum/Ex-Problematik informiert worden war, geschah zunächst lange Zeit nichts. So gab der damals zuständige Referatsleiter des Ministeriums Michael Gierlich vor dem Untersuchungsausschuss an, dass man im Ministerium mit dem Schreiben zunächst nicht viel habe anfangen können. Da man es auch nicht so recht verstand, habe man sich den Brief vom Bankenverband erläutern lassen. Dabei sei seitens der Bankenlobby auch eine Präsentation verwendet worden, die das Ministerium wiederum an die Finanzbehörden der Länder weitergegeben habe. Allerdings ohne darauf hinzuweisen, dass die Erläuterungen darin vom Bankenverband stammten.

Als wäre dies nicht schon genug, wurde eine Passage des Verbands-Schreibens von 2002 nahezu wortgleich in die Begründung des Entwurfs für das Jahressteuergesetz 2007 übernommen, den die Bundesregierung dem Bundestag im September 2006 vorlegte. Mit dem Gesetz sollte, nach jahrelanger Passivität, versucht werden, der Cum/Ex-Geschäfte Herr zu werden. Allerdings wurde in der Gesetzesbegründung auch darauf hingewiesen, dass von den Regelungen nur inländisch abgewickelte Geschäfte erfasst würden. Cum/Ex-Geschäfte über ausländische Stellen seien hier nicht betroffen. Teile der Finanzindustrie fassten diese Begründung geradezu als Einladung auf, ihr Geschäft über das Ausland abzuwickeln und dem Staat im großen Stil weiter das Geld aus der Tasche zu ziehen.

Später, im Jahr 2013, sollte die Bundesregierung als Antwort auf eine parlamentarische Anfrage der Linksfraktion mitteilen, dass hier keine „Gesetzeslücke“ bestanden habe, sondern solche Geschäfte ihrer Auffassung nach schon immer illegal gewesen seien. Doch erst mit dem OGAW-IV-Umsetzungsgesetz 2012, das eine Änderung beim Einbehalt der Kapitalertragsteuer vorsieht, wurde den Cum/Ex-Geschäften endgültig der Riegel vorgeschoben. Das oben beschriebene Modell der Abführung der Steuer an der einen und Ausstellung der Steuerbescheinigung an der anderen Stelle ist somit nicht mehr möglich.

Man brauchte bei den zuständigen staatlichen Stellen demnach 10 Jahre, bis man das Problem, das dem Finanzministerium 2002 mitgeteilt wurde, durchschaute hatte und in den Griff bekam. Eine fragwürdige Rolle im Zusammenhang mit den jahrelang praktizierten Cum/Ex-Geschäften nimmt die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) ein. Ihr ehemaliger Präsident Jochen Sanio sagte im Oktober bei seiner Vernehmung durch den Untersuchungsausschuss, dass die Bankenaufsicht für „Steuerthemen“, wobei es sich bei Cum/Ex-Geschäften ja handle, gar nicht zuständig sei.

Diese Schilderung ist wohl eher auf eine innerhalb der BaFin gefundene Sprachregelung zurückzuführen, mit der die Behörde versucht, ihre jahrelangen Versäumnisse zu kaschieren. Denn wie das Beispiel der Maple Bank zeigt, hatten die durch Cum/Ex-Geschäfte notwendig gewordenen Rückstellungen für Steuerrückzahlungen derartig große Auswirkungen auf die Liquidität der Bank, dass sie schließlich geschlossen werden musste. Und die Liquidität der Institute ist einer der Kernbereiche, auf den die Bankenaufsicht zu achten hat, was sie hier offensichtlich versäumte und erst einschritt, als das Kind schon im Brunnen lag. Gleiches gilt für die Zuverlässigkeit der Leitungsebene der Kreditinstitute, die die BaFin ebenfalls im Auge behalten müsste. Wenn Banken sich jahrelang an illegalen Geschäften beteiligen, wäre die Zuverlässigkeit so mancher Chefetage zumindest zu hinterfragen gewesen.

Bei aller Dreistigkeit, die man Banken, Investoren und Beratern im Zusammenhang mit den Cum/Ex-Deals zu recht vorwerfen mag – die Hauptverantwortung für den Steuerschaden tragen die staatlichen Institutionen, die jahrelang nicht verstanden haben, was diese Geschäfte anrichten und die immerhin 10 Jahre brauchten, um sie abzustellen. Das Bundesfinanzministerium, allen voran die Finanzminister Peer Steinbrück und Wolfgang Schäuble, versagte hier ebenso skandalös wie die BaFin, die bis heute nebulös und verharmlosend von „umstrittenen Geschäften“ spricht, anstatt wenigstens die Auffassung ihrer übergeordneten Behörde, des Bundesfinanzministeriums, zu übernehmen, das die Cum/Ex-Deals bereits 2013 gegenüber dem Bundestag als „illegal“ bezeichnete.

Die Vorgänge um die Cum/Ex-Geschäfte gehören zu einer ganzen Reihe von Beispielen, bei denen die Bankenaufsicht krachend versagte – angefangen von der Implosion der Bankgesellschaft Berlin AG im Jahr 2001 bis hin zu den Schieflagen während der Finanzmarktkrise ab 2008. Bei dieser Art von Bankenaufsicht ist es nur eine Frage der Zeit, bis die Allgemeinheit für den nächsten Crash löhnen darf.

 

Anmerkungen

(1) Zur genaueren Erläuterung: Deutscher Bundestag, Wissenschaftliche Dienste, Aktueller Begriff Cum-ex-Geschäfte (https://www.bundestag.de/blob/400308/a3ccdc2fb67e9d7e03e6c7b875a4c5e5/cum-ex-geschaefte-data.pdf)

(2) Landeszentralbank in Hessen – Hauptverwaltung der Deutschen Bundesbank, Frankfurter Finanzmarkt-Bericht Ausgabe 11/92

(3) (http://www.juve.de/nachrichten/namenundnachrichten/2016/05/explosives-pwc-gutachten-auch-commerzbank-machte-cum-ex-geschaefte)

(4) Abgeordnetenhaus von Berlin, Drucksache 17/19081

 

Benedict Ugarte Chacón ist Politikwissenschaftler. Er arbeitet für die Fraktion DIE LINKE im Bundestag als Referent im Untersuchungsausschuss „Cum/Ex“.

 

Aus: BIG Business Crime Nr. 1/2017