Nachruf für Jürgen Roth

Hans See

Business Crime Control trauert um Jürgen Roth, einen unserer engagiertesten Mitstreiter, den Mitherausgeber dieser Zeitschrift. Der Vorstand von BCC hatte ihm noch kurz vor seinem Tod den – erstmals 1993 gestifteten – Preis für Zivilcourage bei der Aufklärung über die kriminelle Ökonomie verliehen. Roths Bücher, darunter mehrere Bestseller, sind mutige sozialpolitische und globalisierungskritische Beiträge zur – wie ich sie gern nenne – dritten Aufklärung. Als ich ihm telefonisch übermittelte, der diesjährige BCC-Preis sei ihm zugesprochen worden, lag er schon im Krankenhaus. Er war tief gerührt, brachte seine große Freude und Dankbarkeit zum Ausdruck.

Wenige Tage später erreichte mich die traurige Nachricht. Obwohl er schon einmal den Krebs besiegt hatte, hatte ihn der Rückfall pessimistisch gestimmt. Nur zögerlich versprach er mir, bei der öffentlichen Preisverleihung dabei zu sein und eine Rede über den Zusammenhang von Wirtschaftsverbrechen, Migration und Rechtsextremismus zu halten. In seinen Büchern wird dieser Zusammenhang immer wieder thematisiert.

Dass Jürgen Roth gerade in dem Augenblick verstummt ist, als seine Warnungen und Befürchtungen durch die Wahlerfolge der AfD, der so genannten Alternative für Deutschland, in erschreckendem Ausmaß bestätigt wurden, ist tragisch. Roths Recherchen über den angeblich gar nicht existierenden „Sachsensumpf“ trugen ihm seinerzeit bösartige Anfeindungen ein. Symptomatisch ist nun, dass in den offiziellen Wahlanalysen eisern über die Verstrickungen zwischen kriminellen und rechtsradikalen Strukturen geschwiegen wird. Dass auch nach dem Durchmarsch der Rechtsradikalen deren Brandstifter in Talkshows als bildungsbürgerliche Biedermänner auftreten können, dass in der CDU und ihrer östlichen Hochburg über den „Sachsensumpf“ kein Wort verloren wird, legt den Verdacht nahe, dass dieser Sumpf viel tiefer war und noch immer ist, als er von Jürgen Roth beschrieben wurde.

Sehr oft versuchten ihn Leute, deren Bestechungen und deren Bestechlichkeit er in seinen Büchern anprangerte, über deren Nähe zum Organisierten Verbrechen er schonungslos – und nicht ungestraft – unter Nennung von Ross und Reiter berichtete, gerichtlich mundtot zu machen. Ich habe das erstmals 1995 erlebt und im Vorläuferheft dieser BCC-Zeitschrift (2/1995) einen Artikel veröffentlicht: „Journalist Jürgen Roth in harter Bedrängnis – Eine Zensur findet (nicht) statt.“ Es lohnt sich heute noch, diesen vor fast einem Vierteljahrhundert geschriebenen Beitrag zur Pressefreiheit und zur besonders ihn betreffenden so genannten „Verdachtsberichterstattung“ zu lesen.

BCC hatte damals noch keinen Rechtshilfefonds. Also versuchte ich durch einen öffentlichen Spendenaufruf zu helfen. Es kam eine beachtliche Summe zusammen, die es ihm ermöglichte, den Angriff zu überstehen. Nachdem BCC den Rechtshilfefonds „Pro Veritate“ gegründet hatte, konnten wir Jürgen Roth helfen, einen zweiten heftigen Generalangriff auf seine Existenz als freier Autor abzuwehren. Wir konnten verhindern, dass ihn seine politischen Widersacher mundtot machten, nicht aber, dass ihn nun seine schwere Krankheit zum Schweigen brachte.

Wie Jürgen Roth mir wenige Tage vor seinem Tod verriet, wird in absehbarer Zeit sein nach der zunächst gelungenen Heilung fertiggestelltes letztes Buch „Die neuen Paten“ erscheinen. Schon in seinen zuletzt erschienenen Publikationen ging er – wie ich in der Rezension seines Buches „Schmutzige Demokratie“ (BIG Nr. 2/2017) zu zeigen versuchte – auf die größeren Strukturprobleme unserer Sozial- und Wirtschaftsordnung ein. Vor allem setzte er sich mit der europaweit zu verzeichnenden Ausbreitung nationalkonservativer und rechtsextremer Gesinnungen auseinander. Auch mit der Türkei, in der er – bevor er Journalist wurde – ein Jahr seines Lebens verbrachte. Schon lange sah er in einer Deutlichkeit Probleme auf Deutschland und Europa zukommen, die die naiven Anhänger einer sozial gerechteren Europäischen Union, angeführt von den großen Volksparteien, gar nicht wahrnahmen oder verharmlosten. Offensichtlich glaubten sie, mit ein paar zusätzlichen Sonntagsreden die kritischen Stimmen vom Tisch wischen zu können.

Jürgen Roth gehörte zu den ganz Wenigen der schreibenden Zunft, die in der weltweit zunehmenden Verfilzung von Ober- und Unterwelt die Hauptursache für die Zerstörung rechts- und sozialstaatlicher sowie demokratischer Strukturen erkannten. In den derzeitigen kapitalistischen Demokratien werden schwer erkämpfte und halbwegs rechtlich verankerte soziale und ökologische Errungenschaften brutal zurückgeschnitten oder mit kriminellen Methoden unterlaufen. Gerechtfertigt wird das Wegsehen und Schweigen meist mit dem fadenscheinigen Argument, ansonsten würden Investoren in Länder abwandern, in denen keine Gewerkschaften die Arbeitnehmer und keine Umweltschützer die Natur vor Ausbeutung schützen.

Der 1945 geborene Journalist und Publizist Jürgen Roth hat fast 50 Jahre lang seine Stimme für die Verlierer dieser oft sehr widersprüchlichen Verhältnisse erhoben. Er argumentierte anfangs noch mit den traditionellen marxistischen Kriterien, verwies auf Klassenstrukturen, die es ermöglichen, gigantische Reichtümer zu produzieren, die sich in immer weniger Händen konzentrieren und deshalb weltweit nicht nur immer mehr Reiche, sondern auch immer größere Armut, Verelendung und Unrecht generieren. Dass aber Regierende, auch frei gewählte, dies zulassen, dafür sogar Wählermehrheiten finden, lastete er immer entschiedener dem von ihm aufgezeigten unkontrollierten Zusammenwirken von Staatsapparaten, also Politikern, Beamten und Amtsträgern, mit kriminellen Elementen des Wirtschaftslebens an.

In mehreren seiner Büchern wies er überzeugend nach, dass dieses Zusammenspiel nicht nur an der Störung und schließlich Zerstörung des planwirtschaftlichen Realsozialismus maßgeblich beteiligt war. Das konnte er am Verlauf des Niedergangs der UdSSR und dem Aufstieg ideologisch gewendeter kommunistischer Kader zu führenden Oligarchen Russlands konkret aufzeigen. Er sah diese kriminellen Elemente jedoch ebenso im alten und – nach der Transformation der Planwirtschaften in kapitalistische Diktaturen – neuen „freien Westen“ am Werk. Und er erkannte und anerkannte, dass die von ihm besonders gründlich beobachtete Organisierte Kriminalität schon lange vor dem offiziellen Ende des Kalten Krieges sich zur Organisierten Wirtschaftskriminalität weiterentwickelt hatte.

Immer wieder belegte Jürgen Roth an konkreten Beispielen, wie übermächtig die Konzernwirtschaft geworden ist, sie deshalb unter bloßer Androhung von Arbeitsplatzverlagerung den Regierenden und Parlamentariern Deregulierung verordnen und Gesetze diktieren kann, mittels derer sie dann ihre gemeingefährlichen Ausbeutungs- und Bereicherungspraktiken ungestraft ausübt. Und schließlich – ich erinnere an TTIP – würden sie das Recht haben, ihre Verluste, die sie immer schon Gewerkschaften, linken Parteien, später auch Verbraucher- und Umweltschützern anlasten, gerichtlich einzuklagen. Schon jetzt wagen sich Wähler kaum noch, linke Parteien zu wählen, weil allein schon die Zunahme an Wählerstimmen für linke und ökologisch orientierte Parteien von vielen Investoren mit dem Abbau und der Verlagerung von Arbeitsplätzen und der gezielten Förderung rechter Parteien beantwortet wird.

Es wäre deshalb wichtig, wenn BCC Jürgen Roths Erkenntnisse nachhaltig aufarbeitet und weiterverbreitet. Auch wäre es wichtig, nochmals eine Diskussion über seine unter dem Begriff „Sachsensumpf“ bekannt gewordenen Enthüllungen zu beginnen. Was er damals unter heftigster Gegenwehr zur Sprache brachte, könnte heute besser als alle sonstigen Versuche zur Erklärung des Siegeszuges der AfD im Osten Deutschlands das Misslingen der Wiedervereinigung im Namen einer allzu kapitalfrommen Sozialstaats- und Globalisierungspolitik verständlich machen.

Wer Jürgen Roths Warnungen und Mahnungen ernst nimmt, seine in vielen Büchern und Aufsätzen festgehaltenen Erfahrungen und Erkenntnisse weiterverbreitet, wozu BCC besonders berufen und aufgerufen ist, wird nicht nur ihm, sondern auch denen, für die er sich engagiert und für die er viel riskiert hat, einen großen Dienst erweisen.

 

Prof. Dr. Hans See ist Gründer und Ehrenvorsitzender von Business Crime Control e.V.