Katrin Kusche

Sie wüteten wochenlang: Harvey, Irma und Maria haben in der Karibik und in Florida das Unterste nach oben gekehrt. Derweil fegten seit dem 23. August auch über Deutschland Wirbelstürme hinweg. Sie trugen Namen wie Martin, Kai, Christian oder Felix. Und wirbelten die ÖPP-Traumwelt durcheinander. Im Gegensatz zu den karibischen wetterbedingten Verheerungen bringen in Deutschland Journalisten aber vor allem Frischluft in den Mief öffentlich-privater Partnerschaften (ÖPP). Verheerend sind die Fakten, die aufgewirbelt werden. Seit Martin Balser in der Süddeutschen Zeitung über den herben Rückschlag der Autobahn-Privatisierung schrieb [1], zieht sich eine regelrechte Schneise der ÖPP-Negativmeldungen durch das Land; sie reicht von der Bundesautobahn A1 über Toll Collect und Maut-Panne bis hin zur A8 zwischen Augsburg und Ulm.

A1 mobil – ein negatives Paradebeispiel

Den größten Wirbel verursacht das ÖPP-Projekt rund um die A1 zwischen Bremen und Buchholz. Ihm droht zum Jahresende womöglich die Insolvenz. Konzessionsbeginn war der 16. August 2008. Die Projektgesellschaft A1 mobil GmbH & Co. KG baute das 72,5 Kilometer lange Teilstück von vier auf sechs Fahrspuren aus. Seit dem 11. November 2012 wird der Abschnitt befahren. Im Rahmen der 30-jährigen Konzession betreibt A1 mobil die Strecke außerdem und erhält sie, sorgt also für Streckenkontrolle, Sofortmaßnahmen am Straßenkörper (Kleinreparaturen), Grünpflege, Winterdienst und so weiter… [2]

Die Angaben zum Gesamtvolumen des Projekts schwanken zwischen 1 und 1,3 Milliarden Euro. Die Finanzierung der Investitionen erfolgte durch eine sogenannte Non-Recourse-Projektfinanzierung. Dabei verfolgen mehrere Projektbeteiligte – in diesem Falle waren es zunächst die Bauunternehmen Bilfinger Berger (42,5 Prozent, später A1 mobil Beteiligungs-GmbH, im Jahre 2014 vollständig von der Bunte PPP Investment GmbH erworben), John Laing (42,5 Prozent) und Johann Bunte (15 Prozent) – ein Investitionsvorhaben; die Kreditgeber können nur in der Höhe des von den Projektträgern eingebrachten Eigenkapitals auf deren Bonität zurückgreifen (non-recourse = „regresslos“) [3]. Die Eigenkapitalquote beträgt im vorliegenden Fall 7,7 Prozent [4], das eigene Kapital lag also lediglich bei rund 50 Millionen Euro.

Cashflow related lending (CRL) ist ein entscheidendes Merkmal dieser Art von Projektfinanzierung und bedeutet, dass die Kreditgewährung mit dem Zahlungsstrom verknüpft ist. Alle Verpflichtungen inklusive Zinsen und Tilgung für aufgenommene Kredite werden aus den künftig erwarteten Projektüberschüssen geleistet. In der Regel sind es Bankenkonsortien, die derartig riskante Kredite gewähren, denn die Finanzierungsentscheidung basiert auf angenommenen Erfolgsaussichten des Investitionsvorhabens. Im betrachteten Fall leisteten unter anderem Unicredit, Caja Madrid und DZ Bank sowie seit November 2008 auch Commerzbank und Deka Bank die Finanzierung [5], [6]. Insgesamt waren zeitweise bis zu neun Banken Gläubigerinnen des Projektes.

Wie die Süddeutsche Zeitung berichtete, haben die L-Bank und die Deka-Bank ihre Forderungen inzwischen verkauft, Hedgefonds sollen sich für Beteiligungen interessieren [7]. Das Fremdkapital liegt für das Projekt bei mindestens 600 Millionen Euro. Das Verhältnis von Fremdkapital zu Eigenkapital liegt bei 92 zu 8 [8], vielleicht sogar schlechter. Ein Häuslebauer käme unter solchen Voraussetzungen niemals zu einem Kredit.

Konzessionsgeber ist die Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Land Niedersachsen, dieses vertreten durch die Niedersächsische Straßenbauverwaltung. Das Projekt ist eines der ÖPP-Bundesfernstraßenprojekte der ersten Generation (A-Modell: auf Teilstrecken der A1, der A8, der A4 und der A5). Bei dem Modell erfolgt die Vergütung verkehrsmengenabhängig. Der Bund reicht im Falle der A1 einen Teil der Maut entsprechend der vertraglichen Vereinbarung an den Betreiber weiter und behält selbst einen fixen jährlichen Betrag aus den Mauteinnahmen der Strecke. Das gleicht einer Wette auf viel und möglichst steigenden LKW-Verkehr. Die Konzessionsnehmer versprachen sich im mittleren Szenario eine Rendite von jährlich durchschnittlich 30 Prozent wie der Verein Gemeingut in BürgerInnenhand anhand der Klageschrift inzwischen herausfand [9]. Traumhaft und unverschämt. Doch es kam anders.

Die LKW-Mauteinnahmen sprudelten nicht wie erhofft. Die Verkehrsmengen waren geringer als prognostiziert, wohl auch wegen der Finanzkrise. Bereits für das erste Geschäftsjahr 2008 weist der Jahresabschluss der A1 mobil GmbH & Co. KG per 31. Dezember einen Jahresfehlbetrag von gut zwölf Millionen Euro aus. Im Jahr 2009 kam laut Bilanz ein weiterer Jahresfehlbetrag von rund vier Millionen Euro hinzu, 2010 nochmals 4,8 Millionen. Derweil stiegen die Verbindlichkeiten gegenüber den Banken.

Das Geld wurde für die Erweiterung der A1 abgerufen und verbaut. So lässt der Jahresabschluss per 31. Dezember 2010 dann im Kapitel „C. Erläuterungen zur Bilanz“ unter Absatz (17) aufhorchen: „Die Gesellschaft weist zum 31. Dezember 2010 nicht durch Vermögenseinlagen gedeckte Verlustanteile der Kommanditisten in Höhe von EUR 21.018.518,94 (Vj. TEUR 16.218) aus. […] Nach Auffassung der Geschäftsführung ist die Gesellschaft trotzdem nicht i. S. d. § 19 InsO überschuldet […]. Da die Abwicklung des Betreiberprojektes einen längeren Zeitraum umfasst, können sichere Aussagen zur Gesamtprofitabilität des Projektes erst zu einem fortgeschrittenen Stadium getroffen werden. Aufgrund des vorliegenden Finanzmodells, basierend auf aktualisierten langfristigen Prognoserechnungen und gutachterlichen Stellungnahmen, kann nach Abschluss der Bauphase von zukünftigen positiven Cashflows und einem insgesamt positiven Ergebnis ausgegangen werden.“ [10]

Absatz „F. Rechtsstreitigkeiten“ informiert, dass die A1 mobil mit Schreiben vom 25. Juni 2010 ein Schlichtungsverfahren gegen den Konzessionsgeber eingeleitet, der Konzessionsgeber aber mit Schreiben vom 27. Januar 2011 mitgeteilt habe, dass sich das Bundesverkehrsministerium gegenwärtig noch nicht in der Lage sehe, das Ergebnis der Schlichtung anzunehmen. Die Bilanz konstatiert an dieser Stelle ein entwicklungsbeeinträchtigendes Risiko. Die Auswirkungen auf die Vermögens-, Finanz- und Ertragslage der Gesellschaft seien entsprechend mit Unsicherheiten behaftet. Rechts- und Beratungskosten in Höhe von 1,3 Millionen Euro tauchen auf.

Ähnlich sieht die Bilanzentwicklung zum 31. Dezember 2011 aus. Zum genannten Schlichtungsverfahren gibt es noch keine Einigung. 2012 setzt sich die Entwicklung fort (Jahresfehlbetrag über zehn Millionen Euro). Punkt F der Bilanz trägt jetzt die Überschrift „Bestandsgefährdende Tatsachen“. Es ist die Rede von „sehr ambitionierten“ Verkehrsprognosen und der Möglichkeit, dass Kredite gekündigt werden könnten, weil Kennzahlen nicht immer eingehalten werden. Es wird von drohendem teilweisen oder vollständigen Verlust des Eigenkapitals oder Insolvenz gesprochen. Zum 2010 eingeleiteten Schlichtungserfahren wird eine Einigung auf ein vertragsergänzendes Vergütungsmodell mit dem Bund vermeldet, das gesetzlich veränderte Maut-Höhen und Emissionsklassen berücksichtige. [11]

2013 wird es dann richtig ungemütlich: Hatten schon vorher vereinzelt personelle Wechsel in der Geschäftsführung stattgefunden, so folgen zwischen 2013 und Ende 2015 gleich mehrere. Die nächste Bilanz, für das Jahr 2013, trägt das Datum vom 24. März 2016 und ist nur vom Geschäftsführer Ralf Schmitz unterzeichnet; ein Bestätigungsvermerk durch die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – in den Vorjahren immer am Tag der Unterzeichnung durch die Geschäftsführung seitens Ernst & Young GmbH Wirtschaftsprüfungsgesellschaft – fehlt zumindest in der im Bundesanzeiger veröffentlichten Fassung [12]. 2013 betrug der Jahresfehlbetrag der Gesellschaft jetzt gut 755 Millionen Euro.

Unter Kapitel F konstatiert die Bilanz: „Selbst bei einer Fortschreibung der Verkehrsentwicklung gemäß der ursprünglichen Prognosen kann derzeit nicht davon ausgegangen werden, dass die durch die Kapitalgeber zur Verfügung gestellten Finanzmittel vollumfänglich zurückgezahlt werden können. Die Situation führte dazu, dass die im Kreditvertrag geforderten Cover Ratios nicht eingehalten werden konnten und somit ein Kündigungsgrund der kreditgebenden Banken entstand. Mit den Kreditinstituten wurde mit Datum vom 23. Dezember 2015 eine Stillhaltevereinbarung […] geschlossen, mit der fällige Zahlungen in einem bestimmten Umfang zeitlich begrenzt gestundet werden und die Kreditinstitute für die Laufzeit der Vereinbarung auf bestehende Kündigungsrechte verzichtet haben. Im Wesentlichen wird während der Dauer der Stillhaltevereinbarung nur freie Liquidität für den Schuldendienst verwendet.

Die Stundung endet grundsätzlich am 31. Dezember 2017 oder, falls dieser Zeitpunkt früher liegt, sechs Monate nach einer Entscheidung über mögliche Ansprüche der Gesellschaft auf eine Anpassung des Konzessionsvertrags in dem laufenden Schlichtungsverfahren zwischen der A1 mobil GmbH & Co. KG und dem Konzessionsgeber Bundesrepublik Deutschland. […] Die Kündigung und Fälligstellung der Kredite würde voraussichtlich zur Zahlungsunfähigkeit und Insolvenz der Gesellschaft führen. Die Fortführung der Unternehmenstätigkeit hängt, auch im Hinblick darauf, dass die Gesellschaft zum 31. Dezember 2013 ‚Nicht durch Vermögenseinlage gedeckte Verlustanteile der Kommanditisten‘ in Höhe von EUR 702,5 Mio. ausweist, davon ab, dass das Schlichtungsverfahren zu einem für die Gesellschaft positiven Ergebnis kommt […].“ [13]

Für 2014, also dem letzten Jahr, zu dem derzeit eine Bilanz zugänglich ist, verzeichnete die A1 mobil GmbH und Co. KG einen Jahresverlust von rund 1,7 Millionen Euro. Die Gesellschaft wies per 31. Dezember 2014 ein Eigenkapital in Höhe von -704.194.560,52 Euro aus. Das 2013 erwähnte Schlichtungsverfahren blieb in mehreren Verhandlungsrunden ergebnislos und endete im Februar 2017. Der Bund lehnte Verhandlungen über eine Vertragsanpassung und zusätzliche Zahlungen ab.

Am 21. August 2017 reichte die A1 mobil nun Klage gegen die Bundesrepublik Deutschland beim Landesgericht Hannover ein. Verklagt wird der Bund auf „Vertragsanpassung und Mehrvergütung aus dem Baukonzessionsvertrag“. Der Streitwert beträgt knapp 778 Millionen Euro. Gebeten wird seitens der Klägerin zu Beginn der Klageschrift um einen zeitnahen Gütetermin. Angesichts der oben beschriebenen Lage zum Jahresende ist dies durchaus nachvollziehbar.

ÖPP: Ein Verlustmodell

Der geschilderte Vorgang ist ein Bilderbuchbeispiel für die Mängel öffentlich-privater Partnerschaften: Während die reinen Baukosten des Projekts bei rund 516 Millionen Euro (inklusive Umsatzsteuer) lagen, belaufen sich die Zinsen für die Fremdfinanzierung aufgrund des geringen Eigenkapitals laut Klageschrift auf 519 Millionen Euro. Abgesehen vom ungesunden Verhältnis von Fremd- zu Eigenkapital lässt die Höhe der Zinsen darauf schließen, so berichtete jedenfalls Spiegel online am 23. September, dass die Kreditaufnahme zu wesentlich höheren Zinssätzen erfolgte als sie bei der Kreditaufnahme direkt durch die öffentliche Hand angefallen wären. Hierdurch dürften Projektzusatzkosten von rund 140 Millionen Euro entstanden sein. Das ergaben zumindest die Berechnungen des Grünen-Haushaltspolitikers Sven-Christian Kindler und des Vereins Gemeingut in Bürgerinnenhand [14]. Das gibt Kritikern Recht, die seit Jahren die generell erhöhten Mehrkosten durch ÖPP bemängeln.

Ebenso skandalös: die Intransparenz. Es besteht kein Zugang zu den Konzessionsverträgen; es gibt keine Information zu den Details der Schlichtungsverfahren. Obwohl zu jedem Projekt ein Frageschema vorlag, wurde in der Unterrichtung der Bundesregierung zu laufenden ÖPP-Projekten (Bundestagsdrucksache 1868/98 vom 25. November 2015) auf die Probleme des A1-Projektes nicht abgehoben. Stattdessen haben die Autoren sich bei Allgemeinplätzen aufgehalten oder aber auf die Vertraulichkeit der ÖPP-Wirtschaftlichkeitsuntersuchungen verwiesen. Pikant: Obwohl das Schlichtungsverfahren im Februar 2017 endete, wurde die massive „Schieflage“ des Projektes vom Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt offenbar verschwiegen. Vielleicht wäre bei Kenntnis aller Details zum A1-mobil-Debakel die Zwei-Drittel-Mehrheit für die Grundgesetzänderung zur Gründung der Infrastrukturgesellschaft Verkehr und zur Zementierung von ÖPP im Juni 2017 nicht zustande gekommen?

Nicht weniger besorgniserregend ist, dass der Bund nach den ersten Negativerfahrungen mit dem A-Modell für nachfolgende ÖPP-Straßenbauprojekte ab 2009 auf das V-Modell umgestiegen ist, wonach der Auftragnehmer ein verkehrsmengenunabhängiges Verfügbarkeitsentgelt erhält. „Die Vertragsparteien vereinbaren im ÖPP-Vertrag, in welchem Umfang die Vertragsstrecke jährlich uneingeschränkt verfügbar sein soll, das heißt zum Beispiel ohne baubedingte Fahrstreifenreduzierungen oder Geschwindigkeitsbeschränkungen. Erfüllt der Auftragnehmer diese Vorgabe, erhält er das volle vereinbarte Verfügbarkeitsentgelt […].“ Abschläge und Boni sind möglich. Offen bekennt das Bundesverkehrsministerium: „Die Risikostruktur von A-Modell und V-Modell unterscheiden sich somit in einem zentralen Punkt: der Vergütung.“ [15]

Das heißt nichts anderes, als dass die durch einen solchen Projektzuschnitt entstehenden Zusatzkosten (hoher Fremdkapitalbedarf, höhere Zinsforderungen bei Privaten als bei der öffentlichen Hand, überzogene Renditeerwartungen der Betreiber) legitimiert und von vornherein auf die BürgerInnen abgewälzt werden. Carl Waßmuth von Gemeingut in BürgerInnenhand spricht davon, dass die Bundesregierung „bedingungslose Renditegarantien für die Privaten zementiert. Nicht nur die Maut-Zahlenden, sondern alle Steuerzahlenden werden von vornherein haften. Das ist keine Lösung, sondern eine Verschärfung des Problems.“

Im Falle der A1 muss man zudem fragen, ob angesichts der schon 2008 und 2009 bekannten Verkehrsmengen ein sechsstreifiger Ausbau überhaupt sinnvoll war.

Bonnopoly: ÖPP im Rampenlicht

Egal, wo man hinschaut, die Faktenlage zu ÖPP-Projekten ist erdrückend und hat inzwischen schon das Theater erreicht. In Bonn wird derzeit das Stück „Bonnopoly. Das WCCB, die Stadt und ihr Ausverkauf“ aufgeführt (Regie: Volker Lösch). Wird es auch die A1 auf die Bühne schaffen?

Ein ÖPP-Projekt mit nachweislich und dauerhaft guten Kennziffern ist mir derzeit nicht bekannt. Dass der Verzicht auf ÖPP hingegen Vorteile bringt, ist belegt: in der Stadt Frankfurt am Main. Dort verzichtete man per Beschluss vom 26. Juni 2012 für das Brückenbauprogramm 2015 bis 2017 bewusst auf ÖPP und zog jetzt, im August 2017, im ersten Zwischenbericht folgendes Fazit:

„Nach den ersten beiden Jahren der Umsetzung zeigt sich, dass die Rückkehr zur konventionellen Unterhaltung der Bauwerke und das Nichtverfolgen des ÖPP-Projekts richtig waren. Die erhofften Vorteile haben sich im vollem Umfang eingestellt: Die Stadt allein entscheidet nach technischen, wirtschaftlichen und verkehrlichen Kriterien, welche Bauwerke wann, wie und in welchem Umfang instandgesetzt werden oder ob ein Neubau die sinnvollere Lösung ist. Das zuständige Fachamt legt die erforderlichen technischen Standards fest, nach denen die Instandsetzungsmaßnahmen durchgeführt werden und veranlasst dann die erforderlichen Planungen. Die Ausführung erfolgt ebenfalls in direktem Auftragsverhältnis mit Baufirmen. Im Zuge der Planung und Durchführung der Maßnahmen kann das teilweise verloren gegangene Know-how von städtischen Mitarbeitern wieder aufgebaut werden. Die Gesamtaufwendungen zur Instandhaltung und Werterhaltung des Bauwerksbestandes sind so deutlich geringer, da flexibel auf Situationen reagiert werden kann, die sich beim Bauen im Bestand erst im Zuge der Ausführung zeigen. Externe Dienstleister wären aufgrund vertraglicher Regularien (z. B. vertraglich zwingend einzuhaltende Qualitäten, DIN-Vorschriften etc.) deutlich unflexibler und damit teurer.“ [16]

Schafft Jamaika ÖPP ab?

Trotz solch positiver Erfahrungen mit ÖPP-Verzicht und der zahllosen negativen ÖPP-Befunde finden noch immer Spatenstiche für neue ÖPP-Desaster statt. Angesichts des Ergebnisses der diesjährigen Bundestagswahl bleibt für eine mögliche Jamaika-Koalition nur zu hoffen, dass die Grünen sich in den Koalitionsverhandlungen nicht nur an ihre Forderungen vor der Wahl erinnern, sondern sie auch politisch umsetzen können. Sven-Christian Kindler von den Grünen bilanzierte am 12. September: „Die öffentliche Infrastruktur wird durch öffentlich-private-Partnerschaften zur Gelddruckmaschine für große Unternehmen, zulasten des Staates und der Bürgerinnen und Bürger. Der Bundestag muss deswegen nach der Wahl öffentlich-private-Partnerschaften im Straßenbau per Gesetz verbieten.“ [17] Zuvor hatte Anton Hofreiter Ende August bereits versprochen: „Wir Grüne werden, falls es zu Koalitionsverhandlungen kommt, für [sic!] einen gesetzlichen Ausschluss von ÖPP im Verkehrswegebau drängen. ÖPP sind nachweislich teurer für den Staatshaushalt als die herkömmliche direkte Finanzierung […].“

Zu Jamaika gehören allerdings drei Partner, zwei davon sind ÖPP-affin. Öffentlicher Druck könnte den Grünen die Arbeit erleichtern, denn die ÖPP-Lobby lässt auch nicht locker. In einem Schreiben an die Abgeordneten des Bundestages schrieb Anfang September der Bundesverband Öffentlicher Banken Deutschlands unter anderem: „Insbesondere die vertraglichen Vereinbarungen über die Risikoverteilung unter Einbeziehung der Betriebsphase liefern Potenziale für Effizienzsteigerungen. Eine solche Form der Kooperation zwischen privaten Unternehmen und öffentlicher Hand ist nach den Erfahrungen aus bisherigen Projekten nachhaltig, zukunftsorientiert und haushaltspolitisch tragfähig.“

Falls die Klage im Falle der A1 gegen den Bund durchkommt mag das zutreffen: nachhaltig und zukunftsorientiert – für Banken und Renditejäger. Aber ist das der Auftrag öffentlicher Daseinsvorsorge?

Anmerkungen

[1] Martin Balser: „Autobahn-Privatisierung erleidet herben Rückschlag“, Süddeutsche Zeitung, 23. August 2017, www.sueddeutsche.de/wirtschaft/verkehrspolitik-autobahn-privatisierung-erleidet-herben-rueckschlag-1.3636110; letzte Prüfung 23. September 2017

[2] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: „Projektinformation: BAB A 1“. www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/StB/oepp-steckbrief-a1.html?nn=12830; letzte Prüfung 23. September 2017

[3] jodano.de/corporate-finance/non-recourse-finanzierung-definition-merkmale/; zuletzt geprüft 23. September 2017

[4] Hauptverband der deutschen Bauindustrie e. V.: „A1 (AK Bremen – AD Buchholz)“, www.oepp-plattform.de/projektdatenbank/a1-ak-bremen-ad-buchholz-a1-mobil-gmbh-co-kg-john-laing-johann-bunte/; letzte Prüfung: 23. September 2017

[5] Ebenda.

[6] Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft mbH: Das A-Modell A1; www.vifg.de/_downloads/projekte/a-modell/2010-07_Projektsteckbrief_A-Modell_A1.pdf, letzte Prüfung: 23. September 2017

[7] Markus Balser: „Finanzinvestoren greifen nach deutscher Autobahn“, Süddeutsche Zeitung, 08. September 2017; http://www.sueddeutsche.de/wirtschaft/autobahn-finanzinvestoren-greifen-nach-deutscher-autobahn-1.3658328; letzte Prüfung 25. September 2017

[8] Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft mbH: Das A-Modell A1; www.vifg.de/_downloads/projekte/a-modell/2010-07_Projektsteckbrief_A-Modell_A1.pdf, letzte Prüfung: 23. September 2017

[9] David Böcking: „Autobahnbetreiber rechneten mit Ackermann-Renditen“, Spiegel online, 23. September 2017; http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/a1-privatisierung-betreiber-rechneten-mit-ackermann-renditen-a-1169408.html, letzte Prüfung 23. September 2017

[10] A1 mobil GmbH & Co. KG Sittensen (vormals Rotenburg): Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01. Januar 2010 bis zum 31. Dezember 2010 Bilanz zum 31. Dezember 2010, Sittensen/Mannheim, 25. März 2011)

[11] A1 mobil GmbH & Co. KG Sittensen: Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01. Januar 2012 bis zum 31. Dezember 2012 Bilanz zum 31. Dezember 2012, Sittensen/Mannheim, 8. Juli 2013

[12] A1 mobil GmbH & Co. KG Sittensen: Jahresabschluss zum Geschäftsjahr vom 01. Januar 2013 bis zum 31. Dezember2013 Bilanz zum 31. Dezember 2013, Sittensen, 24. März 2016, Veröffentlichungsdatum Bundesanzeiger 4. Juli 2016, https://www.bundesanzeiger.de, letzte Prüfung 18. September 2017

[13] Ebenda.

[14] David Böcking: „Autobahnbetreiber rechneten mit Ackermann-Renditen“; Spiegel online, 23. September 2017, http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/a1-privatisierung-betreiber-rechneten-mit-ackermann-renditen-a-1169408.html; letzte Prüfung 23. September 2017

[15] Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur: „Das V-Modell (Verfügbarkeitsmodell)“, https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/StB/oepp-geschaeftsmodelle-v-modell.html, letzte Prüfung 23. September 2017

[16] Der Magistrat: „Bericht des Magistrats an die Stadtverordnetenversammlung“ B 244, Frankfurt am Main, 07. August 2017, Dezernat: VI Verkehr

[17] Sven-Christian Kindler: „PM Spatenstich A7 – ÖPP“; 12. September 2017;     https://www.sven-kindler.de/2017/09/pm-spatenstich-a7-oepp, letzte Prüfung 24. September 2017

[18] „Anton Hofreiter zur anhaltenden Debatte über Bauprojekte der öffentlichen-privaten Partnerschaft (ÖPP)“, Statement vom 25. August 2017; https://www.gruene-bundestag.de/presse/pressestatements/2017/august/anton-hofreiter-zur-anhaltenden-debatte-ueber-bauprojekte-der-oeffentlichen-privaten-partnerschaft-oepp-25-08-2017.html; letzte Prüfung 24. September 2017
[19] Brief des VÖB: „Berichterstattung über ÖPP-Projekte im Bundesfernstraßenbau, hier: Bundesautobahn A1 (Bremen-Hamburg), vom 01. September 2017

Katrin Kusche ist freiberufliche Journalistin und Redakteurin. Sie arbeitet unter anderem für die kultur- und wirtschaftspolitische Zweiwochenschrift „Ossietzky“ (www.ossietzky.net).

Aus: BIG Business Crime 4/2017