Katrin Kusche

Belangloses aus dem Bundeskabinett

Ein scheinbar harmloser Vorgang: „Das Bundeskabinett hat sich in seiner 129. Sitzung am 14. Dezember 2016 unter anderem mit der Neuordnung der Bund-Länder-Finanzbeziehungen befasst“, so nüchtern aggregiert die Bundesregierung Beschlüsse auf ihrer Website (1).

„Unter anderem“ – das klingt nach „ferner liefen“. Und, erfreulich: Es gibt ausschließlich Gewinner: „Mehr Geld für die Länder, mehr Kompetenzen für den Bund“ ist der Berichterstattung zu entnehmen (2). Und weiter: „Die Einigung sieht vor, dass der Bund die Länder ab 2020 mit jährlich gut 9,7 Milliarden Euro unterstützt.“ (3)

Teil des Gesamtpakets ist auch die Gründung einer Infrastrukturgesellschaft für Bau, Planung und Betrieb der Bundesautobahnen.“ (4) Eine Bundesgesellschaft soll ab 2021 die Investitionen ins Fernstraßennetz „in einer Hand bündeln“. Reibungsverluste sollen „beseitigt“ werden (5).

Ein Rundum-sorglos-Gesetzespaket. Nur an einer Stelle scheint auf, dass die Sache nicht so simpel ist: „Das Grundgesetz muss geändert werden.“ (6)

Bürgerbeteiligung als Farce

Die Gewerkschaft ver.di wertete das Gesetzesbündel, das im Frühjahr 2017 Bundestag und Bundesrat passieren soll, etwas anders. Sie schrieb in ihrer Stellungnahme an den Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt: „Mit dem Referentenentwurf wird eine Neuausrichtung des Verhältnisses von Bund und Ländern angestrebt, die in ihrer Bedeutung den Reformen der bundesstaatlichen Ordnung (Föderalismusreform I und II) gleichkommt.“ (7)

Änderungen für mehr als zehn Grundgesetzartikel stehen zur Debatte, dazu der Referentenentwurf für ein Begleitgesetz. Knapp vier Tage gab das Ministerium den Verbänden für ihre Stellungnahme Zeit, von Donnerstagmittag bis Montagmittag. Da bekam das Wort Advent an diesem Wochenende der Vorweihnachtszeit eine völlig neue Bedeutung für all jene Aktiven, die sich mit dieser Materie befassen durften.

„Wir weisen darauf hin, dass es angesichts des extremen Zeitdrucks nicht möglich war, eine abschließende und umfassende Stellungnahme auch nur mit Blick auf Teilbereiche des Gesetzespakets erstellen zu können. Wir gehen fest davon aus, dass der Bund seiner Verantwortung, im weiteren Verfahren eine vertiefte öffentliche Debatte zu ermöglichen, nachkommt“ (8), wetterten denn auch ver.di-Vorsitzender Frank Bsirske und Vorstandsmitglied Wolfgang Pieper in ihrem Anschreiben an Minister Dobrindt. Aufgrund der zudem kurzen Frist bis zum Kabinettsbeschluss hielt ver.di die Vorgehensweise „angesichts der Tragweite der anstehenden Entscheidungen“ für „vollkommen unangemessen und verantwortungslos“ (9).

 

(K)eine Autobahn-Privatisierung

Schon seit Monaten warnen privatisierungskritische Organisationen wie Gemeingut in BürgerInnenhand (GiB) vor der drohenden Autobahnprivatisierung, die zudem eine Welle neuer Privatisierungen im Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge auslösen könnte. Der promovierte Volkswirt und Wirtschaftsjournalist Norbert Häring fasst die Vorgänge unter dem Schlagwort „Autobahnraub“ (10) zusammen. Das ist deutlich.

ver.di sprach sich „insgesamt gegen die geplante Grundgesetzänderung wie auch die Gründung einer Infrastrukturgesellschaft Verkehr aus“ (11). Der Aufbau einer völlig neuen Organisationsstruktur gefährde einen aus Gewerkschaftssicht durchaus erforderlichen und bereits begonnenen Reformprozess für den Neu- und Ausbau sowie Erhalt der Autobahnen.

Weil erhebliche Teile der Bevölkerung Privatisierungsvorhaben ablehnen, vollführen Wirtschafts-, Finanz- und Verkehrsministerium seit langer Zeit einen kunstvollen Schleiertanz. Erst als im Juni 2016 GiB dank eines Whistleblowers einen ersten Entwurf für die geplante Grundgesetzänderung ins Netz stellen konnte, begannen sich die Konturen des Privatisierungsvorhabens deutlicher abzuzeichnen.

Am 14. Oktober 2016 einigten sich Bund und Länder im Rahmen des Finanzausgleichs auf den Einstieg in die Autobahnprivatisierung. SPD-Chef Sigmar Gabriel musste aber damit rechnen, dass die Mitglieder seiner Partei die Privatisierungskröte nicht so einfach schlucken würden.

Der Schleiertanz ging demzufolge weiter, an höchster Stelle, auf höchstem Niveau. Plötzlich stand der mögliche Verkauf von Anteilen der geplanten Infrastrukturgesellschaft Verkehr an Privatinvestoren im Raum. Eine Doppelschleiertaktik? Wollte man etwas Streichmasse – in diesem Fall die (Teil-)Privatisierung der Infrastrukturgesellschaft – ins Gesetzespaket einbringen, um am Ende das durchzubekommen, was von Anfang an geplant war?

Nach Intervention des Wirtschaftsministers Gabriel und der Ministerpräsidenten der Länder wurde der Doppelschleier Teilprivatisierung fallengelassen. Am 8. Dezember 2016 fasste Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsident Erwin Sellering die Vorgänge etwas holprig, aber glücklich zusammen:

„Wir haben ja im Oktober vereinbart, dass sich beide Seiten versprochen haben, vertragstreu das auszufüllen, was wir da beschlossen haben. (…) Dabei war für die Länder ganz entscheidend, dass die Autobahnen unveräußerlich sind – auch die Infrastrukturgesellschaft – und dass es da keine Privatisierung und auch keine Nachteile für die Beschäftigten geben soll.“ (12)

Die Privatisierung der Autobahnen ist also vom Tisch. Wirklich? Nein. Nur die sogenannte materielle Privatisierung, der direkte Verkauf der geplanten Investitionsgesellschaft, ist (im Moment) vom Tisch. Die Investitionsgesellschaft Verkehr soll zwar zu 100 Prozent dem Bund gehören, aber ins Privatrecht ausgelagert werden – als GmbH. Damit ist der Tatbestand einer formellen Privatisierung mit all ihren Nachteilen gegeben.

 

Geplanter Wildwuchs und „Schattenhaushalte“

Ein Gutachten des Bundesrechnungshofes vom 30. November 2016 bestätigt, dass eine solche zu bildende GmbH nach der formellen Privatisierung kaum noch öffentlich kontrolliert werden kann (13), weder vom Parlament noch von den Bürgern. Geschäftsgeheimnisse konterkarieren eine transparente Verkehrsinfrastrukturplanung.

Zudem verbietet die geplante Grundgesetzänderung der neuen Autobahn-GmbH nicht, Tochtergesellschaften zu bilden und diese gegebenenfalls zu verkaufen. Was da an „schlanker und effizienter Struktur“ droht, lässt sich am Beispiel der Deutsche Bahn AG belegen. Sie hatte im Jahr 2011 allein über 1000 Tochtergesellschaften (14), aktuell soll die Zahl bei 950 liegen.

Für den Erhalt, Ausbau und Betrieb der Autobahnen kann und soll die neue Infrastrukturgesellschaft Verkehr öffentlich-private Partnerschaften (ÖPP) nutzen. Sie sind unter dem Schlagwort funktionale Privatisierung zu fassen. Dabei werden die zuvor vom Staat erfüllten Aufgaben von der Privatwirtschaft übernommen, ohne dass es zu einer Übertragung der Aufgabe selbst kommt. Private Investoren übernehmen die Bauleistungen, die Finanzierung sowie den Betrieb einzelner Autobahnabschnitte oder Teilnetze. Das Auftragsverhältnis ist zeitlich begrenzt, in der Regel auf 30 Jahre. Autobahnen werden zu Anlageobjekten und die so gebildeten Finanzprodukte weltweit gehandelt – auch in Steueroasen.

Ziel der Privatwirtschaft ist es, möglichst hohe Profite zu machen. Andreas Lindner, Chefanleger der Allianz Leben, reibt sich vermutlich schon die Hände. Vor einigen Monaten legte er in einem Interview dar, wie wichtig Infrastrukturinvestments für ihn seien. Grundsätzlich erwarte die Allianz bei solchen Investments Renditen „zwischen fünf und acht Prozent, je nach Risiko der Anlage“ (15). Umwelt- und Klimaschutz sowie alternative Verkehrskonzepte bleiben angesichts so traumhafter Investments am Ende auf der Strecke. Autobahnwildwuchs ist vorprogrammiert.

Formelle und funktionale Privatisierung werden letztlich ein teurer Spaß für den Steuerzahler. Bereits im Jahr 2014 stellte der Bundesrechnungshof für fünf von sechs ÖPP-Projekten Mehrkosten von insgesamt über 1,9 Milliarden Euro gegenüber einer rein öffentlichen Umsetzung fest (16).

Warum mutet der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern solch ein schlechtes Geschäft zu? Darauf gibt es viele mögliche Antworten. Man denke nur an die staatlich gepuschte Riesterrente, die Politiker aufgrund der Finanzmarktlage sicherlich nicht gern abschmieren sehen möchten. Oder an den Investitionsstau im Bereich der Verkehrsinfrastruktur, der nur unter Umgehung der Schuldenbremse abzubauen sei. Dafür könnte das Modell der Autobahn-GmbH herhalten.

Von derartigen „Schattenhaushalten“ träumt nicht nur der Bund, auch Länder wie Berlin entwickeln offenbar Ideen für kreative Buchführung. So war im Rahmen der Berliner Koalitionsverhandlungen von Rot-Rot-Grün zu lesen: „Weil ab 2020 die ‚Schuldenbremse‘ neue Kredite im Landesetat verbietet, soll ein Großteil der Investitionen indirekt aufgebracht werden – nämlich über Landesgesellschaften, die sich verschulden. Das betrifft etwa die Anschaffung neuer U-Bahn-Wagen durch die BVG, aber auch die Sanierung der städtischen Vivantes-Krankenhäuser und die Sanierung sowie den Neubau von Schulen.“ (17)

Neben höheren Kosten und einem bunten Privatisierungsstrauß drohen also intransparente Schulden-Verschiebebahnhöfe. Die vom Bund geplante Autobahnprivatisierung wirkt da wie ein Türöffner.

 

Protest gegen geplante Privatisierung

Verhindert werden könnten diese Grundgesetzänderungen von couragierten SPD-Bundestagsabgeordneten, falls diese sich trauen, durch ihr Stimmverhalten die geplante Grundgesetzänderung zu stoppen. Werden es Mitgliederbasis und privatisierungskritische Bürgerinnen und Bürger schaffen, die Abgeordneten in den nächsten Wochen in dieser Hinsicht zu bestärken?

Rund 265.000 Unterschriften sammelte in den vergangenen Monaten allein campact (18) gegen die Autobahnprivatisierung, flankierend zu den Protesten und Unterschriftensammlungen von Gemeingut in BürgerInnenhand (19) und der verbändeübergreifenden Plattform gegen die Bundesfernstraßengesellschaft (20).

Oder werden Lobbyistinnen und Lobbyisten wie Jürgen Fitschen, bis Mai 2016 Co-Vorsitzender des Vorstands der Deutschen Bank AG, oder Helga Jung, Vorstandsmitglied der Allianz SE, die sich neben weiteren in der 2014 von Wirtschaftsminister Gabriel einberufenen Fratzscher-Kommission (21) zur „Stärkung von Investitionen in Deutschland“ tummeln, am Ende einen neuen Privatisierungs-Sieg davontragen?

 

 

Anmerkungen:

(1) Zitiert nach der Website der Bundesregierung, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Kabinettssitzung/2016/12/2016-12-14-kabinett.html?nn=434518, letzte Prüfung: 18. Dezember 2016.

(2) Zitiert nach der Website der Bundesregierung, https://www.bundesregierung.de/Content/DE/Artikel/2016/12/2016-12-14-bund-laender-finanzausgleich.html?nn=434518, letzte Prüfung: 18. Dezember 2016.

(3) Ebenda.

(4) Ebenda.

(5) Ebenda.

(6) Ebenda.

(7) Stellungnahme der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft zum Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 74, 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g) sowie zum Entwurf eines Begleitgesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften, 28. November 2016, Seite 1.

(8) ver.di-Anschreiben vom 28. November 2016 an den Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur, Herrn Alexander Dobrindt, zur unter (7) genannten Stellungnahme.

(9) Stellungnahme wie unter (7) ausgeführt, Seite 1.

(10) http://norberthaering.de; letzte Prüfung

28. Dezember 2016.

(11) Stellungnahme wie unter (7) ausgeführt, Seite 2.

(12) Mitschrift der Pressekonferenz von Bundeskanzlerin Merkel, Ministerpräsident Sellering und Ministerpräsident Haseloff am 9. Dezember 2016 in Berlin im Wortlaut, https://www.bundeskanzlerin.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2016/12/2016-12-09-pk-merkel-sellering-haseloff.html, letzte Prüfung 4. Januar 2017.

(13) Der Präsident des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit

in der Verwaltung: „Gutachten des Bundesbeauftragten für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung zu Organisationsformen und Finanzierungsvarianten für die Bundesfernstraßen“, Gz . V 3 – 2015 – 1068, Bonn, den 30. November 2016.

(14) „Deutsche Bahn räumt bei Tochtergesellschaften auf“, 21. Juli 2011, www.eurailpress.de/news/wirtschaft-unternehmen/single-view/news/deutsche-bahn-raeumt-bei-tochtergesellschaften-auf-1.html, letzte Prüfung 28. Dezember 2016.

(15) „Immer noch Chancen auf gute Erträge“, Interview von Markus Sievers mit dem Chefanleger der Allianz Leben, Andreas Lindner, Berliner Zeitung, Nummer 183, 6./7. August 2016, S. 6

(16) Bundesrechnungshof: „Bericht an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach 88 Abs. 2 BHO über Öffentlich Private Partnerschaften (ÖPP) als Beschaffungsvariante im Bundesfernstraßenbau“,

Gz.: V3-2013-5166, Bonn, den 4. Juni 2014.

(17) „Viel investieren, wenig tilgen“, Jan Thomsen, Berliner Zeitung, Nummer 266, 12./13. November 2016, Seite, 9.

(18) https://www.campact.de/autobahn-ag/, letzte Prüfung 10. Januar 2017.

(19) https://www.gemeingut.org/, letzte Prüfung 10. Januar 2017.

(20) https://www.keine-fernstrassengesellschaft.de/, letzte Prüfung 10. Januar 2017.

(21) Informationen zur Arbeit und Zusammensetzung der „Expertenkommission zur Stärkung von Investitionen in Deutschland“, der sogenannten Fratzscher-Kommission, finden sich unter anderem auf der Website https://lobbypedia.de/wiki/Expertenkommission_zur_St%C3%A4rkung_von_Investitionen_in_Deutschland. Letzte Prüfung 10. Januar 2017.

 

Katrin Kusche ist freiberufliche Journalistin und Redakteurin. Sie arbeitet unter anderem für die kultur- und wirtschaftspolitische Zweiwochenschrift „Ossietzky“ (www.ossietzky.net).

 

Aus: BIG Business Crime Nr. 1/2017