Den Beitrag „Die Welt, wie sie stinkt – kriminelle Müllentsorgung“ von Gerd Bedszent übernehmen wir aus unserer Zeitschrift BIG BUSINESS CRIME (Ausgaben 01/2016) mit freundlicher Genehmigung von Gerd Bedszent.
Wenn die Hafennutten fragen / Woher kommt Ihr, woher, wo / Welche Fracht habt Ihr geladen / Warum stinkt Ihr so?
Das Thema Müllentsorgung ist so alt wie der Kapitalismus selbst. Eine Industrie stellt nicht nur Waren her, sie produziert auch Abfälle. In vorkapitalistischen Gesellschaften war das Problem zwar auch vorhanden, wurde jedoch nicht als solches empfunden. Der Mensch verstand sich (nicht zu Unrecht) als Bestandteil der Natur und man überließ es eben dieser Natur, mit den Hinterlassenschaften menschlicher Tätigkeit wieder fertig zu werden. Was ihr zumeist auch gelang. Immerhin zeugen Abraumhalden in der Umgebung uralter Bergwerke, dass es damals ganz ohne Umweltverschmutzung auch nicht abging.
Mit den großen Industriestandorten und dem im 19. Jahrhundert ins Massenhafte gewachsenen städtischen Proletariat entstand ein erstes Unbehagen gegenüber der noch in ihren Anfängen steckenden Verschmutzung der Umwelt und ihren gesundheitsgefährdenden Folgen. So ließ beispielsweise der Schriftsteller Victor Hugo seinen Helden Jean Valjean beim Pariser Aufstand des Jahres 1832 beinahe in der Kloake ersaufen.
Friedrich Engels brachte das Problem der Wechselwirkung zwischen kapitalistischer Warenproduktion und Vernutzung der Umwelt schon im Jahre 1876 theoretisch auf den Punkt: „Wenn der einzelne Fabrikant oder Kaufmann die fabrizierte oder eingekaufte Ware nur mit dem üblichen Profitchen verkauft, so ist er zufrieden, und es kümmert ihn nicht, was nachher aus der Ware und deren Käufer wird. Ebenso mit den natürlichen Wirkungen derselben Handlungen. Die spanischen Pflanzer in Kuba, die die Wälder an den Abhängen niederbrannten und in der Asche Dünger genug für eine Generation höchst rentabler Kaffeebäume vorfanden – was lag ihnen daran, dass nachher die tropischen Regengüsse die nun schutzlose Dammerde herabschwemmten und nur nackten Fels hinterließen?“ (Engels, S. 79)
Der Schriftsteller und Kunsthandwerker Willam Morris (der Engels übrigens persönlich kannte) hatte im 1890 erschienenen utopischen Roman „Kunde von Nirgendwo“ seiner zunehmend dreckiger werdenden Gegenwart eine auf sozialer Gerechtigkeit basierende Öko-Idylle entgegengesetzt. Morris war der erste, aber keineswegs letzte Schriftsteller, der das Thema Umweltzerstörung behandelte und als ihre Ursache die kapitalistische Industrieproduktion benannte.
Von grüner Empörung zum Grünen Punkt
Andere, die tierisch stinken / Lässig mit dem Dollar winken / Unser grüner Funker unkte / Zehn Milliarden grüne Punkte
Die hemmungslose Vernutzung der Umwelt drohte irgendwann, die Grundlagen der kapitalistischen Wertschöpfung zu unterminieren. Gigantische Berge von Coladosen und Plastiktüten wurden zum Symbol für die Unfähigkeit des Kapitalismus, mit seinen eigenen Abprodukten fertig zu werden. In verschiedenen Industriestaaten begannen Teile der Bevölkerung angesichts der Ignoranz ihrer Regierungen gegenüber der nicht mehr zu leugnenden Problematik aufzubegehren. Die grüne Bewegung speiste sich nicht nur aus den Protesten gegen Atomkraftwerke und industrielle Dreckschleudern – auch die immer gigantischer werdenden Müllgebirge standen zu Recht unter Kritik.
Die in dieser Richtung sensibilisierte Stimmung in der Bevölkerung schlug sich auch in Werken der Kunst und Kultur nieder. Schon 1986 hatte beispielsweise Ulknudel Dieter Hallervorden in einem seiner eher schlechten Filme vergeblich versucht, das Thema ins Komische zu drehen. 1993 erschien dann das damals vielbeachtete Sachbuch „Deutscher Müll für alle Welt“, in dem der Fernsehjournalist Winfried Schnurbus in seltener Offenheit die Namen zahlreicher krimineller Geschäftemacher öffentlich machte. Und wie keineswegs nur der „Müllshanty“ des damals bekannten Liedermacherduos Mensching & Wenzel belegt, reichte die Empörung über Machenschaften der deutschen Müllmafia noch bis weit in die 1990er Jahre hinein.
„Es muss Schluss werden mit der herrschenden Produktionslogik: dass erst ökologische Grundlagen zerstört werden dürfen und dafür hinterher im besten Fall ein paar Mark Ablass gezahlt werden müssen. Wir brauchen eine Wirtschaftsform, die weder Mensch noch Natur ausbeutet.“ (Ditfurth/Glaser, Seite 12) Dieses Zitat aus einem grünen Standardwerk der 1980er Jahre belegt, dass sich dieser Protest trotz allem radikalen Getöse und teilweise auch militanter Aktionsformen durchaus in systemkonformen Bahnen bewegte.
Gefordert wurde letztlich nur ein Mindestmaß an Umweltstandards sowie eine Regelung, dass Unternehmen für die von ihnen verursachte Umweltzerstörung in vollem Umfang aufzukommen hätten. Es sollte ihnen die Möglichkeit genommen werden, diese Kosten, wie bisher praktiziert, vollständig oder teilweise auf die öffentliche Hand abzuwälzen.
Die Verabschiedung entsprechender gesetzlicher Auflagen stieß von Anfang an auf den erbitterten Widerstand des liberalen Flügels des Bürgertums, der darin einen unzulässigen Eingriff in das Marktgeschehen sah. Die etwa zeitgleich mit der Entstehung der Öko-Bewegung aufkommende obskure Ideologie des Neoliberalismus setzte voll auf die angeblichen Selbstheilungskräfte des Marktes und lehnte jede Form staatlicher Reglementierung ab.
Da die Marktkräfte aber nicht die allergeringsten Anstalten machten, sich des Problems anzunehmen, und die vielerorts entstandenen Bürgerinitiativen und Nicht-Regierungs-Organisationen sich ob des neoliberalen Getöses völlig unbeeindruckt zeigten, setzten sich solche Reglementierungen dennoch schrittweise durch. 1991 wurde die bundesdeutsche Industrie mit Einführung des dualen Systems verpflichtet, die von ihr erzeugten Verpackungen wieder zurückzunehmen und zu recyceln. Dies war letztlich auch die Geburtsstunde des Grünen Punktes. Wenig thematisiert wird in diesem Zusammenhang, dass die damals bereits verschwundene DDR schon Jahrzehnte vorher ein vergleichsweise vorbildliches System zur Erfassung und Verwertung sogenannter Sekundärrohstoffe eingeführt hatte.
Das duale System, wie es bis heute besteht, macht, wie selbst Kritiker einräumen, durchaus Sinn. Durch die vorgeschriebene Mülltrennung konnte bei bestimmten Abfallarten, wie zum Beispiel Papier und Glas, der wiederverwendete Anteil enorm gesteigert werden; derzeit beträgt er etwa 80 Prozent. Bei anderen Abfallarten, zum Beispiel Plastik, liegt die Recyclingquote allerdings wesentlich niedriger. Und an einen geschlossenen Kreislauf, also eine 100 %ige Wiederverwendung des Abfalls, ist nicht einmal im Traum zu denken. Die Müllberge wachsen also seit 1991 weiter, nur etwas langsamer.
Zum Teil wurde durch das duale System aber auch das genaue Gegenteil dessen erreicht, was Umweltschützer eigentlich beabsichtigten. Die Coladose, lange Zeit Symbol einer verfehlten Umweltpolitik, ist zwar weitgehend aus der Öffentlichkeit verschwunden. Dafür erlebte die Plastikflasche einen Siegeszug. Und der Anteil wiederverwendungsfähiger Glasflaschen ist nicht etwa gestiegen, sondern sogar etwas gesunken.
Die Entsorgungskosten für Produktionsabfälle und das Endprodukt, wenn es dann irgendwann einmal nicht mehr nutzbar ist, haben jetzt ganz offiziell ihren Platz in der ordinären betriebswirtschaftlichen Kalkulation jedes Unternehmens. Sie werden somit ein Bestandteil der Preisbildung und letztlich vom Endverbraucher des Produktes getragen. Wesentlich profitabler ist es freilich, diese Kosten klammheimlich auf „Null“ zu setzen und die Entsorgung wieder der öffentlichen Hand zu überlassen. Widerspricht dies der gültigen Gesetzgebung, ist das Unternehmen kriminell.
Was liegt für einen gerissenen Unternehmer also näher, als bei der Entsorgung von Industrieabfällen auf das Territorium von Staaten auszuweichen, die aus Unkenntnis oder auch um eines kurzsichtigen Standortvorteils willen noch keine diesbezüglichen Gesetze verabschiedet haben. Das nennt man dann Müllexport. Allein im Jahre 1990 exportierte die alte Bundesrepublik ganz offiziell 520.000 Tonnen Sondermüll (Schnurbus, Seite 334),
Der Osten als Buhmann
Ob in Rio, in Kalkutta / Klebt am Brotpapier noch Butter / Sucht, ihr Brüder, auf den Knien / nach den kostbaren Kalorien
Die geschäftlichen Aktivitäten von Müllschiebern waren in den „grünen“ 1980er Jahren in Westeuropa ein politisch brisantes Thema. Als Folge von Enthüllungen zur ökologischen Kontamination ganzer Regionen und der schleichenden Vergiftung der Bevölkerung von Staaten, in denen die kriminellen Geschäftsleute kostengünstig ihren Dreck entsorgten, gab einen medialen Gegenlauf. Nach dem Motto „Selber schuld“ wurden nicht die Verursacher, sondern die Abnehmer der toxischen Abfälle für die Vergiftung der Natur verantwortlich gemacht.
Besonders schoss man sich auf die DDR ein. Deren Führung war in den 1970er Jahren unvorsichtigerweise in die Schuldenfalle getappt. Um Zinsen und Tilgungsraten unter anderem an bundesdeutsche Banken weiter berappen zu können, waren ostdeutsche Technokraten unter Nichtbeachtung der eigenen Umweltgesetzgebung irgendwann dazu übergegangen, westdeutschen Firmen und Institutionen billig ihren Dreck abzunehmen.
Das Schlimmste kam dann allerdings später: Nach der Grenzöffnung von 1989 und dem Zusammenbruch großer Teile der ostdeutschen Wirtschaft als Folge der neoliberalen Schocktherapie fielen ganze Horden von kriminellen Müllschiebern über die Landschaften der verendenden DDR her. Greenpeace veröffentlichte damals ein Dossier über die „Müllkolonie Ostdeutschland“ und wies nach, dass vom November 1989 bis Herbst 1991 mehr als 10 Millionen Tonnen westdeutscher Müll legal oder illegal auf ostdeutschen Deponien oder in Verbrennungsanlagen landeten.
Der dann folgende Aufschrei der Empörung resultierte freilich hauptsächlich daraus, dass man nach dem 3. Oktober 1990 den schon einmal günstig exportierten giftigen Ballast nun wieder am Hals hatte. Bei so etwas verstanden bundesdeutsche Politik und Justiz plötzlich keinen Spaß mehr.
Das Problem war damit freilich nicht aus der Welt. Und für Müllexporte standen nach dem Verschwinden der DDR gleich eine ganze Reihe anderer Staaten Osteuropas und Ostasiens als Abnehmer bereit. Nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus hatte sich sowohl unter dessen gewesenen Funktionären als auch unter den Politkadern neu entstandener Parteien neoliberales Ideengut in rasendem Tempo ausgebreitet. Geschäftemacherei galt plötzlich als etwas Positives, Gesetze und Vorschriften als hinderlicher Ballast. Alles, was aus dem Westen kam, durfte nicht hinterfragt werden. Selbst dann nicht, wenn es sich um hochgiftigen Müll handelte.
Die Methoden, mit denen die Müllmafia Anfang der 1990er Jahre versuchte, ihren Schnitt zu machen, kann man nur als perfide bezeichnen. Verschiedene Geschäftsleute schreckten nicht einmal davor zurück, gefährliche Giftstoffe als Hilfssendungen für notleidende Volkswirtschaften zu deklarieren.
So landeten beispielsweise 1991 und 1992, getarnt als „humanitäre Hilfe für die Landwirtschaft“, mehrere größere Transporte mit „Pflanzenschutzmitteln“ im krisengeschüttelten Albanien. Erst nach mehreren Monaten bekamen die örtlichen Behörden mit, dass es sich um überalterte und in Deutschland verbotene Pestizide handelte, die eigentlich hätten als Sonderabfall entsorgt werden müssen. Absender war eine in Niedersachsen ansässige Firma (Schnurbus, S. 231f).
Das geschilderte Beispiel war übrigens keineswegs ein Einzelfall; unter anderem landete schadstoffkontaminiertes Altöl, getarnt als „Brennstoff für Heizkraftwerke“, damals in mehreren baltischen Staaten. Als Folge eines Unfalls verbrannten 1992 im Hafen von Tallin 5.000 Tonnen aus Deutschland, Belgien und Norwegen importierter Altreifen. Zwischen 1986 und 1992 landeten mindestens 16.000 Tonnen westeuropäischen Mülls in Rumänien.
Importierte Katastrophen und Armutspiraterie
Mäuse nicht und keine Ratten / Nagen an der teuren Fracht / Der Gestank hat selbst die satten / Fliegen umgebracht
Es gab und gibt zwar durchaus auch Widerstände gegen die Müllschwemme. Die Baseler Konvention von 1991 beispielsweise verbot die Ausfuhr gefährlicher Abfälle in Entwicklungsländer. Die Rolle der westeuropäischen Staaten kann, insgesamt gesehen, jedoch nur als zwiespältig bezeichnet werden. Einerseits traten diese offiziell gegen den Müllexport auf und prangerten ihn bei jeder Gelegenheit an. Andererseits taten sie sich lange Zeit schwer, verbindliche Gesetze gegen illegale Müllausfuhr zu verabschieden. Oder sie taten es zwar, unternahmen aber keine Anstrengungen, die Verbote auch durchzusetzen.
Als Auslöser gilt ein im Jahre 1988 bekannt gewordener Fall: Ein italienischer Geschäftsmann hatte damals undichte Fässer mit hochgiftigen Lösungsmitteln in eine nigerianische Hafenstadt verschifft und sie dort sich selbst überlassen. Als sich massive Gesundheitsprobleme bei der Bevölkerung zeigten, zwang die damalige nigerianische Regierung Italien, den Dreck wieder zurückzunehmen – eine der seltenen Erfolge peripherer Staaten im Kampf gegen die Müllmafia.
Eine Reihe afrikanischer Staaten, die die Baseler Konvention zuvor als unzureichend kritisiert hatten, verabschiedeten 1992 eine eigene Konvention, welche jede Art von Müllexport auf den afrikanischen Kontinent verbot. Andere Länder verabschiedeten nationale Gesetze, die die Einfuhr fremden Mülls verhindern oder zumindest erschweren sollten.
Der Zusammenbruch staatssozialistischer Ideen und der nachfolgende Siegeszug des Neoliberalismus hatten allerdings auch um Afrika keinen Bogen gemacht. Unter dem Druck ihrer Gläubiger ratifizierten zahlreiche afrikanische Staaten die Konventionen gegen Giftmüllimporte nicht und duldete diese klammheimlich.
Außerdem gibt es kein Gesetz, das man nicht umgehen kann. Meist reicht nur eine kleine Umdeklaration der Fracht und schon wird aus gefährlichen Giften eine ganz normale Ladung von zu recycelnden Industriegütern. Bei der Menge an globalem Warenverkehr können Kontrollen ohnehin nur stichpunktartig erfolgen. Und bei den chronisch unterbezahlten Zöllnern und Polizisten in peripheren Staaten reicht meist ein kleiner Bakschisch, damit sie ihre Augen gegenüber merkwürdigen Widersprüchen in Frachtpapieren schließen. Aber manchmal ist so etwas auch gar nicht notwendig. Vor allem dann nicht, wenn die Müllschieber zuvor Kontakte zu höheren Regierungsstellen geknüpft hatten.
Als extremes Beispiel sei hier die Umweltkatastrophe vom August 2006 im westafrikanischen Staat Côte d’Ivoire genannt. Mit Wissen der damaligen notorisch korrupten Regierung entsorgte ein unter einer Billigflagge fahrendes Schiff 500 Tonnen hochgiftige Rückstände einer niederländischen Ölfirma ausgerechnet auf öffentlich zugänglichen Mülldeponien der ivorischen Metropole Abidjan. Nach offiziellen Angaben erkrankten binnen weniger Tage 15.000 Menschen; es gab mindestens 15 Tote. Die Folge war das Wiederausbrechen des seit Jahren schwelenden Bürgerkrieges und ein von französischen Truppen erzwungener Regimewechsel.
Es gab aus diesem Anlass eine kleine Anfrage der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen, wieviel Kontrollen jährlich in deutschen Häfen zur illegalen Müllverbringen stattfänden. Bezeichnenderweise konnte oder wollte die Bundesregierung diese Frage nicht beantworten.
Ein weiteres extremes Beispiel: Aus den Hoheitsgewässern des schon seit über 20 Jahren von Kriegen und Bürgerkriegen zerrissenen, faktisch nicht mehr existenten Staates Somalia wurden bei dem Tsunami von 2004 zahlreiche Fässer mit hochgiftigen und radioaktiven Abfällen an die Strände gespült. Die Folge waren schwere Gesundheitsschäden bei Teilen der Bevölkerung. Wie sich herausstellte, waren die Fässer in den 1990er Jahren unter Beteiligung von Politikern der notorisch korrupten sogenannten Übergangsregierung für umgerechnet 2,50 US-Dollar pro Tonne von kriminellen Geschäftemachern einfach ins Meer verklappt worden. (Nur zum Vergleich: Die halbwegs fachgerechnete Entsorgung von Giften kostet in den USA oder in Westeuropa pro Tonne zwischen 250 und 1.000 US-Dollar)
Profiteure des Umweltskandals waren eine italienische und eine Schweizer Firma. Einen somalischen Küstenschutz, der solchen Praktiken Einhalt gebieten könnte, gibt es nicht. Zusammen mit der von ausländischen Flotten regelmäßig betriebenen Raubfischerei bedeutete die Vergiftung der Küstengewässer für den traditionell betriebenen Fischfang das Ende.
An die internationale Öffentlichkeit kam der Skandal bezeichnenderweise nur, weil einkommenslos gewordene Bewohner von Küstendörfern zur Piraterie übergingen, westliche Handelsschiffe auf dem Indischen Ozean zielgerichtet kaperten und die Besatzungen als Geiseln nahmen. Der demokratische Westen reagierte mit der Entsendung von Kriegsschiffen. Diese sollten allerdings nur die Piraterie unterbinden – Raubfischerei und illegale Müllentsorgung fielen nicht in ihre Zuständigkeit.
Endlager für Computertechnik
Hexen lesen gute Omen / Aus benutzen Feuchtkondomen / Und manch altes Spritzbesteck / Das erfüllt nochmal den Zweck
Galten in den 1980er und 1990er Jahren Chemieabfälle noch als Hauptproblem bei der illegalen Müllentsorgung, so ist es heute Elektronikschrott. Nach einem offiziellen Bericht des UN-Umweltprogramms Unep aus dem Jahre 2015 sei über Afrika ein „Tsunami aus Elektroschrott“ hereingebrochen.
Über 20.000 Kinder sollen allein in Afrika damit beschäftigt sein, Elektroschrott auseinanderzubauen und vermarktbare Bestandteile, meist Buntmetall, auszusortieren. Die nicht verwertbaren Reste wandern dann im Regelfall auf unkontrollierte und völlig ungesicherte Deponien. Die meisten Geräte enthalten auch hochgiftige Schwermetalle: Blei, Quecksilber, Chrom, Cadmium… Zahlreiche Kinder erlitten Schäden durch bei der Demontage anfallende giftige Dämpfe.
Laut Unep beträgt die von der Elektroindustrie jährlich weltweit erzeugte Müllmenge derzeit 41 Millionen Tonnen; ein Anwachsen auf 50 Millionen Tonnen ist für die nächsten Jahre prognostiziert. Deutschland ist davon mit etwa 1,5 Millionen Tonnen beteiligt. Bis zu 90 % dieses E-Schrotts würden illegal gehandelt und entsorgt.
Weltweit geht nur etwa ein Drittel der aussortierten Geräte in die offiziellen Entsorgungskanäle. Ghana und Nigeria seien derzeit die Hauptabnehmer für illegal zu entsorgenden Elektroschrott. Ghanas Hauptstadt Accra galt lange Zeit als „Müllkippe der Welt“. Augenzeugen berichteten vor einigen Jahren, der Vorort Agbogbloshie gleiche einem „Vorhof zur Hölle“. Gemäß Angaben des Freiburger Öko-Institutes seien zwischen 15.000 bis 21.000 Menschen mit der Entsorgung von Elektroschrott beschäftigt. Der gesamte Vorort sei damals mit den Resten ausgeschlachteter Geräte geradezu übersät gewesen.
Greenpeace warnte schon seit langer Zeit vor dieser Entwicklung. Im Hafen von Lagos/Nigeria kämen täglich bis zu 100.000 alte Computer an, die dann ins Hinterland transportiert und dort auseinandergenommen würden. Eine ähnliche Entwicklung gäbe es auch bei der Entsorgung von zwar noch fahrbereiten, aber nicht mehr vermarktbaren Kraftfahrzeugen. Jeden Monat würden beispielsweise 11.000 Schrottautos als angebliche Gebrauchtwagen nach Westafrika exportiert. Dort landen diese dann über kurz oder lang auf irgendeiner illegalen Deponie, meist auf dem Territorium eines nicht mehr funktionierenden Staates.
Die UN forderte vor allem die Industriestaaten zu strengeren Kontrollen auf. Aber was soll konkret passieren? Zwischen Schrott und Altgeräten zu unterscheiden, ist bei Elektrotechnik schwierig: Wo fängt das eine an, wo hört das andere auf? Wie soll selbst ein pflichtbewusster und nicht korrumpierter Zöllner unterscheiden, ob der uralte Windows-95-Computer als Altgerät zunächst für einen Kleinhändler bestimmt ist oder gleich bei einer illegalen Entsorgungsfirma landet? Die Müllexporteure werden stets das erstere behaupten.
Eine radikale Entscheidung traf kürzlich die Regierung von Uganda, indem sie jede Einfuhr gebrauchter Computer, egal ob funktionsfähig oder nicht, generell untersagte.
Planet Müll
Alte Socken, alte Bürsten / Zieren manchen Zulu-Fürsten / Unter morschen Hüttendächern / Trinkt man längst aus Yoghurt-Bechern
Laut Greenpeace vagabundierten im Jahre 2001 8,5 Millionen Tonnen offiziell registrierten Abfalls über den Globus – aktuelle Zahlen gäbe es nicht.
Dass China sich durch Verabschiedung entsprechender Gesetze in den 1990er Jahren die Einfuhr unsortiertem und verdrecktem Plastikmülls verbat, gilt als Erfolg. Dennoch landet weiter Plastikmüll im Reich der Mitte, allerdings in vorsortierter und gepresster Form. In Deutschland leergetrunkene und zurückgenommene Plastikflaschen gehen weiter nach Ostasien, wo sie als Rohmaterial für die chemische Industrie Verwendung finden. Über die Umweltstandards in chinesischen Industrieanlagen muss hier nicht geschrieben werden; diese sind bekannt.
Die noch bis in die 1990er Jahre regelmäßigen Aufregungen sind mittlerweile einer achselzuckenden Normalität gewichen. Müllverbrennungsanlagen, in den 1980er Jahren Hassobjekt jeder Bürgerinitiative, treiben heute niemanden mehr auf die Barrikade. Auch nicht, dass große Teile von unsortiertem und nicht recycelbarem Müll in denselben landet. Der Schadstoffausstoß dieser Anlagen konnte zwar merklich verringert werden. Aber hochgiftige Asche produzieren sie nach wie vor. Und diese Asche muss natürlich als Sondermüll entsorgt werden. Wohin nun mit dem Dreck? Auf einheimische Deponien, in die Ozeane oder in periphere Regionen? Aber irgendwann haben sich all diese Möglichkeiten, ob legal oder illegal, erschöpft. Die Industrie produziert nun einmal mehr Giftstoffe, als die Natur verkraften kann.
Derzeit sterben jährlich etwa 9 Millionen Menschen an Umweltgiften – die Mehrzahl davon sind Kinder.
Vollgepackt mit Dreck und Scheiße / Fahren wir übers weite Meer / Vierzehn Tage geht die Reise / Und dann sind wir leer
Verwendete Literatur:
- Bedszent, Gerd: „Zusammenbruch der Peripherie. Gescheiterte Staaten als Tummelplatz von Drogenbaronen, Warlords und Weltordnungskriegern“, Horlemann Verlag, Berlin 2014
- Deutscher Bundestag, Drucksache 16/3422: „Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage der Abgeordneten Ute Kocyy, Sylvia Kortting-Uhl, Marieluise Beck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen“
- Ditfurth, Jutta + Glaser, Rose (Hg.): “Die tägliche legale Verseuchung unserer Flüsse und wie wir uns dagegen wehren können. Ein Handbuch mit Aktionsteil“, Rasch und Röhring Verlag, Hamburg, 1987
- Engels, Friedrich: „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“, zitiert nach Marx/Engels: „Ausgewählte Schriften in zwei Bänden“, Bd. 2, Dietz Verlag, Berlin 1966
- Graser, Franz: „Erste und dritte Welt kämpfen gegen den Elektronikschrott“, in: „Elektronik-Praxis“ vom 25. September 2012
- Greenpeace e.V. (Hg.): „Greenpeace Dossier: Müllkolonie Ostdeutschland“, Hamburg, 1991
- Hugo, Victor: „Die Elenden“, Roman
- Leidel, Steffen: „Giftmüllkippe Dritte Welt“, in: Die Zeit vom 11. September 2006
- Mellenthin, Knut: „Schmutzige Geschäfte vor Somalia“, in: junge Welt vom 28. Februar 2009
- Morris, Willam: „Kunde von Nirgendwo“, Trotzdem Verlagsgenossenschaft, Frankfurt a. M., 2004
- Schnurbus, Winfried: „Deutscher Müll für alle Welt. Die dunklen Geschäfte der Müllschieber“, Knaur Verlag, München 1993
- Uken, Marlies: „Jagd auf die Müllmafia“, Greenpeace-Magazin, Ausgabe 4.07
- Uken, Marlies: „Der Müll und die Mythen“, Greenpeace-Magazin, Ausgabe 4.07
- Die kursiv gesetzten Liedtexte wurden entnommen aus dem „Müllshanty“ der Liedermacher Steffen Mensching & Hans-Eckardt Wenzel, zitiert aus der CD „Armer kleiner Handyman“, Buschfunk 1996.
Zum Autor:
Gerd Bedszent lebt und arbeitet als freier Autor in Berlin.
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