Fachtagung von Business Crime Control in Frankfurt a.M. am  1. April 2017

Im Bürgerhaus Bornheim fand die jährliche Fachtagung von Business Crime Control zum Thema: „Wachsende Ungleichheit und Kapitalkriminalität – Folgen neoliberaler Deregulierung“ statt. Mitveranstalter war wie in den vergangenen Jahren die Friedens- und Zukunftswerkstatt. Unterstützt wurde die Tagung vom Frankfurter Club Voltaire, der KunstGesellschaft und attac Frankfurt am Main.

Für den BCC-Vorstand begründete Peter Menne zu Beginn die Wahl des Themas. Was haben wachsende soziale Ungleichheit und Kapitalkriminalität miteinander zu tun? Der gemeinsame Hintergrund ist zunächst einmal die Dominanz des Neoliberalismus seit Jahrzehnten. Löhne und Gehälter wurden unter dem Gesichtspunkt der „Marktfreiheit“ und der internationalen Konkurrenz gedrückt, Gewinneinkommen stiegen und wurden immer weniger besteuert. Die Schere zwischen Reichtum und Armut öffnete sich immer mehr.
Andererseits förderte der neoliberale Abbau von Regulierungen eine Selbstbedienungsmentalität, das Unrechtsbewusstsein bei “Grenzüberschreitungen” sank. Der größere Überschuss an Kapital, der durch die immer ungleichere Verteilung entstand, führte – auch wegen weniger lukrativen produktiven Investitionsmöglichkeiten – zu spekulativen und riskanten Anlagestrategien, oft hart an der Grenze der Legalität und über sie hinaus.

Für den Mitveranstalter, die Zukunfts- und Friedenswerkstatt, sprach Karl-Heinz Peil ein Grußwort. Die soziale Ungleichheit sei für die Friedensbewegung zunehmend ein Thema. Denn sie werde durch forcierte militärische Aufrüstungsprogramme mit scheinbar unbegrenzten finanziellen Mitteln verstärkt – sowohl in Deutschland wie in vielen anderen Ländern. Bei der Kapitalkriminalität gehe es nicht nur um Machenschaften von Industrie und Finanzwirtschaft, sondern um die Kumpanei mit der Politik bzw. das Zusammenspiel mit korrupten Politikern. Als Beispiel nannte er den Dieselabgas-Skandal. Die aktuelle Debatte um die Autobahnprivatisierung zeige, dass es sinnvoll gewesen wäre, bei der seinerzeit nur durch die Gewerkschaften und die Partei Die Linke getragenen Kampagne gegen die Verankerung einer Schuldenbremse in der Hessischen Landesverfassung von einer “kriminellen Handlung” zu reden, die dazu dienen sollte, Projekte der “Öffentlich-privaten Partnerschaft” zu fördern. Bei diesen Projekten profitieren erfahrungsgemäß hauptsächlich die beteiligten Unternehmen.

Das erste Referat der Tagung hielt Markus Grabka vom Deutschen Institut für  Wirtschaftsforschung (DIW) in Berlin. Grabka stellte empirisch exakte Daten zum Auseinanderdriften sowohl von Einkommen wie auch von Vermögen in der Bundesrepublik vor. Während die mittleren Einkommen von 1991 bis 2014 um mehr als acht Prozent stiegen, legten die höchsten Einkommen um bis zu 26 Prozent zu. Die unteren Einkommen gingen dagegen real zurück. Folglich hat die Einkommensungleichheit insgesamt zugenommen. Auch das Risiko, arm zu sein, ist zuletzt wieder gestiegen. Grabka betonte, wie unvollständig die Daten bei der Vermögensverteilung sind. Über die Superreichen ist wenig bekannt. Die gut erfassten unteren 50 Prozent der Bevölkerung haben einen verschwindend geringen Anteil am Gesamtvermögen. Ganz unten gibt es kein Vermögen, sondern nur Schulden.

Die Bundesrepublik schneidet auch im internationalen Vergleich schlecht ab, was die Ungleichheit von Einkommen und Vermögen und die ungleiche Verteilung der Steuerlast zwischen Lohn- und Gewinneinkommen betrifft.

Benedict Ugarte Chacón, Referent der Fraktion Die Linke im Cum/Ex-Untersuchungsausschuss des Bundestages, stellte in seinem Referat anschaulich dar, wie die sogenanten Cum/Ex-Geschäfte funktionierten, wer dabei nichts oder zu wenig gegen sie unternahm, und wer von ihnen profitierte oder profitieren wollte. Durch die Cum/Ex-Geschäfte mit Aktien wurden dem Staatshaushalt ca. 12 Mrd. Euro an Steuern entzogen. Es ging um die mehrfache Erstattung nur einmal gezahlter Kapitalertragssteuern auf Dividenden. Die FAZ nannte dies den „größten Steuerbluff aller Zeiten“. Er wurde lange Zeit geduldet. Die Cum/Ex-Geschäfte sind, so Chacón, typisch für wirtschaftskriminelles Handeln – ob formal noch legal, geduldet oder bereits juristisch verfolgt.

Das dritte Referat der Tagung hatte die Rolle der Medien zum Thema – klären sie über die wachsende soziale Ungleichheit und Kapitalkriminalität genügend auf? Mathew D. Rose, der als investigativer Journalist unter anderem an der Aufdeckung des Berliner Bankenskandals beteiligt war, verneinte das. Die zunehmende Konzentration von Reichtum in den Händen einer kleinen Minderheit bewirkt, dass sie immer stärker die Medien beeinflussen oder sogar kontrollieren kann. Diese Entwicklung bedroht eines der grundlegenden Elemente jeder demokratischen Gesellschaft: die Vielfalt und den freien Fluss von Informationen und Meinungen.

In der Diskussion wurde der These von Rose, dass auch die öffentlich-rechtlichen Medien bereits weitgehend auf eine Linie gebracht worden seien und man den Fernseher getrost abschalten könne, widersprochen. Hier gebe es durchaus noch Beispiele für kritischen Journalismus, informative Sendungen und Meinungsstreit. Rose stellte die in Gründung befindliche Genossenschaft „EDM European Democratic Media“ vor. EDM möchte “einen länderübergreifenden demokratischen Austausch von Ideen unterstützen, um eine egalitäre, gerechte und soziale Alternative zum dominanten neo-liberalen Europa zu fördern“. Beteiligt sind Wissenschaftler aus verschiedenen europäischen Ländern, zum Beispiel Yanis Varoufakis, Heiner Flassbeck und Wolfgang Streeck.

Bei der abschließenden Diskussion der Tagungsergebnisse mit den Teilnehmerinnen und Teilnehmern wurden einige Forderungen aufgestellt, die sich der Vorstand von Business Crime Control zu eigen machte und in einer Pressemitteilung veröffentlichte (siehe www.businesscrime.de):

– Die wachsende soziale Ungleichheit und das Auseinanderdriften der Gesellschaft in Deutschland machen ein Umsteuern in der Steuer- und Sozialpolitik notwendig.

– Ungerechtigkeiten durch die Steuerprogression müssen beseitigt, hohe Einkommen und Vermögen höher besteuert werden. Die Vermögenssteuer ist wieder einzuführen und die Erbschaftssteuer sozial und wirtschaftlich funktional zu reformieren.

– Steueroasen in Deutschland und Europa müssen geschlossen werden. Die Steuerverwaltung ist personell und organisatorisch so auszustatten, dass sie systematischem Steuerbetrug in Zukunft wirksam entgegentreten kann.

– Die Unabhängigkeit der Medien von Kapitalinteressen muss gestärkt werden, damit sie über alle Formen von Wirtschaftskriminalität umfassend aufklären und die Debatte über notwendige Gegenmaßnahmen befördern können. Dazu gehört auch die Förderung alternativer, zivilgesellschaftlicher Medien-Initiativen.

 

Reiner Diederich

Aus: Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung Nr. 110, Juni 2017