Der Vortrag  wurde von Dr. Wolfgang Hetzer auf der BCC-Jahrestagung am 16. April 2016 gehalten. Wir übernehmen in aus unserer Zeitschrift BIG BUSINESS CRIME (Ausgaben 01/2016).

Einleitung

Nach einem Blick auf die Deutsche Bank und die deutlichen Kursverluste der Bankaktien in der ganzen Welt in jüngerer Zeit stellt sich die Frage, ob wir uns schon wieder in einer Bankenkrise befinden. Die Antwort dürfte ganz einfach sein:

Wir befinden uns noch immer in der Bankenkrise.

Seit dem Zusammenbruch der Investmentbank „Lehman Brothers“ im September 2008 ist die Welt keineswegs in Ordnung gekommen, auch wenn die Aufsicht hier und da etwas strenger geworden ist, die Banken höhere Sicherheitspuffer haben und die Haftungspflichten der Investoren ausgeweitet wurden. Die gesamte Finanz- und Bankenbranche wird sich auch zukünftig neu sortieren müssen. Ihre Ertragsmöglichkeiten scheinen sich angesichts des Zwangs zur Schrumpfung der aufgeblähten Bilanzen zu verkleinern. Die niedrigen Zinsen tragen zu einer Verschärfung der Lage bei. Zu viele Institute wollen sich an dem selben Kuchen laben, der jedoch nicht größer werden wird. An einer Konsolidierung dürfte kein Weg vorbei führen. Alleine die italienischen Banken sitzen auf faulen Krediten von mehr als 200 Milliarden Euro und halten nach einer Mülldeponie mit staatlicher Garantie („Bad Bank“) Ausschau.

Die Risiken der Deutschen Bank stammen indessen überwiegend aus der Zeit vor dem Beginn der Finanzkrise. Sie ist seit etlichen Jahren in vielen tausend Rechtsstreitigkeiten verwickelt. Es drohen weiterhin Strafen in Milliardenhöhe. Eine konzerninterne Bad Bank verwaltet Risikopositionen, die mit 34 Milliarden Euro um 12 Milliarden Euro über dem aktuellen Börsenwert liegen sollen.

Zudem sind die Wunden aus der Finanzkrise nach wie vor nicht verheilt. Die Deutsche Bank ist vor diesem Hintergrund natürlich sehr anfällig für Vertrauenskrisen. Davor schützen auch schärfere Kapitalanforderungen der Aufseher und Stresstests nicht. Im Gegenteil: Die Stresstests gebären neue Zweifel, wenn sie wie in den italienischen Banken nicht alle Risiken aufdecken. Außerdem schmälern größere Verlustpuffer natürlich die Profitabilität vieler Kapitalmarktgeschäfte (z. B. Anleihehandel). Erzielen Banken zweistellige Eigenkapitalrenditen, ziehen sie bei den Aufsehern den Verdacht auf sich, unangemessen hohe Risiken einzugehen. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende der Deutschen Bank, Josef Ackermann, würde heute mit seinem damals propagierten Renditeziel von 25 Prozent eine aufsichtsrechtliche Sonderprüfung provozieren. Banken scheinen heutzutage jedenfalls keine Treiber mehr zu sein. Sie sind eher Getriebene, deren unternehmerische Freiheit zunehmend eingeschränkt wird.

Die Finanzbranche ist jetzt mit einer vorsichtigeren Bewertung von Bankaktien konfrontiert, da allenthalben ein Einbruch beim Wachstum der Weltwirtschaft befürchtet wird. Eine Rezession würde natürlich Kreditausfälle erhöhen und erhebliche Belastungen für die Bankenwelt mit sich bringen.

Im Folgenden ist nur anzudeuten, wie es zu dieser Entwicklung kommen konnte und welchen Anteil die Deutsche Bank daran hatte.

 

Geldpolitik

Die Geldpolitik ist entscheidend. Die Notenbanken werden die sehr niedrigen Zinsen noch über einen längeren Zeitraum beibehalten. Die von der Europäischen Zentralbank (EZB), der Schweizerischen Nationalbank und der Bank von Japan eingeführten negativen Zinsen breiten sich weiter aus. Mittelfristig wird dadurch die Ertragskraft bedroht und die Zinsmargen werden deutlich schrumpfen. Sollte etwa die EZB den Strafzins weiter verschärfen, könnte das einen Gewinnrückgang der Banken um bis zu 10 Prozent nach sich ziehen. Es wird vorausgesagt, dass die Niedrigstzinsen in den kommenden Jahren vollständig auf die Bankbilanzen durchschlagen werden. Auch Sparkassen oder Volks- und Raiffeisenbanken dürften zu scharfen Sparmaßnahmen gezwungen sein, u. a. Filialschließungen.

Selbst die EZB wird die „Zombie-Banken“ im Süden Europas dennoch nicht ewig am Leben halten können. Die Deutsche Bank wird, ebenso wie die Landesbanken, ein dauerhaft tragfähiges Geschäftsmodell finden müssen. Bei alledem ist man gezwungen, die größte technologische Herausforderung, also die Digitalisierung, zu bewältigen. Ohne enorme Investitionen wird das nicht gelingen. Die etablierten Banker werden sich auch einer neuen Konkurrenz stellen müssen, den „Fintechs“, die als junge Internetunternehmen mit geringen Kosten arbeiten. Deren Schnelligkeit und Flexibilität wird im Vergleich mit überbürokratisierten Großbanken schon jetzt und nicht nur im Zahlungsverkehr spürbar. Der Ausleseprozess unter den Banken hat jedenfalls schon begonnen. (1)

Es bleibt abzuwarten, welche Folgen die Entscheidungen der EZB vom 10. März 2016 noch haben werden. An diesem Tag war in ihren Hallen ein Paukenschlag zu hören, der nicht nur in den Mitgliedsländern der Europäischen Währungsunion (EWU) noch lange nachhallen wird. Entgegen den Gesetzen der Physik wird der Geräuschpegel allerdings nicht nachlassen, sondern sich zumindest in den Ohren von Sparern und von Menschen, die ihre Altersversorgung organisieren müssen, bis zu Schmerzgrenze oder darüber hinaus steigern. Die EZB unter Führung des Italieners Mario Draghi ist indessen schon jetzt kaum noch von einem Rauschgiftsüchtigen zu unterscheiden: Sie kann einfach nicht aufhören und will immer mehr. Mit ihrer Entscheidung, den Leitzins auf „null Prozent“ abzusenken Banken und den Strafzins für Bankeinlagen auf 0,4 Prozent zu erhöhen, hat sie ihre bisherige Politik nicht nur fortgesetzt, sondern überraschend und dramatisch überboten. Damit zeichnen sich düstere Perspektiven ab. Auf den ersten Blick mag es erfreulich klingen, dass Geld immer billiger wird. So billig wie es in den Märztagen des Jahres 2016 wurde, war es jedoch noch nie.

Der Präsident der EZB hat gleichwohl nicht ausgeschlossen, dass es noch weiter nach unten gehen kann, sollte es die Lage erforderlich machen. Das sind keine guten Nachrichten. Insbesondere die Sparer sollten sich den Gedanken abschminken, dass ihre Lebensleistung disziplinierter Haushaltsführung auch nur in bescheidenem Umfang belohnt wird. Im Gegenteil: Die EZB bestraft sie dafür, dass sie gearbeitet und einen Teil ihres Einkommens zur eigenen Vorsorge abgezweigt haben oder um ihre Kinder und Enkelkinder zu unterstützen. Das Geld, das sie in Lebensversicherungen und Bausparverträge gesteckt haben und das in Pensionskassen und Versorgungswerken gelandet ist, von wo aus es zu über 90 Prozent in Anleihen transferiert wurde, wird jedenfalls für absehbare Zeit aufgrund der Niedrigzinspolitik herzlich wenig bis nichts einbringen.

Zu den weiteren Folgen dürfte gehören, dass demnächst eine Immobilienblase entstehen wird, weil viele Bürger in den EWU-Mitgliedstaaten versuchen werden, ihr Vermögen u. a. in Gestalt von Wohnungen und Häusern vor dem Verfall zu bewahren. Die Zeichen stehen an der Wand: Steigende Immobilienpreise in zahlreichen Großstädten.

Auch die Geschäftsbanken gehören zu den Leidtragenden der EZB-Politik. Es ist nicht mehr auszuschließen, dass das (noch) vorhandene Kapital demnächst als Bargeld in den Tresoren gelagert wird, statt dafür auch noch Strafzinsen zu bezahlen. Sollten solche „Zinsen“ an vermögende Privatkunden weitergereicht werden, könnte im schlimmsten Fall ein „Bank Run“ stattfinden. Die Erhöhung von Konto- und Kartengebühren dürfte allenfalls mittelfristig eine Behelfslösung sein.

Darüber hinaus wagt es die EZB, ihr Programm zum Ankauf von Staatsanleihen noch weiter auszweiten. Dafür wird sie in nächster Zeit sage und schreibe 1,7 Billionen (!) Euro ausgeben. Die EZB schreckt jetzt zudem selbst vor dem Kauf von Unternehmensanleihen nicht zurück. Sie tickt in der Tat wie ein Junkie:

Nicht aufhören und immer mehr, koste es was es wolle, auch wenn es zum eigenen Untergang führt.

Mit einer Politik, die anscheinend dem „Manna-Prinzip“ folgt (Geld fällt vom Himmel, gerne auch aus einem Helikopter abgeworfen), war es der EZB jedoch schon bis jetzt nicht gelungen, das als „Preisstabilität“ von ihr selbst so definierte Ziel eines Wirtschaftswachstums mit einer Inflationsrate von 2 Prozent zu erreichen. Im Gegenteil: Im Februar 2016 waren die Preise in der EWU noch einmal um 0,2 Prozent gesunken. Draghi scheint allen Ernstes davon überzeugt zu sein, dass es ihm mit dem Drucken von Geld gelungen sei, eine Deflation (Abwärtsspirale aus sinkenden Preisen und schrumpfendem Wirtschaftswachstum) zu verhindern. Dabei erkennen die meisten Beobachter in der EWU gar keine Anzeichen für eine Deflation.

Die Börse hat bislang von den neuesten Beschlüssen der EZB übrigens auch nicht wirklich nachhaltig profitiert. Nach einer kurzen Erhöhung des Dax auf fast 10000 Punkte sank er wenig später schon wieder auf unter 9500 Punkte. Die Bank für internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) glaubt jedenfalls, dass längst nicht alle Menschen von steigenden Aktienkursen profitieren werden. Draghi hat selbst erfahrene Börsianer verblüfft, die überwiegend nicht mit einer derartigen Expansionswut gerechnet hatten. Billiges Geld war in der Vergangenheit nämlich keineswegs mit Wachstum verbunden bzw. gleichzusetzen. Die EZB enteignet tatsächlich erst die Sparer und macht sich gegenüber künftigen Krisen selbst waffen- und wehrlos. Eine Bazooka oder „Dicke Berta“ (Anleihenkauf) ist für Dauerfeuer jedoch völlig ungeeignet. Draghi hat seit 2015 beschlossen, 750 Milliarden Euro (!) für Staatspapiere zweifelhafter Qualität auszugeben. Er hat damit nichts bewirkt. Die Banken sind nach wie vor bei der Kreditvergabe sehr zurückhaltend. Kein Mensch weiß verlässlich, wo das viele Geld geblieben ist. Es ist nicht erkennbar, dass der fortgesetzte Einsatz von „Geldkanonen“ die heruntergewirtschaftete Ruinenlandschaft südeuropäischer Volkswirtschaften verschönern wird.

Die Politik der EZB dürfte auch in der Zukunft kaum die erwünschten Ergebnisse nach sich ziehen. Sie wird vielmehr die Ansprüche unzähliger Menschen im wohlverdienten Ruhestand schmälern und die Finanzpolster der Banken verkleinern. Der Hinweis auf die Verbilligung von Immobilienkrediten und steigende Aktienkurse ist kein Trost: Die meisten Menschen sind Mieter. In Deutschland besitzt nur jeder Zehnte überhaupt Aktien. Die EZB hat Millionen von Menschen „angefixt“. Zumindest Politiker und Börsianer haben sich an die Verfügbarkeit billigen Geldes wie an eine Droge gewöhnt. Es kann dahinstehen, ob Draghi sich vorgenommen hat, eine Abwertung des Euro zu bewirken, die die USA und Asien natürlich als Beeinträchtigung ihrer Interessen empfinden. Viel schlimmer ist, dass der EZB-Präsident jetzt wohl die letzte Patrone in die Kammer geschoben hat. Nach deren Abfeuerung wird er mit leeren Taschen vor der nächsten Krise stehen, zum Schaden eines ganzen Kontinents. Keine Krankheit ist dadurch kurierbar, dass man die Dosis eines von vornherein falschen Medikamentes erhöht. Draghi wagt es hingegen, statt 60 Milliarden Euro zukünftig 80 Milliarden Euro monatlich (!) in die Hand zu nehmen, um weitere Anleihen zu kaufen, nicht nur von fragwürdigen Staaten, sondern auch von Siemens, BASF und anderen Unternehmen. Damit wird die Gefahr jedoch nicht gebannt, dass Unternehmen wie Verbraucher nicht mehr investieren bzw. konsumieren, weil sie immer weiter sinkende Preise erwarten.

Dessen ungeachtet mobilisiert Draghi die letzten Reserven. Er verkennt anscheinend, dass die geringe Inflation vor allem eine Folge des derzeit niedrigen Ölpreises und der schwachen Konjunktur ist. Seine neuesten Maßnahmen werden die Kreditnachfragen der Unternehmen unterdessen nicht stimulieren. Dafür stimmt die gesamtwirtschaftliche Situation einfach nicht hinreichend hoffnungsfroh. Jedermann kann erkennen, dass die EZB am Ende ihres Lateins ist. Die lockere Geldpolitik verschlechtert zudem noch die Rahmenbedingungen der Realwirtschaft und entwertet auch langfristige Anlagekonzepte. Die rechtlichen Auseinandersetzungen darüber, ob sich die EZB in Teilen ihres Wirkens noch innerhalb des für sie geltenden Mandats (Geldpolitik zur Sicherung der Preisstabilität) hält, sind noch nicht abgeschlossen.

Das deutsche Bundesverfassungsgericht ist davon überzeugt, dass das Anleihenkaufprogramm („OMT-Beschluss“) vom September 2012 der EZB den ihr vorgegebenen Rahmen sprengt, u. a. deshalb weil sie damit Wirtschaftspolitik betreibe, für die sie jedoch nicht demokratisch legitimiert sei. Es wird daher zur Zeit, dass vom obersten Gericht Deutschlands geprüft wird, ob sich die EZB eines aus ihren Kompetenzen ausbrechenden Rechtsaktes bedient. Vor diesem Hintergrund stellt sich sogar die Frage, ob Draghi sich in einen finanzpolitischen und wirtschaftspolitischen „Putschisten“ verwandelt hat und in wessen Interesse er handelt. Die Suche nach einer Antwort ist nur in monographischer Breite möglich. (2)

Unterdessen bestreitet der Präsident der Bankenaufsicht (Bafin), Felix Hufeld, dass eine neue Finanzkrise drohe, da die Ausschläge an den Aktienmärkten zu Beginn des Jahres 2016 nicht die fundamentalen Fakten in den Bilanzen widerspiegelten. Allerdings will er ein „hypernervöses Marktumfeld“ erkannt haben. Dort deute sich aber keine krisenhafte Zuspitzung an, die mit 2008 vergleichbar wäre. Gleichwohl wollte dieser Amtsträger das Verhalten der Deutschen Bank, insbesondere die Verkündung der Selbstverständlichkeit, dass sie bestimmte Anlehen bedienen könne, nicht kommentieren, deutete aber grundsätzlich an, dass dies in einem volatilen Umfeld sinnvoll sein könne. Er glaubt, dass die Banken heutzutage besser mit Kapital und Liquidität ausgestattet seien und dass keine Bankaktie deshalb falle, weil die Bank jetzt besser mit Kapital ausgestattet sei. Fallende Aktien- und Anleihekurse seien „zunächst einmal“ nur sehr eingeschränkt gefährlich, solange die Bank nicht unmittelbar und in großem Umfang frisches Kapital aufnehmen muss und sich die Ratings der Bank nicht stark verschlechtern.

Für „ganz entscheidend“ hält dieser Experte die Frage, ob sich im operativen Geschäft etwas verschlechtert. Die “Coco-Anleihen“ sind für ihn Risikopapiere. Private Investoren, aber auch kleinere oder mittelgroße Lebensversicherer, sollten solche Papiere nicht kaufen. Den großen Teil der Papiere haben angeblich Fonds gekauft, die dem „Schattenbankensektor“ zugeordnet werden, der früher als „böse und spekulativ“ galt und aus dem jetzt auf einmal willkommene Investoren kommen, weil sie der Sicherheit des Bankensystem dienten, ein Umstand, den dieser Beamte nicht bewerten will. Er hält viele der entsprechenden Fonds für „hochreguliert“. Sie hätten ihre Berechtigung im „Gesamtmarktgefüge“. Ohne sie würden wir schlechter dastehen. Im Vergleich zu den Zeiten von Lehman Brothers steht die Finanzwelt heute angeblich viel besser da. Man habe „enorme“ Fortschritte gemacht. Natürlich gebe es keine absoluten Garantien. Vertrauen ist für Hufeld das „Herzstück“ des Finanzsystems, das man nicht herbeiregulieren könne. (3)

Insgesamt also tolle Einsichten, die der Präsident da gewonnen hat. Angesichts der folgenden Hinweise stellt sich jedoch die Frage, ob es sich nicht um eine schlichte Schönfärberei handelt.

 

Exkurs

Die Deutsche Bank hat im vergangenen Jahr (2015) einen Rekordverlust von 6,8 Milliarden Euro eingefahren. Der gesamte Vorstand muss daher auf Bonuszahlungen verzichten. Der Aufsichtsrat hat sie ihm gestrichen. Deshalb muss sich der Vorstandsvorsitzende Cryan laut dem jüngst vorgelegten Geschäftsbericht für das erste halbe Jahr seiner im Juli 2015 gestarteten Amtszeit mit 1,9 Millionen Euro Grundgehalt zufriedengeben. Für ein Geldhaus mit den Ansprüchen der Deutschen Bank ist das eher läppisch. Auch sonst gibt Cryan gerne den harten Sanierer und Kämpfer gegen zu hohe Gehälter. Es wäre inakzeptabel, wenn die Beschäftigten die Lasten nicht mittragen würden, verkündete der Bankchef bereits bei seinem ersten öffentlichen Auftritt im vergangenen Herbst. Kurz darauf legte er nach:

„Ich glaube, dass die Leute im Bankensektor zu viel Geld verdienen.“

Immer wieder sickerten Meldungen an die Presse durch, wonach die Boni um „bis zu 30 Prozent gekürzt“ würden. Das klang nach hartem Durchgreifen. Im Geschäftsbericht liest sich das aber alles ein bisschen anders. Mal abgesehen vom zehnköpfigen Vorstand, der zwangsweise auf seine Boni verzichten muss, scheint das Geld bei der Deutschen Bank trotz Milliardenverlust noch ganz üppig zu fließen – zumindest in die Taschen der Top-Mitarbeiter. Zwar fiel der Bonustopf für das abgelaufene Jahr mit 2,4 Milliarden Euro tatsächlich etwas kleiner aus als im Vorjahr (damals waren es 2,7 Milliarden Euro).

Im Gegenzug stieg aber das Festgehalt umso stärker, so dass die Gesamtvergütung sogar leicht zulegte – auf nunmehr 10,5 Milliarden Euro. Für die Mitarbeiter ist die Verschiebung gut. Das Festgehalt fließt direkt auf ihr Konto. Die Boni dagegen werden teilweise über mehrere Jahre verzögert ausgezahlt. Die 2000 Top-Leute bekommen gut zwei Milliarden Euro. Knapp die Hälfte der gesamten Konzernvergütung, rund 4,75 Milliarden Euro, entfiel auf die etwa 28.000 Mitarbeiter der Investmentbank – jener Sparte, die der Bank seit Jahren immer wieder horrende Kosten für Rechtsstreitigkeiten beschert. Damit sind die Personalkosten für diesen Bereich sogar noch leicht gestiegen. Selbst wenn man die ebenfalls gestiegene Zahl der Mitarbeiter berücksichtigt, ergibt sich pro Kopf gerechnet nur ein kleines Minus von etwa drei Prozent. Harte Einschnitte sehen anders aus.

Noch deutlicher wird die immer noch üppige Bezahlung, wenn man auf die rund 2000 Top-Manager aus Konzernspitze und Investmentbank schaut. Sie erhalten für 2015 gut zwei Milliarden Euro – also im Schnitt rund eine Million Euro pro Kopf. Auch hier hat sich im Vergleich zum vergangenen Jahr kaum etwas geändert. Die Zahl der Mitarbeiter mit Millionengehältern fiel zwar leicht von 816 auf 756. Dafür ging es in der Spitze sogar weiter nach oben: Zwei Beschäftigte kamen auf eine Jahresvergütung von mehr als zehn Millionen Euro. Im Geschäftsbericht verteidigt die Bank die hohen Gehälter für einige Angestellte. Sie seien notwendig, um Talente zu gewinnen und zu binden. Zudem seien die Erträge der Bank solide. Der Milliardenverlust für das Geschäftsjahr 2015 gehe in erster Linie auf „Einmaleffekte“ zurück und resultiere „nicht aus der Leistung der Geschäftsbereiche in 2015“.

Mit anderen Worten: Die Mitarbeiter haben eigentlich gute Arbeit gemacht. Dennoch will Cryan ab kommendem Jahr etwas ändern: Die Höhe der Boni soll stärker mit dem Konzernergebnis verknüpft werden, kündigte er an. Sollte es also noch mal einen ähnlichen Verlust geben, müssten auch die Top-Verdiener stärker bluten. Ob man diesen Ankündigungen glauben kann, wird wohl erst der Blick in den Geschäftsbericht 2016 zeigen. (4)

 

Gerüchte

Lange Zeit war der Untergang der Deutschen Bank jenseits des Vorstellbaren. Immerhin haben Millionen Deutsche diesem Geldinstitut ihr Vermögen anvertraut. Unzählige Unternehmen pflegen Geschäftsbeziehungen mit der Deutschen Bank. Deren Bilanzvolumen entspricht mehr als dem Fünffachen des gegenwärtigen Bundeshaushalts. Es ist leicht nachvollziehbar, dass ein Zusammenbruch des größten deutschen Kreditinstituts auch der größte anzunehmende Unfall („GAU“) für die deutsche Wirtschaft wäre. Kaum verwunderlich ist, dass diese Möglichkeit in den Amtsstuben des Bundesfinanzministeriums oder in den Büros der Bundesbank lautstark beschwiegen wird. Schon Gerüchte über eine Schieflage könnten die ohnehin bestehende Nervosität an den Finanzmärkten verstärken. Die Deutsche Bank scheint auf einmal nicht mehr unverwundbar zu sein. Man stellt sogar öffentlich die Frage, ob die Deutschen Bank noch über genügend Geld verfügt, um alle Zinsen auf einige Anleihen zu zahlen.

Die scheinbar unbefragbare Zuversicht („Deutsche never fails“) erlaubte es der Deutschen Bank, sich sogar noch auf dem (vermeintlichen) Höhepunkt der internationalen Finanzkrise frisches Kapital zu besorgen. Jetzt hat sich ihre Führung jedoch entschlossen, für knapp fünf Milliarden Euro Anleihen zurückzukaufen, eine Maßnahme, die flüssige Mittel in großem Umfang binden dürfte. Gleichwohl geht kaum jemand davon aus, dass die Existenz der Deutschen Bank unmittelbar bedroht ist:

  • Die Kapitalvorräte sind über Jahre aufgestockt worden, so dass Verluste besser abzufedern sind.
  • Viele riskante Geschäfte sind eingestellt oder drastisch zurückgefahren worden.
  • Es stehen 215 Milliarden Euro zur Verfügung, die in bar vorgehalten werden oder die schnell in Bargeld umgewandelt werden können.

Das reicht allerdings nicht, um der Bank eine rosige Zukunft vorauszusagen. Natürlich sind derzeit alle Banken wegen der wachsenden Angst vor einer neuen weltweiten Rezession und angesichts vermutlich anhaltende niedriger Zinsen besorgt. Der damit verbundene Stress kommt jedoch für die Deutsche Bank zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Es hat sich der Eindruck verbreitet, dass sie sich nicht genügend auf die erkennbaren Umbrüche vorbereitet hat und unter der „Führung“ der Vorgänger von John Cryan den Wandel schlicht verschlafen hat.

Die Deutsche Bank hat sich unverzagt weiter im Investmentbanking getummelt, obwohl die Aufsichtsbehörden die Regeln so verschärft haben, dass die entsprechenden Geschäfte weniger einbringen. Die Zahl ihrer Rechtsstreitigkeiten ist zudem fast unübersehbar groß und sie beschäftigt zu viel Personal. Natürlich ist in dieser Lage zunächst die Absicht der Kostensenkung gut und richtig. Aber es muss auch die Frage beantwortet werden, in welchen Bereichen die Bank zukünftig wieder Geld verdienen kann. Bei manchen Investoren verbreitet sich insoweit eine gewisse Skepsis, weiß man doch immer noch nicht genau und vollständig, welche Risiken sich in der Bilanz der Bank verstecken.

Die Deutsche Bank tut indessen so, als ob sie um Unterschied zu anderen Banken immer noch unberührbar sei. Andere Institute haben z. B. erkennen lassen, dass Ausfälle im Geschäft mit Energieunternehmen drohen könnten, die wegen des niedrigen Ölpreises derzeit reihenweise unter Druck geraten. Die Deutsche Bank hält dies jedoch für problemlos und scheint selbst durch eine Analyse von Morgan Stanley nicht beeindruckt, die ihr empfohlen hat, Daten zu diesen Risiken offenzulegen. Andernfalls werde sie nicht wieder an Wert gewinnen können.

Auch im Hinblick auf das Investmentbanking, dessen Erträge in jüngerer Zeit um 30 Prozent eingebrochen sind, gibt es warnende Hinweise, gilt dieser Bereich doch als „Black Box“, die viele Leute nervös mache. Wie auch immer: Die Deutsche Bank gilt schon wegen ihrer Größe und Komplexität als „global systemrelevant“. Ihre Kapitalausstattung hält man indessen nicht für hinreichend, da im Jahr 2019 insoweit strengere Vorschriften greifen werden. Sie wird Mühe haben, frisches Geld an der Börse einzusammeln. Ihre Aktionäre wurden in letzter Zeit schon mehrfach zu Kasse gebeten.

Der aktuelle Geschäftsverlauf lässt nicht erwarten, dass große Rücklagen gebildet werden können. Nach dem Rekordverlust von 6, 7 Milliarden Euro im Jahr 2015 gilt ein weiteres Minus im Jahre 2016 als denkbar. Die Führung der Deutschen Bank ist offensichtlich vor allem damit beschäftigt, sich über die Zeit zu retten.

Die Gefahr eines weiteren Vertrauensverlusts ist nicht von der Hand zu weisen. Vor etwas mehr als sieben Jahren konnte der Bund die Commerzbank noch mit einer Milliardenspritze auffangen. Sollte es jetzt mit der Deutschen Bank noch ernster werden, wäre das Aufpäppeln durch die Infusion von Steuergeldern nicht mehr so ganz einfach. Nach europäischem Recht sind staatliche Stützungsaktionen seit dem 1. Januar 2016 nur noch in Ausnahmefällen erlaubt, und das nur, wenn sich die Aktionäre wie auch die Geschäftspartner einer Bank (Gläubiger, Großkunden) an den Kosten beteiligen. Sie müssten auf Ansprüche in Höhe von acht Prozent aller Verbindlichkeiten verzichten, bevor der Staat eingreifen darf. Bei der Deutschen Bank müssten Anleihebesitzer im „Ernstfall“ einen Beitrag zu 130 Milliarden Euro leisten.

Dennoch bleibt jetzt sehr zweifelhaft, ob Staaten heute noch einmal Banken retten würden. Für die Acht-Prozent-Regel hat der Bundesfinanzminister auch sehr gekämpft, weil den deutschen Steuerzahlern signalisiert werden sollte, dass nicht noch einmal für die Eskapaden der Geldbranche haften sollen. Dessen ungeachtet könnten die neuen Regeln zur Verschärfung der Krise beitragen, weil angesichts der Aussicht auf Verluste Investoren geneigt sein könnten, ihr Geld abzuziehen und damit eine Schieflage allerdings erst herbeigeführt wird und die ganze Sache damit noch teurer wird.

Die gut gemeinten Vorschriften könnten so die Instabilität des Marktes sogar noch erhöhen. Daher verwundert es nicht, dass in der Führungsgremien der EZB, die bekanntlich für die Aufsicht über die großen Banken in Europa zuständig ist, schon über eine Lockerung der Gläubigerbeteiligung diskutiert wurde. Bislang lehnt der deutsche Finanzminister zwar ab. Das könnte aber ein Dilemma auslösen. Sollte nämlich die Deutsche Bank tatsächlich doch irgendwann in existenzbedrohende Schwierigkeiten geraten, mag vielleicht (nur) eine schnelle staatliche Hilfszusage die Lage beruhigen. Der dann zuständige Amtsträger müsste gegen Regeln verstoßen, die Deutschland gegen den Widerstand vieler anderer Länder durchgesetzt hat. Angesichts der Erfahrungen mit der Rechtstreue gibt es in Europa einige Beobachter, die schon lange auf eine solche Gelegenheit warten. (5)

Zurück zur Deutschen Bank: Ihr Vorstandsvorsitzender Cryan zeichnet nach einer anfänglichen harschen Bestandsaufnahme jetzt das Bild einer Deutschen Bank, auf die die Mitarbeiter doch noch ein bisschen stolz sein können. Er erinnert daran, dass die Bank im Jahre 2013 nicht nur den Banken-Stresstest als eine der besten überstanden habe. Sie habe seither auch mehr Kapital und Liquidität zur Verfügung und werde nun zu ihren Wurzeln zurückkehren, etwa dem Zahlungsverkehr, der als ein eher langweiliges, aber solides Geschäftsfeld gilt, in dem die Bank deutsche Firmen ins Ausland begleitet. Angeblich laufen auch das Geschäft mit Börsengängen sowie die Vermögensverwaltung gut. Cryan scheint ernsthaft der Überzeugung zu sein, dass die Deutsche Bank ein funktionierendes Geschäftsmodell habe und sich nicht im „Verteidigungsmodus“ befinde. Im Kern wolle er nun die Position als eine der führenden und Kapitalmarktbanken in Europa ausbauen, die Vermögensverwaltung stärken und sich auch den Privatkunden weiter stellen. Das ist aber alles andere als ein neues Geschäftsmodell.

Cryan verkündet seit seinem Amtsantritt auch, dass die Deutsche Bank kein Strategieproblem habe, sondern in erster Linie unter zu hohen Kosten leide. Im Hinblick auf den schlimmsten Kostenblock, die Strafzahlungen für die vielen Rechtsstreitigkeiten aus der Ära seines Vorgängers Anshu Jain und Co-Chefs Jürgen Fitschen wird gar Optimismus verbreitet. Cryan hofft, dass dies langsam vorbei ist, auch wenn er es nicht versprechen kann. Der Geldwäscheverdacht in Russland, der angeblich zu den letzten großen Fällen zählt, könne vielleicht zum Halbjahr 2016 oder im dritten Quartal dieses Jahres abgeschlossen sein. Das Jahr 2016 sollte das Jahr werden, in dem man mit dem Aufräumen fertig werde und sich zu 100 Prozent wieder auf das Wichtigste konzentrieren könne: Mitarbeiter und Kunden. Sogar die Investoren hätten wieder Vertrauen gefasst, habe sich doch der Aktienkurs, der im Februar 2016 auf den tiefsten Stand seit den frühen Neunzigerjahren gefallen war, bis Anfang März 2016 um fast 30 Prozent erholt. (6)

 

Korruption

Die Deutsche Bank hat innerhalb von sechs Monaten (2015/16) immerhin die Hälfte ihres ehemaligen Marktwerts verloren. Anfang Februar 2016 belief er sich nur noch auf rund 20 Milliarden Euro. Über Jahrzehnte symbolisierte dieses Geldhaus weltweit die Größe und die Solidität der deutschen Wirtschaft. Heute verkörpert es hingegen fast beispielhaft eine Branche, die sich von der 2008 ausgebrochenen Finanzkrise nicht erholt hat. Sie hat sich unter der Führung von Gestalten wie Josef Ackermann (Schweiz), Paul Achleitner (Österreich), Anshu Jain (Indien/Vereinigtes Königreich) und Jürgen Fitschen (Deutschland) in eine Lage manövriert, die Mitleid erregen könnte. Diese Bank hat aber kein Mitleid verdient, jedenfalls nicht so lange wie ungeklärt ist, was sie von einer kriminellen Vereinigung unterscheidet. John Cryan (Vereinigtes Königreich), ihr zukünftiger alleiniger Chef, wird wohl weiter erhebliche Anstrengungen unternehmen müssen, um eine Lage zu bereinigen, deren Entstehung er selbst auch nicht als vorheriges Mitglied des Aufsichtsrates verhindern konnte, übrigens genauso wenig wie die von der Deutschen Bank angeheuerten und bezahlten Herren Caio Koch-Weser (ehemals Staatssekretär im Bundesministerium der Finanzen – BMF), Luc Frieden (ehemals Finanzminister in Luxemburg) und Ernst Uhrlau (ehemals Verfassungsschutzbeamter, Abteilungsleiter im Bundeskanzleramt, Präsident des Bundesnachrichtendienstes BND) dies leisten konnten.

Das BMF hatte seinerzeit geprüft, ob der Wechsel von Koch-Weser zur Deutschen Bank zulässig war. Laut Beamtengesetz hätte das BMF die Beschäftigung, da sie im Zusammenhang mit Koch-Wesers früherer Aufgabe im Ministerium stand, untersagen müssen, wenn zu besorgen gewesen wäre, dass durch sie dienstliche Interessen beeinträchtigt werden. Koch-Weser war für die Bankenaufsicht zuständig, die auch seinen künftigen Arbeitgeber zu kontrollieren hatte. Während seiner Amtszeit wurde die umstrittene Führungsstruktur der Deutschen Bank genehmigt, obwohl das Justizministerium erhebliche rechtliche Bedenken hatte. Die Bankenaufsicht hatte der Staatsanwaltschaft Frankfurt im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens gegen den damaligen Aufsichtsratschef der Deutschen Bank, Rolf Breuer, belastende Unterlagen vorenthalten. Im Rahmen einer Hausdurchsuchung händigte die Bankenaufsicht das gewünschte Papier schließlich doch aus. Außerdem hatte der Bundesrechnungshof den Verkauf von fünf Milliarden Euro Schulden der Russischen Föderation, der im Zuständigkeitsbereich von Koch-Weser lag, heftig kritisiert.

Mit dem Deal hatte das BMF die Deutsche Bank und Goldman Sachs beauftragt – ohne zuvor ein Konkurrenzangebot einzuholen. Laut den Prüfern führte das Geschäft zu einem Schaden von 1,2 Milliarden Euro. Koch-Weser, der sich nicht zu den Vorwürfen äußern wollte, hatte damals an Eides statt beteuert, nicht er, sondern „Mitarbeiter der Arbeitsebene des Bundesfinanzministeriums“ hätten den Auftrag vergeben. Für den damaligen Frankfurter Korruptionsstaatsanwalt Wolfgang Schaupensteiner drängte sich seinerzeit der Anschein der Käuflichkeit geradezu auf. Dies könne ein Grund sein, (hätte sein müssen) die Beschäftigung zu untersagen. Ein BMF-Sprecher versicherte damals, zunächst, dass noch keine Entscheidung gefallen sei:

„Wir werden das aber nicht mit einem Federstrich abtun.“ (7)

Der Wechsel von Koch-Weser zur Deutschen Bank wurde am Ende nicht verhindert. Vom 27. Juli 2009 bis Ende 2013 war Luc Frieden in der CSV/LSAP-Koalition Minister für Finanzen in Luxemburg. Im Juli 2014 trat er aus dem Parlament zurück und wechselte in die Privatwirtschaft. Seit dem 15. September 2014 ist Frieden als Vice Chairman für die Deutsche Bank AG tätig. In dieser Funktion berät er den Vorstand und das Senior Management bei „strategischen Aspekten“ internationaler und europäischer Angelegenheiten. Seit März 2015 ist er ebenfalls Präsident der Deutschen Bank Luxemburg. Frieden war von 1998 bis 2013 Regierungsmitglied, zuletzt als Finanzminister. In den Medien betonte er seinerzeit, dass er während seiner Ministertätigkeit zu keinem Zeitpunkt mit Überwachungsaufgaben gegenüber der Deutschen Bank befasst gewesen sei und einen Interessenkonflikt ausschließe. Den (damaligen) Premierminister Bettel habe er im Vorfeld informiert. Dieser habe keine Einwände gegen Friedens Entscheidung gehabt.

Fragen über Friedens Wechsel stellte sich auch die Partei „déi gréng“. Vom politischen Standpunkt aus sei dieser Wechsel mehr als problematisch, wurde die Parteipräsidentin Sam Tanson seinerzeit in einer Mitteilung zitiert. Solch eine „Revolving door“, Drehtür zwischen Privatsektor und öffentlichem Dienst, berge das Risiko von Interessenkonflikten, da Frieden eine Rückkehr in die Politik nicht ausschließe. Er dürfe sein Insiderwissen als ehemaliges Regierungsmitglied in seiner neuen Beratertätigkeit nicht anwenden, meinte damals auch der Abgeordnete dieser Partei, Claude Adam. (8)

Die Annahme eines „Beratervertrages“ zwischen Ernst Uhrlau und der Deutschen Bank wurde seinerzeit vom damaligen Chef des Bundeskanzleramtes Ronald Pofalla genehmigt, der selbst schon mit der Vorbereitung seines Wechsels zur Deutschen Bahn beschäftigt gewesen sein dürfte, um dort als eine besondere Art von „Oberschaffner“ seine Bezüge drastisch zu steigern.

Selbst diese brillante Riege von hoffnungsvollen (damals) neuen Mitarbeitern hat mit ihrem geballten Sachverstand nichts daran geändert (bzw. verhindert), dass die Deutsche Bank in einer Abwicklungseinheit noch 27 Milliarden Euro an Vermögenswerten verwalten muss. Ihr guter (und sicher auch teurer) Rat hat nichts daran geändert, dass ihr Arbeit- und Geldgeber seit 2012 wegen laufender Rechtsstreitigkeiten ca. 12,7 Milliarden Euro aufwenden musste, übrigens gut eine Milliarde mehr, als die Aktionäre in diesem Zeitraum der Bank an neuem Kapital anvertraut haben. Diese Ratgeber konnten ihrem Dienstherrn auch nicht ersparen, dass weitere 5,5 Milliarden Euro für Rechtsrisiken zurückgestellt werden mussten. Selbst solche qualifizierten Mitarbeiter konnten keine Angaben darüber machen, wie es mit einer eventuellen Risikoabsicherung weitergehen wird und ob eine Kapitalerhöhung unausweichlich ist. Davon gingen Mitte Februar 2016 übrigens schon viele Analysten aus. Zahlreiche Anleger waren damals schon ausgestiegen. Leider hat man diese mehr oder minder großartigen und sachkundigen Berater recht spät berufen. Sie konnten aber vermutlich nicht nur deshalb nicht verhindern, dass die Deutsche Bank in den 1990er Jahren ihre Strategie ganz auf globale Geschäfte mit Devisen und Wertpapieren aller Art gestützt hat. Seinerzeit mussten sie ihre wertvolle Expertise teilweise ja noch den Regierungen ihrer Heimatländer zur Verfügung stellen. Diese Sachverständigen konnten später leider auch nicht verhindern, dass die globalen Geldströme seit der Finanzkrise ins Stocken gekommen sind und der Handel wegen aufsichtsrechtlicher Maßnahmen immer teurer wurde.

Der frühere Aufsichtsrat und jetzige Co- Vorstandsvorsitzende John Cryan hat mittlerweile immerhin entdeckt, dass die Bank zu teure Rechtsstreitigkeiten führt, über lausige IT-Systeme verfügt, zu wenig ertragsstarke Geschäfte macht, zu langsam und zu bürokratisch ist, zu hohe Boni zahlt und in nächster Zeit keine Dividende ausschütten kann. Am Montag, dem 8. Februar 2016 hat dieser hoffnungsvolle Bankmanager zusammen mit seinem Finanzvorstand Marcus Schenk dennoch herausgefunden, dass die Deutsche Bank in der Lage sei, die Zinsen für hochriskante Anleihen zu zahlen. Ein Bankkollege, der großen Wert auf seine Anonymität legte, behauptete seinerzeit, dass solch eine Erklärung das Peinlichste sei, was einer Bank passieren könne. Aber es geht noch peinlicher: Der deutsche Finanzminister Schäuble sah sich wenige Tage zuvor bei einem Aufenthalt in Paris zu der Äußerung veranlasst, dass die Deutsche Bank sein Vertrauen genieße. Der Kurs dieser angeblich vertrauenswürdigen Bank war übrigens seit Beginn des Jahres, also ungefähr in einem Zeitraum von knapp sechs Wochen, um fast vierzig Prozent gesunken! Nach einem Verlust von 6,8 Milliarden Euro im Jahre 2015 erklärte Cryan in einem offenen Brief an seine Mitarbeiter vom 9. Februar 2016, dass der Zustand seines Geldhauses „absolut grundsolide“ sei. Der ehemalige Vorstandsvorsitzende Josef Ackermann hatte 2006 noch vollmundig verkündet, dass ihm und seinen Kollegen es kein Geschäft wert sei, den Ruf und die Glaubwürdigkeit der Deutschen Bank aufs Spiel zu setzen. Wenige Jahre später musste dieses Institut allein für Manipulationen des Libor-Zinses insgesamt fast drei Milliarden Euro Strafen zahlen und Sanktionen auf sich nehmen!

Der Vorsitzende des Aufsichtsrats der Deutschen Bank, der Österreicher Paul Achleitner, gilt fast überall als beliebt. Das ist ein Pfund, mit dem man wuchern kann. Kommt ein weitverzweigtes Netzwerk hinzu, kann man irgendwann einmal mit der Beaufsichtigung der größten deutschen Bank beauftragt werden. Es sind aber mittlerweile massive Zweifel daran aufgekommen, ob Beliebtheit ein hinreichendes Qualifikationsmerkmal für diese verantwortungsvolle Aufgabe ist. Man mag darüber streiten, ob die Deutsche Bank, einst eine Ikone der deutschen Wirtschaft, jetzt nur noch Schatten ihrer selbst ist, abgestürzt an der Börse, abgehängt von Konkurrenten, verfolgt von Staatsanwälten, beargwöhnt von Kunden und immer häufiger im Stich gelassen von frustrierten Mitarbeitern. Über drei Jahre hatte sich die wachsende Wut und Enttäuschung gegen den Vorstand, vor allem gegen dessen Vorsitzenden Anshu Jain gerichtet, der nach langem Zögern Achleitners durch Cryan ersetzt wurde, während in der Folge im Herbst 2015 auch der restliche Vorstand fast komplett ausgetauscht wurde.

Von einer grundlegenden Erholung der Deutschen Bank ist aber nach wie vor nichts zu spüren. Jetzt rückt endlich – wenn auch viel zu spät – der Aufsichtsratsvorsitzende Achleitner in den Fokus. Die Eigenschaften, die vorher zu seinem Aufstieg beitrugen, werden auf einmal kritisch betrachtet. Seine Loyalität wird als fehlende Distanz gedeutet. Der „Brückenbauer“ ist nun ein Zauderer. Der geschmeidige Moderator wirkt wie ein „Schönredner“, der sich zudem zu sehr in das Tagesgeschäft einmischt, das eigentlich vom Vorstand zu besorgen ist. Immer wieder soll Entscheidungsschwäche aufgetreten sein, wenn es auf ihn etwa bei Vorstandspersonalien angekommen wäre. Der Vorstandsvorsitzende Jain hat den Aufsichtsratsvorsitzenden Achleitner angeblich im Griff gehabt. Deswegen sei er auch viel zu spät abgelöst worden..

Mit einem Wort: Es hat sich der Anschein verdichtet, dass Achleitner die Rolle als Chefaufseher über eines der komplexesten Unternehmen der Welt nicht ausfüllen konnte (kann). Die Übernahme dieser Aufgabe war aber eigentlich als Krönung seiner Laufbahn gedacht. Dabei soll er angeblich von der Überzeugung getrieben sein, dass sein persönliches Schicksal mit dem Ziel verknüpft sei, die Deutsche Bank als letzte europäische Investmentbank von Weltrang zu erhalten und zur „Anlaufstelle Nummer eins“ für europäische Konzerne zu machen. Die Realität scheint sich jedoch Tag für Tag weiter von dieser Idee zu entfernen. Das lässt sich auch mit österreichischem Charme kaum noch verdecken. Konkrete Fragen und Vorwürfe umschifft Achleitner, indem er sich in die Rolle des Welterklärers flüchtet. Er versucht zu erklären, dass alle europäischen Regulierungen darauf ausgerichtet seien, die Banken zu schrumpfen. Deshalb könnten sie weniger Kredite vergeben. Unternehmen seien deshalb darauf angewiesen, sich über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Niemand in Europa könne die so entstandene Lücke so kompetent füllen wie die Deutsche Bank, scheint Achleitner allen Ernstes zu glauben. Er ist in die Idee von der globalen Investmentbank offensichtlich immer noch verbissen, ungeachtet der kursierenden Behauptung, dass selbst in der Deutschen Bank der Glaube an das Modell tief erschüttert sein soll.

Achleitner hat möglicherweise massive Wahrnehmungsstörungen mit Übergängen zur Realitätsverweigerung. Seine Ausbildung in St. Gallen und Harvard konnte dies anscheinend genauso wenig verhindern wie seine Tätigkeit bei der weltgrößten Investmentbank Goldman Sachs, die er 1988 aufgenommen hatte und seine 1994 begonnene Arbeit beim Aufbau des Deutschlandgeschäfts (Fusionen, Übernahmen, Börsengänge). Zu seinen mehr oder minder großartigen Leistungen gehörten die Beratung der Treuhand bei der Privatisierung von DDR-Betrieben, die Einführung der Telekom an die Börse und der Zusammenschluss von Daimler mit Chrysler.

Achleitner betonte zwar immer wieder, dass er sich als „Erfüllungsgehilfe“ der Kunden sehe. Die waren aber nicht alle von seinem Wirken begeistert, denkt man etwa an das legendäre Scheitern der „Hochzeit im Himmel“ als welche die Fusion zwischen Daimler und Chrysler von einem anderen großartigen, allerdings deutschen Manager, Jürgen Schrempp, bezeichnet wurde. Nach Jahren des erfolgreichen Verkaufs von Lastkraftwagen in Südafrika hatte er sich seinerzeit für den Job des Daimler-Chefs qualifiziert.. Der Erfüllungsgehilfe Achleitner blieb von diesem Debakel aber unberührt. Nachdem die Partnerschaft Goldman Sachs 1999 an die Börse gegangen war, verabschiedete er sich mit einem Aktienpaket, das 100 Millionen DM wert gewesen sein soll. Eigentlich sahen fast alle skandalösen Misserfolge bei Achleitner wie Erfolge aus. Das trifft auch für die Einfädelung der Übernahme der Dresdner Bank zu, an der er als Finanzvorstand des Käufers (Allianz Konzern) beteiligt war.

Dieser begnadete Manager schaffte es gerade noch rechtzeitig, die Dresdner Bank vor der Lehman-Pleite abzustoßen und erschien auf einmal als strahlender Sieger, dem es gelungen war, Schlimmes abzuwenden. Niemand hat bis jetzt behaupte, dass die Erfolge Achleitners darauf beruhten, dass er ein Finanzgenie gewesen wäre. Aber er konnte anscheinend moderieren, überzeugen und festgefahrene Verhandlungen mit seiner Argumentationsweise wieder drehen. Dabei dürfte er jedoch kaum ein einziges Verhandlungsproblem gelöst haben, sondern „nur“ die Stimmung so gedreht haben, dass überhaupt ein Vertrag zustande kam. Achleitner gilt als „geborener Verkäufer von Visionen“. Auch und gerade als solcher braucht er natürlich „Mechaniker“, die sich um die technischen Einzelheiten kümmern, wie das gegenwärtig John Cryan als Vorstandsvorsitzender tut.

Die im Unterschied zu Jain trotz (wegen) der schicksalhaften Verknüpfung größere Distanz zwischen den beiden, wird angesichts eines Berichts, den die britische Finanzaufsicht (FCA) im Frühjahr 2015 verfasst hatte, demnächst aber vielleicht noch größer. Der Deutschen Bank wird vorgeworfen, im September 2013 einen vorläufigen Prüfbericht der deutschen Aufsicht BaFin nicht an die FCA herausgegeben zu haben. Die Deutsche Bank behauptete, die BaFin hätte dies untersagt. Genau dies bestreitet die BaFin jedoch. Wegen der mangelnden Kooperation der Deutschen Bank erhöhte die FCA die Strafe um 100 Millionen auf 227 Millionen Pfund. In den Dokumenten sollen einige Personen verschlüsselt erwähnt sein, allerdings ohne beschuldigt zu werden. Darunter soll sich auch der Name Paul Achleitners befunden haben. Strittig ist intern daher immer noch die Frage, wer vor allem verantwortlich war: Achleitner, der zuständige Vorstand, andere Mitarbeiter oder die BaFin, weil sie womöglich gegenüber Achleitner oder anderen Mitarbeitern den Eindruck vermittelt hatte, die Bank dürfe den vorläufigen Bericht nicht weiterleiten.

Ungeachtet der Tatsache, dass bisher noch keinen persönlichen Vorwürfe gegen Achleitner erhoben wurden, sieht dieser angeblich seine „Integrität“ infrage gestellt. Immerhin wurde Achleitner in der Libor-Affäre von der BaFin doch persönlich im August 2013 in einem drastisch formulierten Brief angegriffen, in dem man ihm vorwarf er habe ein Gutachten in Auftrag gegeben, das nur den Zweck gehabt hätte, „zu bestätigen, dass das Senior Management in die mutmaßlichen Manipulationen nicht involviert war und auch keine Kenntnis darüber hatte“.

Gleichwohl habe Achleitner aus dem Gutachten „weitreichende Schlussfolgerungen“ gezogen. Umso bemerkenswerter ist es, dass der neue Vorstandschef Cryan Anfang 2016 bestätigt hat, dass er rechtlich verpflichtet sei zu prüfen, ob ein Aufsichtsratsmitglied (Achleitner) wegen der unnötig erhöhten FCA-Strafe in Regress zu nehmen sei. Bei einem positiven Ergebnis ginge es womöglich zum ersten Mal um den Kopf von Achleitner. (9)

 

Organisierte Kriminalität

Die Deutsche Bank stand zunächst im Verdacht, in Russland und in Zusammenarbeit mit Filialen in London an Geldwäschehandlungen im Umfang von 6 Milliarden Dollar beteiligt zu sein. Innerhalb kurzer Zeit machten aber Meldungen die Runde, wonach es sich schon um 10 Milliarden Dollar handeln soll. Mitarbeiter in der Filiale der Deutschen Bank in Moskau sollen im Zusammenwirken mit ihren Kolleginnen und Kollegen in London für russische und andere Kunden Schwarzgeld gewaschen haben. Die Angelegenheit könnte deshalb besonders unangenehm für die Deutsche Bank werden, weil sich auch das amerikanische Finanzministerium und die zuständige Finanzbehörde von New York eingeschaltet haben, geht es dabei doch auch um den Umgang mit der US-Währung.

Diese Behörden interessieren sich daher auch für die dubiosen Geschäfte, in die angeblich auch Vertraute des derzeitigen russischen Staatspräsidenten Wladimir Putin verwickelt sind. Schon im Oktober 2015 hatte Cryan eingeräumt, dass ihm das Geschäftsgebaren seiner Mitarbeiter in Moskau große Sorgen bereite. Man hat bereits einen erheblichen Teil der Rückstellungen dafür reserviert, ohne zu wissen, ob dies ausreichen wird. Immerhin hat Cryan seinerzeit enthüllt, dass sein Institut an dieser Stelle „verwundbar“ sei.

Gegen einzelne Mitarbeiter sind bereits disziplinarische Maßnahmen eingeleitet worden. Manche wurden schon suspendiert. Man wird u. a. zu untersuchen haben, ob Kunden der Bank über Spiegelgeschäfte („Mirror Trades“) Rubel in Moskau gekauft und gleichzeitig in London gegen Dollar für Geldwäschezwecke verkauft haben.

Bemerkenswert dürften auch Ermittlungen von US-Behörden zur Frage sein, ob die Deutsche Bank gegen Auflagen verstoßen hat, die Teil des Sanktionsregimes gegen Russland wegen des Ukraine- Konflikts sind. Auch dabei geht es eventuell um Geschäfte mit Vertrauten des russischen Präsidenten, dessen Umfeld seit der Krimkrise teilweise mit Strafmaßnahmen belegt ist. In diesem Umfeld ist die Deutsche Bank großen Risiken ausgesetzt. In Finanzkreisen wird nicht mehr ausgeschlossen, dass insoweit Strafen anfallen könnten, die in ihren Dimensionen den Sanktionen wegen der Libor- Manipulationen nahekommen könnten (fast drei Milliarden Euro). (10)

Das ist aber nicht der einzige Komplex, in dem es um den Verdacht der Geldwäsche geht, die bekanntlich das „Herzstück“ der Organisierten Kriminalität ist!

Ende Februar 2016 hat die deutsche Bankaufsicht Bafin mitgeteilt, dass sie ihre mehrere Jahre andauernden Untersuchungen und Sonderprüfungen zu den Manipulationen des Libor-Zinssatzes und bestimmten Edelmetallgeschäften abgeschlossen habe. Dieses organisierte kriminelle Verhalten stellt einen der teuersten „Skandale“ der Deutschen Bank dar. Es war auch mitursächlich für den Abschied des Ex-Co-Vorstandsvorsitzenden Anshu Jain im Sommer 2015. Nun hält die Bafin aber weitergehende Maßnahmen gegen die Bank oder einzelne frühere und gegenwärtige Mitglieder des Vorstands nicht mehr für nötig, da die Deutsche Bank bereits wichtige Dinge verändert und verbessert habe und weitere Maßnahmen plane. In der Tat war auf Veranlassung des Aufsichtsrats der Vorstand umgebaut worden. Im Zuge der Bafin-Ermittlungen hat man belastete leitende Angestellte und Vorstände ausgetauscht. Es erfolgte eine neue Aufgabenverteilung im Vorstand und eine Erweiterung dieses Gremiums von acht auf zehn Mitglieder sowie eine Verankerung aller Geschäftsbereiche im Vorstand.

Die Untersuchungen der Geldwäscheverdachtsgründe dürften jedoch wohl erst zum Ende des Jahres 2016 abgeschlossen sein. Das liegt auch daran, dass die Ermittler in Russland im kriminellen Milieu recherchieren müssen. Es gibt sogar Befürchtungen, dass die zu erwartenden Sanktionen ein ähnlich hohes Niveau wie bei den Zinsmanipulationen erreichen könnten. Einige Investoren erwarten sogar, dass die Deutsche Bank in diesem Zusammenhang zu einer weiteren Kapitalerhöhung gezwungen sein könnte, sollten die Strafen wegen Russland noch höher ausfallen als erwartet. Diese Aussichten gelten manchen als ein Grund dafür, dass der Aktienkurs zuletzt so stark gefallen war. Wie schon angedeutet ist die Beteiligung amerikanischer Behörden an den Untersuchungen ein besonderer Grund zur Sorge, sind ihre Geldstrafen doch besonders berüchtigt. (11)

Andere Baustellen bleiben auch erst einmal geöffnet: Am 15. Februar 2016 hat vor einer Großen Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main ein Strafverfahren gegen sieben frühere Kundenbetreuer und Händler der Deutschen Bank begonnen. Ihnen wird die Mitwirkung an einem organisierten Steuerbetrug von Bankkunden vorgeworfen. Eine kriminelle Bande soll im In- und Ausland ca. 220 Millionen Euro vor dem Zugriff des deutschen Fiskus entzogen haben, indem sie Emissionszertifikate wie in einem Karussell von Deutschland in andere Länder und dann wieder zurück verkaufte. Die dazwischengeschalteten Scheinfirmen führten die an sich fällige Umsatzsteuer nicht ab. Die Zertifikatehändler ließen sie sich dennoch vom Finanzamt als Vorsteuer „erstatten“. Zehn der beteiligten Geschäftsleute sind bereits in anderen Strafverfahren zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Weitere Beschuldigte befinden sich in Untersuchungshaft. Es geht insgesamt um eine Beute in Höhe von ca. 800 Millionen Euro. Schon bei diesen Verfahren war deutlich geworden, dass in der Deutschen Bank einiges nicht in Ordnung ist.

Bei den Strafverfolgungsbehörden ist der Eindruck entstanden, dass einige der Banker mindestens in den Jahren 2009 und 2010 beide Augen zudrückten, um an den Geschäften mitzuverdienen. Ein Abteilungsleiter soll sogar den Handel mit CO2-Papieren gefördert und Verdachtsmomente gegenüber internen Kontrollgremien vertuscht haben. Zwei Geschäftskundenbetreuer, einer ihrer Vorgesetzten, eine Rohstoffhändlerin und ihr Chef, ferner ein Mitarbeiter der Steuerabteilung sowie ein Wertpapierhändler, der als Bindeglied zwischen den Handelsabteilungen in Frankfurt und London diente, sollen sich der „bandenmäßigen schweren Steuerhinterziehung“ schuldig gemacht haben, alles Vorwürfe, die in einer 865 Seiten starken Anklageschrift zusammengefasst wurden.

Das ist keineswegs alles. Es laufen weitere Ermittlungen gegen andere Mitarbeiter, darunter der (noch) Ko- Vorstandsvorsitzende Jürgen Fitschen und Ex-Finanzvorstand Stefan Krause, die die Steuererklärung unterzeichnet hatten, mit denen das Kreditinstitut zunächst die Vorsteuer geltend machte.

Die Deutsche Bank hat das Geld zwar vor geraumer Zeit zurücküberwiesen. Die Bankenaufsicht (Bafin) wird den Ausgang des Verfahrens allerdings aufmerksam verfolgen, hat sie doch schon festgestellt, dass Mitarbeiter der Deutschen Bank gegen das Geldwäschegesetz verstoßen haben. Verdachtsanzeigen gegen betrügerische Handelspartner sollen danach unterdrückt oder zu spät abgegeben worden sein. Dies könnte auch für die Vorstände Folgen haben, wenn sie insoweit gegen Aufsichts- und Organisationspflichten verstoßen haben. Genau dies hatte die Bafin ihnen im Zusammenhang mit den Libor-Zins-Manipulationen schon vorgeworfen, ein Vorwurf, der auch zum Rücktritt des früheren Vorstandsvorsitzenden Jain beitrug. Interne E-Mail-Kommunikation in der Deutschen Bank belegt, dass Jain und andere Vorstandsmitglieder schon Ende 2009 über die Betrugsrisiken im Handel mit Emissionszertifikaten informiert waren. Dennoch liefen die Geschäfte über Monate ungestört weiter.

Gleichwohl sieht die Generalstaatsanwaltschaft bis heute keinen Anlass für die Eröffnung von Ermittlungsverfahren gegen Vorstände. (12) Wie auch immer: Der CO2-Skandal hatte schon im Dezember 2012 für Aufsehen gesorgt, weil 500 Ermittler die Hauptniederlassung der Deutschen Bank in Frankfurt durchsuchten, für den damaligen Ko- Vorstandsvorsitzenden Fitschen Anlass genug, sich beim Ministerpräsidenten des Landes Hessen fernmündlich zu beschweren. Der geschilderte Betrugskomplex ist übrigens wie viele andere fragwürdige Vorgänge dem Investmentbankingbereich zuordnen, der bis Juni 2012 von Jain geleitet wurde.

 

Kulturwandel

Unter der Führung der damaligen Oberbanker Jain und Fitschen war ein „Kulturwandel“ ausgerufen worden. Die Mitarbeiter sollten in überteuerten Seminaren, die der Verbreitung von Banalitäten dienten, lernen, dass Integrität und Kundenorientierung in ihrem Alltagsgeschäft von Bedeutung sind und dass das Vertrauen ihrer Kunden die wichtigste „Währung“ ist. Diese Pädagogik für Erwachsene mutet grenzdebil an. Es war und blieb trotz dieser Albernheiten für jedermann voraussehbar, dass die Investmentbanker in London und New York und in anderen Städten früher oder später Lachanfälle erleiden mussten, da für sie natürlich die Höhe ihrer eigenen Erfolgsprämien immer wichtiger war als das Interesse der Bankkunden. Offensichtlich hat keiner der Vorstände die ihnen obliegenden Aufsichtspflichten erfüllt, vom „Aufsichtsrat“ gar nicht erst zu reden.

Ende Juli 2012, nur zwei Monate nach seinem Amtsantritt, hat der anscheinend völlig überforderte Aufsichtsratsvorsitzende Paul Achleitner doch schon tatsächlich behauptet, dass kein amtierendes oder früheres Mitglied des Vorstandes auf irgendeine unangemessene Weise in die untersuchten Vorgänge um Referenzzinssätze verwickelt war. Das ist eine erstaunlich schnelle, jedoch falsche Aussage, wenn man sich die Ergebnisse anschaut, die die Bankenaufsicht nach über dreijährigen Untersuchungen zu Tage förderte. Jetzt liegt es an dem Vorstandsvorsitzenden Cryan, Haftungsansprüche gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden Achleitner zu prüfen. Mehr als drei Jahre sind ungenutzt verstrichen. Das ist allerdings nicht allzu verwunderlich, hatte man der Deutschen Bank in Gestalt von Jain doch einen Vorstandsvorsitzenden zugemutet, der für die Investmentbankinggeschäfte verantwortlich war. Deren Führung war in Teilbereichen zeitweise von den Gewohnheiten organisierter Krimineller nicht ohne weiteres zu unterscheiden.

Natürlich befand sich Jain zudem in einem Interessenkonflikt, der mit dem Satz „den Bock zum Gärtner machen“ nur sehr unzureichend beschrieben ist. Zu den Ergebnissen der Geschäftspolitik der Verantwortlichen der Deutschen Bank in den letzten Jahren gehört nun im Jahre 2016, dass es in den kommenden zwei Jahren keine Dividende für die Aktionäre geben wird, erstmals in der gesamten Nachkriegsgeschichte. Es mag zwar sein, dass die sprichwörtlichen Ratten zum Beginn des Jahres 2016 noch nicht begannen, das sinkende Schiff zu verlassen. Immerhin berichteten zu jener Zeit britische Banken aber darüber, dass sie immer mehr Bewerbungen von Mitarbeitern der Deutschen Bank erhalten. Deren Schmerzgrenze ist angesichts sinkender Boni wohl schon gesunken. Jetzt macht Cryan die Erfahrung, dass es auch heute nicht immer gelingt, die Botschaft vom Boten zu trennen. Ihm wird der Vorwurf gemacht, dass er die Deutsche Bank schlecht rede, weil er bestimmte kritische Punkte in der Öffentlichkeit behandelt.

Einerseits ist menschlich nachvollziehbar, dass die Motivation der Mitarbeiter unter dem Eindruck des publizistischen Dauerbeschusses leidet. Andererseits wird sich nichts zum Besseren wenden, wenn man sich einer realistischen Analyse verweigert. Dabei ist allerdings auch eine gewisse Fairness vonnöten. Das extreme Auf und Ab des Kurses der Aktien der Deutschen Bank insbesondere zum Beginn des Jahres 2016 reflektiert nicht ausschließlich das Versagen der Geschäftsführung. Alle anderen Banken in Europa waren davon auch betroffen. Das größte deutsche Geldinstitut schien jedoch besonders zum Getriebenen der Märkte geworden zu sein. Schuld daran waren kleine spezialisierte Hedgefonds, die selbst große Banken mit ihren Spekulationen vor sich hertreiben. Sie haben gerade bei der Deutschen Bank in großem Stil auf fallende Kurse gewettet. So kam es im 1. Quartal 2016 innerhalb weniger Tage zu einer Vernichtung von etwa drei Milliarden Euro an Marktkapitalisierung alleine bei der Deutschen Bank.

Zu den Profiteuren gehören häufig ehemalige Banker, die sich von den großen Investmentbanken getrennt haben und nun selbstständig auf dem weniger streng regulierten Markt aktiv werden. In der ersten Hälfte des Februar 2016 waren in ein paar Tagen vier Mal mehr Aktien der Deutschen Bank leer verkauft worden als zu Zeiten ohne Kursturbulenzen. Das Prinzip ist ganz einfach: Investoren profitieren von fallenden Kursen, indem sie sich die Aktien zum aktuellen Marktpreis leihen und diese geliehenen Aktien zum aktuellen Kurs verkaufen. Sodann wetten sie auf einen Kurssturz, um die Aktien günstig nachzukaufen und an den ursprünglichen Besitzer zurückzugeben. Die entsprechenden Fonds wollen so einfach nur schnell viel Geld verdienen. Sie setzen zunächst mit kleinen Positionen auf den Kursverfall einzelner Unternehmen. Der Abwärtstrend verstärkt sich, wenn weitere Spieler darauf anspringen. Dann bauen die Hedgefonds ihre Positionen weiter aus, so dass der Kurs immer weiter einbricht. Auf diese Weise können Leerverkäufer innerhalb weniger Stunden Millionen verdienen.

Manche behaupten allerdings, dass es kaum Spieler am Markt gibt, die einfach nur so auf fallende Kurse wetten. Dahinter stecke fast immer eine Absicherungsstrategie. Im Fall der Deutschen Bank dürfte das auf Gläubiger zutreffen, die dieser Bank Wandelanleihen („Contingent Convertible Bonds – Cocos“) abgekauft hatten. Die sind allerdings riskant, weil sie als erste herangezogen werden, wenn der Kapitalpuffer des Instituts durch Verluste aufgezehrt wird. Nach dem schlechten Jahresergebnis der Deutschen Bank 2015 bekamen die Investoren anscheinend Angst, dass die Wandelanleihen Verluste tragen müssen. Sie sicherten sich deshalb ab, indem sie auf fallende Kurse wetteten oder eine Kreditversicherung („Credit Default Swap – CDS“) kauften. In der Folge kam bei anderen Marktteilnehmern Panik auf. Steigende Prämien für Kreditausfallversicherungen gelten am Markt als Alarmsignal. Wie auch immer: Unabhängig von der Motivation der Leerverkäufer wird der Aktienkurs nach unten getrieben. Auf diese negative Dynamik hatte die Deutsche Bank zunächst offensichtlich keine passende Antwort gefunden. In dieser Situation zu behaupten, dass die Bank „absolut grundsolide“ sei, wie es ihr Vorstandsvorsitzender Cryan damals tat, ist kontraproduktiv. Die Finanzmärkte interpretierten diese Aussage vielmehr als Indiz dafür, dass es schlimm um die Deutsche Bank steht.

Wirkungsvoller schien dagegen ein Bericht zu sein, wonach die Deutsche Bank eigene Anleihen zurückkaufen wolle. Dies wurde als Signal an den Markt verstanden, dass die Bank kapitalstark ist und es sich nicht lohnt, gegen sie zu spielen. Tatsächlich begannen die Anleger danach, die Aktie wieder zu kaufen. Die Leerverkäufer gerieten dadurch natürlich in die Bredouille, da sie rasch nachkaufen mussten, um die Verluste zu begrenzen. Genau das geschah auch. In der Folge stieg der Kurs am Mittwoch, dem 11. Februar 2016 auf einmal um 17 Prozent. Eine nachhaltige Lösung war damit natürlich nicht erreicht. Schon einen Tag danach nahm die Angst vor Zahlungsausfällen weiter zu. Die Aktien der Deutschen Bank fielen zeitweise wieder um knapp zehn Prozent und schlossen am Tag danach bei 13,69 Euro.

 

Beruhigungspillen

Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble fühlte sich vor dem geschilderten Hintergrund zu der Aussage veranlasst, dass es sich dabei „ein Stück weit“ um Marktübertreibungen handelte. Gefragt war er allerdings danach, ob er sich um die Stabilität des Bankensektors in der Eurozone sorge. (13) Wenn solche Amtsträger sich schon veranlasst sehen, ihr Vertrauen in Institutionen und/oder Personen öffentlich zu erklären, wirkt das keineswegs immer beruhigend. Dahinter stehen oft nur politische Opportunitätserwägungen, die jedoch nicht den Blick auf die Realität verschleiern sollten. Dazu gehören übrigens auch die Bemühungen, die Beziehungen zwischen der Deutschen Bank und der Postbank neu zu ordnen. Zukünftig will sich die Deutsche Bank (wieder) mehr auf das Investmentbanking und Geschäftskunden konzentrieren, während die „Noch-Tochter Postbank“ sich eher ihren ca. 14 Millionen Privatkunden widmen soll.

Zum Beginn des Jahres 2016 schien sich die Vorfreude über eine mögliche und beabsichtigte Neuordnung allerdings etwas einzutrüben, waren doch Nachrichten zu vernehmen, dass die Deutsche Bank für 2016 weniger als ein Drittel der Postbank-Aktien verkaufen möchte und nicht wie ursprünglich geplant die Mehrheit. Gerüchteweise wurde zunächst bekannt, dass im Frühjahr 2016 erst vielleicht ein kleineres Paket an der Börse platziert werden sollte und ein weiterer Teil später, jedenfalls solange sich das Marktumfeld nicht deutlich verbessert.

Die neueren Kursschwankungen scheinen bei Cryan ein gehöriges Maß an Pessimismus erzeugt zu haben. Er dürfte wohl einen „Mini-Börsengang“ vorziehen. Dabei war es zunächst das Ziel der von ihm zu führenden Deutschen Bank, mit dem Verkauf der Postbank die eigene Bilanz zu „bereinigen“ und kein Kapital mehr für sie zurücklegen zu müssen. Es bleibt aber vorläufig noch offen, ob das gelingen kann, wenn nicht die Mehrheit verkauft werden kann. Das ist aber sehr nötig, weil die Aufsichtsbehörden unter dem Eindruck der Finanzkrise immer höhere Kapitalreserven verlangen.

Vielleicht kann man sich eine gewisse Zeit mit dem einen oder anderen kleinen „Trick“ über Wasser halten. Bei einem „Minibörsengang“ könnte die Deutsche Bank womöglich die Verkaufsabsicht für einen weiteren Teil des Postbank-Aktienpakets in der Bilanz festschreiben. Dann müsste sie nicht mehr so viel Eigenkapital für die Postbank-Tochter vorhalten. Dessen ungeachtet bleibt die „Entkonsolidierung“ das erklärte Ziel. Anfang 2016 wog indessen die Frage viel schwerer, wer die Aktien der Postbank überhaupt zeichnen soll. Die großen Anteilseigner der Deutschen Bank sehen diese Lage natürlich nicht positiv. Die Investoren haben begreiflicherweise in der Regel kaum Interesse an den Minderheitsanteilen einer Bank, weil damit weniger Einfluss und kaum Vorteile verbunden sind. Es ist jedenfalls nicht ausgeschlossen, dass der Deutschen Bank aus dem Verkauf der Postbank weitere Verluste erwachsen. Diese „Tochter“ steht nach einer Abschreibung 2015 immerhin noch mit vier Milliarden Euro in der Bilanz. Dies liegt zwar unter dem Postbank- Eigenkapital von 6,8 Milliarden, das als eine Richtgröße für den Kaufpreis gilt.

Anfang 2016 war aber noch erkennbar, dass Investoren noch nicht einmal gewillt waren, den geringeren Betrag zu bezahlen. Zu dieser Zeit waren auch noch keine anderen Banken erkennbar, die bereit gewesen wären, die Tochter der Deutschen Bank ganz zu übernehmen. Als Erklärung wurde seinerzeit auf die niedrigen Zinsen hingewiesen, die es Instituten wie der Postbank erschweren, ausreichend Rendite im Einlagen- und Kreditwirtschaft zu erwirtschaften. In der Deutschen Bank hätte es wohl schon damals eine größere Bereitschaft gegeben, gleich mit einem größeren Anteil an die Börse zu gehen, wenn man denn auch auf ein größeres Interesse gestoßen wäre.

In dieser Lage sieht sich Cryan weiter vor sehr große Herausforderungen gestellt. Sein Kampf um die Wiedergewinnung von Vertrauen war jedenfalls im ersten Quartal 2016 nicht allzu erfolgreich. Nach einem kurzen Anstieg des Aktienkurses unter dem Eindruck seiner Amtsübernahme im Juli 2015 setzte sich der Abwärtskurs fort, so dass sich das Kursminus bis Mitte Januar 2016 auf gut 20 Prozent aufaddierte. Trotz mancher einschneidender Maßnahmen von Cryan (Austausch weiter Teile des in „Skandalen“ verstrickten Vorstandes, Abschreibung von ca. 6 Milliarden Euro bilanzieller Altlasten, Beschlüsse über die Schließung von Filialen, Rückzug aus bestimmten Ländern, Stellenstreichungen, Einsparung von Kosten etc.) scheinen viele Investoren nicht wirklich an eine Trendwende zu glauben. Sie haben erkannt, dass es etwas schwierig ist, gleichzeitig Kosten zu sparen und hohe Erträge zu erwirtschaften. Das Investmentbanking ist symptomatisch. Es war bisher der größte Ertragsbringer für die Deutsche Bank. Die aktuellen Zahlen zeigen allerdings, dass die Einnahmen im weltweiten Geschäft mit Anleihen, Aktien oder auch der Beratung bei Fusionen und Übernahmen zuletzt um 20 Prozent auf 3,5 Milliarden Dollar eingebrochen sind, während in der gesamten Branche der Rückgang nur bei acht Prozent lag.

Beide Herren, Cryan und Fitschen, haben indessen erkannt, dass sie mit ihrem Geldinstitut (noch) systemrelevant sind. Die Deutsche Bank sei nach wie vor da, um deutsche Firmenkunden weltweit zu begleiten. Deshalb sei deren Kapitalmarktexpertise unerlässlich. Nichtsdestotrotz habe man alle Hände dafür einzusetzen, dass die Rechtsstreitigkeiten, vornehmlich die Hypothekenverbriefungen in den USA und die zivilrechtlichen Verfahren vor allem im Bereich der Referenzzinssätze für Libor und Devisenkurse, beendet werden. Im Hinblick auf die Russlandgeschäfte wird dagegen betont, dass es dort um Geschäfte gegangen sei, in denen es sich vor allem um gegenläufige Käufe und Verkäufe von russischen Aktien aus London und Moskau in unterschiedlichen Währungen handelte. Der Fall habe Fragen nach der Wirksamkeit der bankeigenen Systeme und Kontrollen aufgeworfen. Trotz umfangreicher Prüfungen gebe es keine Hinweise darauf, dass man gegen Sanktionen zu Lasten Russlands verstoßen habe. Viele hätten übersehen, dass die Bank im Jahre 2015 eines ihrer besten operativen Ergebnisse erzielt hätte. Es gebe kein Strategieproblem. Das Kapitalmarktumfeld bestimme zum einen die Vermögensverwaltung und zum anderen der (viel größere) Bereich des Wertpapierhandelsgeschäfts. Die weltweiten Finanzmärkte seien zu Jahresbeginn volatil gewesen. Deshalb drohe das gewöhnlich starke erste Quartal im Jahre 2016 für die meisten Banken schlecht auszufallen. Insoweit sei die Deutsche Bank keine Ausnahme. Das heiße aber noch lange nicht, dass die Bank schlecht aufgestellt gewesen sei. Das Geschäft in Deutschland laufe dagegen grundsätzlich gut. Man leide jedoch – wie andere Banken angeblich auch – unter den negativen Zinsen auf die Einlagen bei der EZB.

Das Derivatebuch umfasse nominal fast 50 Billionen Euro, davon rund die Hälfte auf kurzfristig Terminkontrakte im Devisenhandel, die ein oder zwei Tage liefen. Die eigentlich riskanten Derivatenprodukte (Credit Default Swaps) spielten in der Bilanz der Deutschen Bank lediglich eine untergeordnete Rolle. Die Welt brauche unterdessen Derivate.

Die Risiken im Öl- und Gasgeschäft, in dem man nicht mehr so stark unterwegs sei, seien gering und auch die Sorgen wegen der Expertise bei hochverzinslichen Unternehmensanleihen seien unberechtigt, da die Deutsche Bank in diesem Bereich „kaum“ Risiken eingehe. Mit geschicktem Sparen, dem gezielten Verzicht auf Erträge und der Investition (Aktiengeschäfte und Vermögensverwaltung) soll schlussendlich mehr gespart werden als man an Umsatz verliert. Auf bestimmte Erträge soll einerseits verzichtet und andererseits der Mix verbessert werden. Insgesamt will man dort wachsen, wo stabile Erträge erwirtschaftet werden, ohne den Wertpapierhandel zu vernachlässigen. Das Investmentbanking gilt samt Handel insoweit als unverzichtbar. Bei den Privatkunden will man wieder Technologieführer sein. Mit Blick auf den Zustand der IT wird behauptet, dass diese immer gut funktioniert habe und dass dort die höchsten Sicherheitsstandards in der Branche gelten würden. Soweit eine Ineffizienz der IT aufkam, sei dies der Preis dafür gewesen, dass man zu den schnell wachsenden Wall- Street-Banken aufholen musste.

Der Bonuspool sei von 2, 7 auf 2, 4 Milliarden gekürzt worden. Berücksichtigt man die Wechselkurseffekte, so komme man auf einen Rückgang um 17 Prozent. Gleichzeitig wurde durch eine Erhöhung der Fixgehälter der Rückgang teilweise kompensiert. Die Strategie 2020 geht von einem schwierigen Marktumfeld aus. Vor diesem Hintergrund gilt das Ziel einer Rendite auf das materielle Eigenkapital von mindestens 10 Prozent als realistisch.

Zur Versicherung, dass die Bank im Hinblick auf die Zinsen für riskante Nachrangleihen („Coco-Bonds“) noch zahlen kann, wird erklärt, dass es sich dabei nicht um klassische Anleihen handele, sondern um eine besondere Form von tief nachrangigen Instrumenten, weshalb der Begriff „Coco-Bonds“ auch irreführend sei. Faktisch würde für diese aktienähnlichen Instrumente eine feste Dividende gezahlt. Diese Ausschüttungen seien indessen aus Rücklagen in der HGB-Bilanz bedienbar. Die deutsche Rechnungslegung sei Investoren in Großbritannien und den USA „so nicht geläufig.“ Die Entscheidung, keine Dividenden auf die Stammaktien zu zahlen, habe die Sorgen verstärkt. Aber diese Sorge sei unberechtigt gewesen:

„Wir können und werden die Kupons auf unsere Nachrangleihen zahlen.“

Im Übrigen seien die grundsätzlichen Zweifel an der Zahlungsfähigkeit der Deutschen Bank absurd. Die Deutsche Bank verfügte Ende 2015 über eine Liquiditätsreserve von 215 Milliarden Euro. Man sei in der Lage, den gesamten unbesicherten Anleihebestand von 107 Milliarden Euro zweimal zurückzukaufen. Die Bank verfüge über zuviel Barmittel, die viel Geld kosten, ein Umstand, den die Regulatoren so wünschten. Ursache seien die neuen Haftungsregeln, die in Deutschland mit einem neuen Gesetz umgesetzt worden seien. Bestimmte Anleihen seien von der Ratingagentur Moody’s herabgestuft worden, während andere eine bessere Bonitätsnote bekommen hätten. Damit sei zwar das Problem des Haftungskapitals gelöst, aber andere Probleme geschaffen worden. So seien viele Investoren verunsichert worden. Der Deutschen Bank sei es hingegen nicht gelungen, diese sehr technischen Aspekte klar und deutlich zu kommunizieren. (14)

 

Schlussbemerkungen

Die Deutsche Bank lag Anfang 2016 zwar immer noch auf Platz sechs der weltweit ertragsstärksten Investmentbanken. Sie hatte allerdings einmal vor, mit den ganz Großen der Wall Street mitzuhalten. Das wird jedoch immer aussichtsloser, haben doch gerade in jüngerer Zeit etliche Spitzenberater die Deutsche Bank verlassen. Sie musste bis jetzt einen größeren „brain drain“ hinnehmen als alle anderen 15 Mitbewerber im Spitzenfeld. Unterdessen war es Cryan nur deshalb gelungen im Plan zu bleiben, indem die Rückstellungen von bis zu 1,5 Milliarden Euro für die beabsichtigten Stellenstreichungen in der Bilanz des Krisenjahres 2015 untergebracht wurden. Das geschah allerdings etwas „trickreich“.

Die Deutsche Bank vermittelte ihren Arbeitnehmern ihre Ziele schriftlich. Die Verhandlungen über den Stellenabbau sollten erst beginnen, nachdem die Mitarbeiter den Eingang dieser Mitteilung ebenfalls schriftlich mitgeteilt hatten. Erst danach durfte der Betrag offiziell zurückgelegt werden. (15)

Mit diesen eher betriebswirtschaftlich orientierten fragmentarischen Hinweisen zur aktuellen Lage der Deutschen Bank ist natürlich nicht die Frage beantwortet, ob diese Bank von unfähigen Trotteln oder von gemeingefährlichen Kriminellen oder von seriösen Bankern geführt wird. Genauso wenig ist damit geklärt, ob die Deutsche Bank insgesamt eine kriminelle Vereinigung geworden ist. Fest steht aber, dass die Schadensträchtigkeit der in mehreren Geschäftsbereichen der Deutschen Bank feststellbaren Rechtsverletzungen die Beute aller weltweit bekannten Mafia-Organisationen der Welt dem Volumen nach übersteigt oder mühelos mit ihnen konkurrieren kann. Möglicherweise sind sogar schon Schutzreflexe zugunsten der diversen Erscheinungsformen der konventionellen Organisierten Kriminalität angebracht, dürften sie doch für absehbare Zeit im Konkurrenzkampf um höchstmögliche Gewinne um jeden Preis im Wettbewerb mit der Deutschen Bank und anderen Geldhäusern kaum bestehen können, nicht zuletzt deshalb, weil sich das Postulat der Unterscheidbarkeit von Beute und Gewinn angesichts der Praktiken auf deregulierten Finanzmärkten erledigt hat.

Hinter der ganzen Entwicklung steht eine Korruption systemischer Qualität, wie nicht nur die erwähnten Einzelbeispiele der Rekrutierungspraxis der Deutschen Bank andeuten. Regierungen haben erlaubt, dass das Finanzsystem und seine wichtigsten Vertreter außer Kontrolle gerieten. Wenn sie hätten scheitern müssen, wurden sie als „systemrelevant“ erklärt und auf Kosten der Steuerzahler gerettet. Finanziers und Wirtschaftsführer haben nach politisch verfügten Deregulierungen in maximaler Hemmungslosigkeit eine Bereicherungsorgie veranstaltet, wie sie die Welt noch nie zuvor gesehen hat, von den „Hoch-Zeiten“ des spanischen und britischen Kolonialismus abgesehen. (16)

Die Deutsche Bank hat ihre vermeintlichen Chancen genutzt und versucht, maximalen Nutzen aus der politisch zu verantwortenden Deregulierung der Finanzmärkte zu ziehen. Sie ist dabei Risiken eingegangen, die sich jetzt realisieren und deren Folgen für die Gesamtheit steuerzahlender Bürger in Deutschland kaum abzusehen sind. Die größte und wichtigste deutsche Bank hat aufgrund des Versagens ihres Aufsichtsrats und ihres Vorstands Vertrauen verloren. Die Deutsche Bank ist ihrer gesellschaftlichen Verantwortung nicht gerecht geworden. Mehrere ihrer Führungsgenerationen haben nicht verhindert, dass auf verschiedenen Hierarchieebenen und in unterschiedlichen Geschäftsbereichen ein gemeingefährliches und gemeinschädliches organisiertes kriminelles Verhalten an der Tagesordnung war. Die Geschäftspraxis der Deutschen Bank belegt daher u. a., dass die Einführung einer Unternehmensstrafe in Deutschland überfällig ist. (17)

Anmerkungen:

  1. So insgesamt: Markus Frühauf, Auslese der Banken, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 19. Februar 2016, S. 15.
  2. Wolfgang Hetzer, Geldputsch. Die Europäische Zentralbank kauft einen Kontinent, 2016, passim.
  3. Felix Hufeld, „Wir können vertrauen nicht einfach herbeiregulieren“, in: Süddeutsche Zeitung, 22. Februar 2016, S. 12.
  4. Stefan Kaiser, Trotz Milliardenverlust – Deutsche Bank zahlt 750 Mitarbeitern Millionengehälter
  5. So insgesamt: Mark Schieritz/Arne Storn, Auch die „Titanic“ galt als unsinkbar, in: Die Zeit 6/2016.
  6. Vgl. Meike Schreiber, Es ist ja nicht alles schlecht, in: Süddeutsche Zeitung, 3. März 2016, S. 12.
  7. Überwiegend wörtlich zitiert nach: Der Spiegel 5/2006.
  8. Tagblatt (13. Februar 2016).
  9. Insgesamt zitiert nach: Martin Hesse, Die Entzauberung des Goldjungen, in: Der Spiegel 9/2016.
  10. Vgl. dazu: Rolf Obertreis, Deutsche Bank vor nächster Milliarden-Strafe, in: Der Tagesspiegel, 23. Dezember 2015
  11. Vgl. auch: Meike Schreiber, Schlussstrich unter Zins-Affäre, in: Süddeutsche Zeitung, 26. Februar 2016, S. 12.
  12. Vgl. dazu: Klaus Ott, Schmutzige Geschäfte, in: Süddeutsche Zeitung, 18. Januar 2016, S. 12.
  13. Vgl. Andrea Rexer/Meike Schreiber, Auf der Jagd, in: Süddeutsche Zeitung, 12. Februar 2016, S. 12.
  14. John Cryan/Jürgen Fitschen, „Wir haben kein Strategieproblem“, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 14. März 2016, S. 23.
  15. Vgl. insgesamt: Andrea Rexer/Meike Schreiber, Trennung auf Raten, in: Süddeutsche Zeitung, 7. Januar 2016, S. 12.
  16. Vgl dazu: Wolfgang Hetzer, Gefahrenabwehr zwischen Geldsystem und Gangsterwirtschaft, in: Die Kriminalpolizei 4/2014, S. 4, 7.
  17. Ausführlich: Wolfgang Hetzer, Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung?, 2015, S. 200, 201.

Zum Autor

Dr. Wolfgang Hetzer war u. a. als Referatsleiter im Bundeskanzleramt für die Aufsicht über den Bundesnachrichtendienst zuständig (Organisierte Kriminalität, internationale Geldwäsche, Massenvernichtungswaffen und strategische Telekommunikationsüberwachung). Von 2002 bis 2011 war er Abteilungsleiter im Europäischen Amt für Betrugsbekämpfung in Brüssel (OLAF). Letzte Buchveröffentlichungen: „Politiker, Patrioten, Profiteure: Wer führt uns Europäer an den Abgrund?“, „Ist die Deutsche Bank eine kriminelle Vereinigung?“ – beide im Westend Verlag, Frankfurt a.M. 2015.