Matinee „Europa neu begründen“
20. Sept. 2015 im Club Voltaire mit Andrea Ypsilanti
Bericht von Herbert Stelz aus unserer Zeitschrift BIG BUSINESS CRIME (Ausgaben 04/2015).
Noch immer ist Andrea Ypsilanti eine Vollblutpolitikerin, ihr Engagement für politischen Fortschritt ist ungebrochen. Seit 16 Jahren ist sie Abgeordnete im Hessischen Landtag, ist Vorsitzende des Petitionsausschusses und dort zurzeit vor allem mit den Problemen vieler Flüchtlinge beschäftigt. Vor allem aber engagiert sie sich für Europa, hat das Griechenland-Solidaritätskomittee Frankfurt/Rhein-Main mit gegründet und ist mit der Programmwerkstatt „Institut Soziale Moderne (ISM)“ unermüdlich auf der Suche nach Ideen für den Aufbruch in eine neue Politik.
Das ISM hat sie mit dem Grünen Sven Giegold, der Linken Katja Kipping und dem verstorbenen engen Parteifreund und Energiewende-Denker Hermann Scheer gegründet. Hier treffen sich linke Sozialdemokraten, Linken- und Grünen-Politiker und unabhängige Forscher und Denker, um „crossover“ und weit möglichst jenseits von Parteigrenzen Möglichkeiten und Chancen einer neuen, basisorientierten Politik zu beschreiben. Veränderungen können danach nur noch durch eine gesellschaftliche Mehrheit entstehen, nicht mehr durch politische Institutionen wie Parteien oder Gewerkschaften etc. Nicht mehr die Politiker würden in Zukunft sagen, wie es geht, sondern es müsse ein gemeinsamer Verständigungsprozess organisiert werden.
Am 20. September war Andrea Ypsilanti Gast in der regelmäßigen Matinee von Business Crime Control e.V. und KunstGesellschaft e.V. in Frankfurt am Main. Zum ersten Mal fand die Matinee dort im Club Voltaire statt. Dessen Kneipe war nahezu voll besetzt. Über 60 Interessierte wollten hören und diskutieren, was die politische Visionärin zum Europa der Zukunft zu sagen hat.
Ein neu gedachtes Europa, sagt Ypsilanti, könne nicht mehr deutsch oder national erreicht werden, sondern müsse wahrhaft europäisch ansetzen. Ziel müsse ein solidarisches Europa sein. Für den Weg dahin sei bei vielen die Bereitschaft, überhaupt mal anzufangen, gestiegen, weil sie erkennen, dass Politik die Probleme nicht mehr löst. Die provozierende These: Die Friedensnobelpreisträgerin EU ist gescheitert. Die europäische Politik sei für viele Tote an den Grenzen und für große Not und sehr viel Elend verantwortlich. Mindestens 20.000 Flüchtlinge seien bei dem Versuch zu Tode gekommen, Europas Außengrenzen zu überwinden. Die den Problemländern Irland, Spanien, Griechenland, Portugal und Zypern aufgezwungene Austeritätspolitik habe großes Elend in diesen Ländern erzeugt, die Selbstmordrate sei deutlich gestiegen.
„Wo sind die europäischen Werte hin verkommen?“ fragt Ypsilanti. „Wo ist die Fantasie der offenen Grenzen geblieben, wo die Vorstellung von einer gemeinsamen Sozialunion, einer wahrhaft gemeinsamen Wirtschaftspolitik?“
Viele Vorstellungen seien nicht realisiert worden. Gemeinsam an der jetzigen Wirtschaftspolitik sei lediglich der Wille, „das neoliberale Projekt durchzudeklinieren“.
Dabei bestimme die Forderung nach Austerität die europäische Politik und genau diese habe Europa mittlerweile gespalten. Die Länder im Süden leiden, die im Norden profitieren enorm, auch von der Armut der anderen. Doch für dieses Ungleichgewicht habe noch niemand die Verantwortung übernommen.
Beispiel Griechenland: Die These sei richtig, dass das Land über seine Verhältnisse gelebt habe. Es seien enorme Fehler in der Vergangenheit gemacht worden. Nicht nur von denen, die das Geld genommen haben, auch die Geldgeber, die deutschen, französischen und niederländischen Banken hätten ihren Anteil an der Verschuldungsproblematik der Griechen.
Ein soziales Europa aber könne das Diktat der Austeritätspolitik nicht akzeptieren. Europa sei, übernimmt Ypsilanti ein Zitat aus der taz, „ein postdemokratisches neoliberales Kuddelmuddel nationaler und oligopolistischer Interessen“. Es sei ein Experimentierfeld neuer Regierungsformen jenseits jeder demokratischen Legitimation, „voll von Lobbyismus“, mit einer „Verschmelzung von Politik und Wirtschaft in groteskem Ausmaß“. Es herrsche eine Politik vor, in der Banken wichtiger sind als Menschen. Europa habe sich „nicht als politischer und kultureller Fortschritt sondern als barbarischer korrupter Rückfall“ realisiert.
Neben der Austeritätspolitik sei der überbordende Lobbyismus im europäischen Parlament, aber auch in den nationalen Parlamenten ein gravierendes Problem. „Wir müssen ernsthaft fragen: Wer regiert hier eigentlich noch?“ Die Hälfte der nationalen Gesetze gründen auf EU-Recht. In Brüssel gebe es 30.000 Lobbyisten, das heißt, ein Lobbyist pro Mitarbeiter der EU inklusive aller Büros. 70 Prozent davon seien für Unternehmen und Industrie tätig, nur 10 Prozent für Gewerkschaften und NGOs, 20 Prozent für lokale und regionale Behörden, die wiederum die Interessen ihrer heimischen Industrie vertreten.
Die Expertengruppe zur Finanzkrise habe zum größten Teil aus Leuten aus dem Finanzsektor bestanden, der schließlich die Krise mit ausgelöst hatte. Es sei eine EU der Lobbyisten.
So sei auch die Troika nicht gewählt, sondern eingesetzt von den Finanzministern. Und sie bestimmt z. B. in Griechenland die Politik. Sie brauche sich noch nicht einmal mehr rückzukoppeln mit den Parlamenten. Die Abgeordneten hätten sich für die Verträge ohne ausreichende Zeit entscheiden müssen, ohne Chance zu genauer Befassung. Politik werde zudem in vielen Hinterzimmern gemacht, Beispiel CETA und TTIP.
Die aktuelle Flüchtlingsfrage ist für Ypsilanti eine zentrale europäische Herausforderung. Licht gebe es durch die vielen ehrenamtlichen Helfer, die sich bereits engagiert haben, als die Politiker noch nicht wussten was sie tun sollten. Ansonsten sei das Kapitel grausam. Die Diskussion über ein neues Asylgesetz sei verfehlt. Eine Verschärfung sei die falsche Entscheidung.
Es werde kaum mehr über die Fluchtgründe gesprochen. „Die haben was mit unserer imperialen Lebensweise zu tun“. 20 Prozent der Weltbevölkerung verbrauchen 70 Prozent der weltweiten Ressourcen. „Die anderen 80 Prozent müssen sich streiten um das, was wir übrig gelassen haben. Wir sind an den Fluchtgründen direkt beteiligt, vor allem über Rüstungsexporte, aber auch über unsere Lebensweise, unseren Luxus und Konsum. Alles auf dem Rücken der armen Länder. Unser Überfluss hat etwas mit Ausbeutung zu tun“.
Ypsilanti kritisiert das Dublin-Abkommen, nach dem Flüchtlinge nur in den Ländern Bleiberecht genießen, in denen sie erstmals anerkannt werden. Das sei ungerecht gegenüber den Staaten mit Außengrenzen. „Haben wir wirklich geglaubt, dass das in Spanien, Italien und Griechenland, die zudem unter der Austeritätspolitik leiden, gut gehen kann?“ fragt sie. Alle NGOs hätten vorausgesagt, dass der Flüchtlingsstrom anschwellen werde. „Haben wir uns das weggedacht? Wer glaubt wirklich, dass Bürokratie oder Mauern oder Stacheldraht die Menschen von der Flucht abhalten können?“ Der Flüchtlingsstrom habe auch mit den Millionen Menschen in den Lagern in Jordanien oder der Türkei zu tun. Die UN hätten es noch nicht einmal geschafft, die Mittel dafür aufzustocken. Die Lager würden nicht mehr ausreichend finanziert, „das haben wir sehenden Auges hingenommen“. Die Antwort könne nicht „Gesetzesverschärfung“ sein, auch nicht „sichere Herkunftsstaaten. Wir haben ein Grundrecht auf Asyl, das ist unantastbar.“
Zur Lösung der Probleme bräuchten wir eine andere Status-Einteilung der Flüchtlinge: „Jeder politisch oder rassistisch Verfolgte bekommt Asyl. Warum schicken wir die ganzen Bürgerkriegsflüchtlinge in Asylverfahren?“ Diese hätten eine Anerkennungsquote von über 90 Prozent, diese Verfahren könne man deutlich verkürzen. Zudem bräuchten wir ein Einwanderungsgesetz zur Regelung der Arbeitsmigration.
Auf der anderen Seite dürfe auch kein „brain drain“ veranstaltet werden, bei dem nur die gut ausgebildeten Leute bleiben dürften und „wir den Herkunftsländern die Guten wegnehmen.“
Zur Finanzierung bräuchten wir keine schwarze Null im Bundeshaushalt, sondern wir müssten das notwendige Geld jetzt ausgeben. Das sei auch eine Chance. Wir müssten massiv in die soziale Infrastruktur investieren, in Wohnungsbau, Kindergärten, Schulen, es müssten mehr Lehrer und Ärzte ausgebildet werden, der Numerus clausus müsse abgeschafft werden, auch bräuchten wir mehr Pflegepersonal. Auf diese Weise könnten wir sogar 500.000 Flüchtlinge pro Jahr integrieren. Schließlich sei die Hilfsbereitschaft sehr groß. Natürlich gebe es auch die schwarze Seite des Themas, das Anzünden von Flüchtlingsheimen. Doch gerade den Brandstiftern dürfe man nicht nachgeben durch Verschärfung des Asylgesetzes.
Europa neu begründen: Zurzeit bestehe die Gefahr, dass Europa auseinanderfalle in eine Kernzone und Randstaaten. Es gebe einen Rückfall in nationalstaatliche Diskussionen. Zu den Wahlen in Griechenland müsse gefragt werden, ob dort nach der Abstimmung wieder eine andere Politik möglich werde. Zurzeit sei die Demokratie dort komplett ausgehöhlt. Die Botschaft des Westens, die man dorthin ausgesandt habe, laute: „Ihr könnt wählen, was ihr wollt, wir machen sowieso die gleiche Politik.“
Jetzt sei eine Redemokratisierung von Europa dringend notwendig. Ein neues Europa müsse aus einem gesellschaftlichen Mitte-Links-Aufbruch entstehen. Dafür bräuchten wir dringend die Gewerkschaften, von denen sie enttäuscht sei. Diese hätten in der Diskussion über Solidarität mit Irland, Spanien etc. ihre Aufgabe nicht wahrgenommen. Es habe zwei gute Ansätze gegeben, den „europäischen Marshall-Plan“, einen Entwurf des DGB für einen Wachstumsschub in Europa, für Investitionen in den Ländern ohne wirtschaftlichen Aufschwung. „Nach einigen Wochen in der Presse ist der dann in der Versenkung verschwunden, warum eigentlich?“, empört sich Ypsilanti.
Oder es gab den Bericht „Austeritätspolitik und Menschenrechte“ von Prof. Andreas Fischer-Lescano, Bremen, einem Mitglied des ISM. Im Auftrag der Arbeiterkammer Wien und des DGB habe er festgestellt, dass viele der aufgezwungenen Verträge gegen die Menschenrechte verstoßen. Gerade für ein neues Europa bräuchten wir dringend die Macht der Gewerkschaften.
Zudem müssten die Ressourcen in Deutschland und Europa deutlich umverteilt werden. Es gebe massiven Reichtum in Europa, an Geld fehle es überhaupt nicht. Dieses sei nur komplett falsch verteilt. Auch könne uns die Ungerechtigkeit, die wir im eigenen Land produziert hätten, in der Flüchtlingsfrage wieder auf die Füße fallen. Da gebe es viele, die sich mit Recht benachteiligt sehen und sagen, jetzt kommen noch so viele andere, um die wir uns kümmern müssen.
Wir bräuchten eine Gerechtigkeitsdebatte in unserem Land und die müsse mit einer massiven Umverteilungsdebatte verbunden sein. Die Verweigerung von Steuererhöhungen sei absoluter Humbug. Ypsilanti sagt, sie sei auch entschieden gegen die Schuldenbremse, aber damit sei sie in ihrer Partei nicht mehrheitsfähig.
Das Institut Soziale Moderne habe schon vor zwei Jahren in einem Papier gefordert, dass wir eine Umverteilung in Europa brauchen. Der französische Wirtschaftsminister Emmanuel Macron habe gesagt: „Eigentlich brauchen wir eine Transferunion. Wir haben eine so grobe Ungleichheit in Europa.“
Die reichen Länder müssten Finanzströme in ärmere Länder lenken. „Das wird“, so Ypsilanti vorausahnend, „einen Aufschrei geben, aber ich glaube, dass wir über eine Transferunion nachdenken müssen.“
Der europäische Gedanke müsse wieder in den Vordergrund rücken. Vor allem Deutschland und Schäuble hätten bei der Diskussion um Griechenland eine sehr schlechte Rolle gespielt. „Wir haben ganz Europa unsere Vorstellung von Wirtschafts- und Finanzpolitik aufgedrückt. Etwas mehr Bescheidenheit, weil Deutschland auch Mitverantwortung trägt für die Armut der anderen Länder, hätte uns gut zu Gesicht gestanden.“
Zum Thema Wachstum warnt Ypsilanti, dass dieses nicht mehr das Mantra sei, das alles wieder gut macht. „Wir können nicht mehr unbeschränkt wachsen. Wenn wir den Schwellenländern Wachstum zugestehen, damit sie die Armut bekämpfen und das Gesundheitswesen aufbauen, dann können die reichen Länder nicht mehr so wachsen wie bisher. Wir müssen die Debatte führen: wie wollen wir wachsen, wo wachsen und wie können wir das organisieren.“
Eine weitere wichtige Forderung der Querdenkerin Ypsilanti ist die nach Wirtschaftsdemokratie. „Darüber müssen wir uns wieder auseinandersetzen. Wir brauchen eine kulturelle, soziale und ökologische Transformation von Politik, denn das bisherige System ist gescheitert. Wie wir leben wollen, das muss demokratisch erstritten werden.“
Diese Forderung sähen manche Länder mit großer Zurückhaltung. „Wir brauchen eine andere Art von Lebensentwurf, eine andere Art von Lebenssicherheit.“ Die Verständigung darüber sei nicht einfach, ein solcher demokratischer Prozess müsse angestoßen werden. Dabei habe sie „das Gefühl, dass die gesellschaftliche Linke ein bisschen durchhängt“, bedauert sie. „Dabei gibt’s total viele neue Ideen wie solidarische Wirtschaft, überhaupt Solidargemeinschaften, neue Bildungspolitik, die Frauen sind in die Diskussion eingestiegen, haben viel Kreativität eingebracht“.
Wir bräuchten eine neue Arbeitsteilung zwischen bezahlter und unbezahlter Arbeit, da gebe es viele gute neue Ideen, über die wir uns verständigen müssten. „Aber wir nehmen uns nicht mehr die Zeit dafür, nicht mehr die Räume dafür und teilweise sind wir auch nicht mutig genug, gerade die in den Institutionen, in den Parteien.
Wir brauchen Menschen, die aufstehen und sagen: so wollen wir das aber nicht haben.“ Sie wisse, dass es an der Basis der SPD, bei den Grünen und bei den Linken grummelt, auch in den Gewerkschaften. „Warum stehen nicht alle die Unzufriedenen“, so fragt die stets drängende Andrea Ypsilanti, „in den Institutionen auf und sagen: dann manchen wir was Gemeinsames?“
Genau diesen Ansatz hätten sie im Institut Soziale Moderne. Sie nennen das „Crossover“-Arbeit. Vertreter*innen der Parteien, der Gewerkschaften seien dabei, auch des kritischen Wissenschaftsbereichs, von denen viele an den „Mainstream-Unis“ nicht mehr arbeiten oder studieren wollen, weil sie dort eingepresst werden und ihnen anderes Denken unmöglich gemacht wird. Außerdem seien dabei Menschen aus der Zivilgesellschaft, von Transparency International, von medico, auch von Occupy. „Wir sind eine bunte Gruppe und bemühen uns, alternatives Denken einzuspeisen.“ Zum Beispiel hätten sie ein großes Papier geschrieben zur kulturell-sozialen Transformation. „Das ist nicht so einfach, die verschiedenen Teile an einen Tisch zu bringen und mit einer Sprache zu sprechen. Wir freuen uns über alle, die bei uns eintreten und uns wenigstens materiell mit ihrem Beitrag helfen, diese Diskussionen zu führen“.
Heute sei die Skepsis gegenüber den großen Institutionen sehr begründet. Das Ergebnis sehe man auch am Rückgang der Wahlbeteiligung. „Viele wenden sich ab von Politik und da brauchen wir eine Brücke“, sagt Ypsilanti, „Der Kontakt zwischen Gesellschaft und politischer Basis muss sich verbreitern, die Menschen müssen aufmüpfiger und lauter werden. Und sich verständigen.“
Geschichte eines Verrats
Einstmals stand Andrea Ypsilanti nicht nur für viele Menschen im linken Spektrum als Hoffnungsträgerin für eine neue, fortschrittliche Politik, sondern bis weit in die Mitte der Gesellschaft hinein. Seit 2003 Vorsitzende der hessischen SPD, wurde sie 2006 zur Spitzenkandidatin für die Landtagswahl im Januar 2008 gewählt.
Sie trat unter ungünstigen Voraussetzungen an. Im Landtag hielt Roland Koch mit seiner CDU die absolute Mehrheit mit 48,8 Prozent der Stimmen. Doch in einem fulminanten Wahlkampf gewann Ypsilanti 7,6 Prozent der Stimmen hinzu und marginalisierte den gewaltigen Vorsprung der CDU von einstmals fast 10 auf nur noch 0,1 Prozent.
SPD, Grüne und Linke hatten zusammen 57 Sitze, CDU und FDP nur 53. Nötig für eine Regierungsbildung waren 56. Die CDU mit Koch hatte 12 Prozent verloren, auch mit der FDP reichte es nicht mehr für eine Mehrheit.
Wichtig für die folgenden Ereignisse war, dass Ypsilanti vor der Wahl, nicht zuletzt auf Druck aus dem Berliner Parteivorstand, eine Koalition mit der Linken ausgeschlossen hatte, ebenso eine Lösung nach dem sogenannten Magdeburger Modell, eine rotgrüne Koalition unter Tolerierung durch die Linke.
Eine Ampelkoalition zwischen SPD, Grünen und FDP scheiterte an der Verweigerung durch die Liberalen. Eine Große Koalition kam wegen der erheblichen Gegensätze zwischen SPD und CDU nicht in Betracht, also stellte sich wie so oft in der Politik die Frage nach dem Bruch eines Wahlversprechens. Andrea Ypsilanti entschied sich für eine Minderheitsregierung mit den Grünen unter Tolerierung durch die Linke, das Magdeburger Modell, mit dem immerhin schon 1994 der Sozialdemokrat Reinhard Höppner in Sachsen-Anhalt Ministerpräsident einer rotgrünen Minderheitsregierung geworden war, indem er sich von den Linken mitwählen und tolerieren ließ.
Ein Sonderparteitag der hessischen SPD segnete diesen Plan mit 98 Prozent Zustimmung ab, doch die Abgeordnete Dagmar Metzger verweigerte ihm die Gefolgschaft. Das hätte zwar immer noch für die Wahl zur Ministerpräsidentin gereicht, doch einen Tag vor der Wahl meldeten sich mit Jürgen Walter, Carmen Everts und Silke Tesch drei weitere SPD-Abgeordnete mit der Ankündigung, ihre Zustimmung im Parlament zu verweigern. Angesichts dieses überraschenden Verrats verzichtete Ypsilanti auf die Wahl und trat später auch als Landes- und Fraktionsvorsitzende zurück.
Zum Autor:
Herbert Stelz ist Journalist und Publizist. Er lebt in Frankfurt am Main.
Die Tonaufzeichnung der beschriebenen Frankfurter Matinee mit Andrea Ypsilanti und Autor Herbert Stelz als Moderator können Sier hier herunter laden und nachhören.
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