Dieser Beitrag von Annette Groth und Wiebke Diehl erschien zuerst in der Zeitschrift BIG Business Crime 01/2015.

Die im letzten Herbst von den Vereinten Nationen ernannte Untersuchungskommission, die einen Bericht über den letzten Gaza-Krieg vom Sommer 2014 und seine Auswirkungen erstellen soll, ist auch damit beauftragt worden, die durch den Krieg verursachten Umweltschäden im Gazastreifen zu untersuchen. Auf Bitte der Umweltbehörde Palästinas soll das Team vor Ort die langfristigen und gefährlichen, aus dem Angriff der israelischen Armee resultierenden Umweltprobleme erkunden, welche die ohnehin seit Jahrzehnten sich verschlimmernde Umweltkatastrophe in dem Gebiet massiv verschärft haben.

Der 51 Tage andauernde Krieg gegen den Gazastreifen vom Sommer 2014 wurde mit einer zuvor noch nie dagewesenen Massivität und Brutalität geführt. Auf palästinensischer Seite haben über 2 000 Menschen ihr Leben verloren, der allergrößte Teil davon Zivilist/innen. Auf israelischer Seite starben über 70 Personen. Die israelische Armee warf während des Krieges über 20 000 Tonnen unterschiedlichster Arten von sehr gefährlichen und international verbotenen Bomben über dem Gazastreifen ab. Der Küstenstreifen ist mit seinen 365 qkm Größe und etwa 1,8 Millionen Einwohnern eines der am dichtesten besiedelten Gebiete weltweit. Über 11 000 Palästinenser/innen wurden während des Krieges verletzt, viele davon schwer, außerdem hat der Krieg etwa 110 000 Zivilist/innen zu Binnenflüchtlingen gemacht.

Acht medizinische Einrichtungen wurden durch die Angriffe völlig zerstört, viele weitere beschädigt. 17 von 32 Krankenhäusern waren in Folge der Angriffe nicht mehr funktionstüchtig, sechs mussten komplett geschlossen werden. Das einzige Kraftwerk im Gazastreifen wurde ebenfalls durch die israelische Armee zerstört. Inzwischen ist es zwar wieder funktionstüchtig, jedoch nur in sehr eingeschränktem Maße. Allein im Bereich der Landwirtschaft hat der Krieg eine so große Verwüstung hinterlassen, dass der entstandene Schaden auf etwa 550 Millionen Dollar geschätzt wird. Den Menschen mangelt es neben den Materialien für den Wiederaufbau ihrer Häuser und der Infrastruktur weiterhin an Lebensmitteln, Medikamenten und medizinischem Gerät.

Inzwischen hat der Wintereinbruch die ganze, von Krieg und Zerstörung heimgesuchte Region mit den vielen Millionen Flüchtlingen fest im Griff. Im Gazastreifen erfrieren Menschen, weil sie kein Dach über dem Kopf haben und nicht in der Lage sind, insbesondere kleine Kinder und Babys vor der Kälte zu schützen.

Der Gazastreifen leidet seit Jahren unter massiven Umweltproblemen, die durch den letzten Krieg noch einmal stark verschlimmert wurden. Insbesondere in den Bereichen Wasser-, Abwasser und Müllsystem hat die Katastrophe bereits ein solches Ausmaß angenommen, dass selbst Spezialist/innen kaum noch Lösungen finden und davor warnen, dass die Lebensgrundlage für die Menschen im Gazastreifen schon bald irreparabel zerstört ist.

Laut einem UN-Bericht („Gaza in 2020 – A liveable place?“) wird der Gazastreifen im Jahr 2020 unbewohnbar sein. Zu diesem Zeitpunkt wird sich die Bevölkerung von Gaza auf 2,1 Millionen erhöht haben, so die zugrunde gelegte Schätzung aus dem Jahr 2012, dem Erscheinungsjahr des Berichts. Seither hat sich die Bevölkerung des Gebiets tatsächlich um etwa 0,2 Millionen Menschen erhöht – dies entspricht dem zugrunde gelegten Bevölkerungswachstum von 2,9 Prozent. Sowohl die vorhandene Infrastruktur, Strom, die kommunalen Dienstleistungen wie z.B. Wasser- und Abfallbewirtschaftung und die sozialen Dienste als auch lebensnotwendige Ressourcen wie insbesondere trinkbares Wasser sind bereits heute Mangelware. Diese Krise verschärft sich ständig weiter, weil es im Gazastreifen keinerlei Möglichkeit gibt, die zur Verfügung stehende Menge an Energie, Wasser und Dienstleistungen der schnell wachsenden Bevölkerung anzupassen. Dies wird irgendwann – und wahrscheinlich schon in wenigen Jahren – dazu führen, dass Menschen im Gazastreifen nicht mehr leben können.

Diese Entwicklung vollzieht sich selbst in Zeiten, in denen keine offenen Kriege gegen das Gebiet und seine Bevölkerung geführt werden. Massiv verschärft wird die Katastrophe durch die im Jahre 2007 über den Gazastreifen verhängte Blockade. Sie schneidet das Gebiet und seine Bevölkerung vom Rest der Welt ab; sowohl der Import in das als auch der Export aus dem Gebiet sind seither – zumindest auf normalem Wege – unmöglich. Allein durch die Tunnel zwischen dem Gazastreifen und Ägypten hatte sich über die Jahre ein reger, wenn auch selbstverständlich nicht geregelter, Handel entwickelt. Aufgrund der Tatsache, dass der Schmuggel von Waren in der Illegalität und unter großen Gefahren für die Akteure stattfand, waren die Preise insbesondere für Nahrungsmittel und Medikamente immens.

Viele Schmuggler und Händler bereicherten sich auf Kosten der Bevölkerung, die sich Essen und andere lebensnotwendige Produkte kaum noch leisten konnte. Die Tunnel waren jedoch lange Zeit die einzige Verbindung zur Außenwelt, über die die Bevölkerung von Gaza – neben den Hilfsleistungen insbesondere von UNRWA, dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge, sowie von anderen Hilfsorganisationen – an Materialien und Produkte kam, mit deren Hilfe sie ihr Leben bestreiten konnte. Seit der Zerstörung eines Großteils der Tunnel durch die ägyptische Regierung und deren Militär ist auch diese Lebensader gekappt. Die Zerstörung der Tunnel sollte offiziell den Schmuggel zum Beispiel von Waffen in das Gebiet sowie das Eindringen radikaler Islamisten und Krimineller nach Ägypten unterbinden. Mit der Zerstörung der Tunnel wurde aber zugleich zumindest in Kauf genommen, dass sich auch die Hilfebedürftigkeit der Bevölkerung von Gaza in beträchtlichem Maße erhöhte.

Der isolierte Gazastreifen lebt nur noch durch Finanzierung von außen. 44 Prozent der Bevölkerung in Gaza waren bereits vor dem letzten Krieg von Ernährungsunsicherheit betroffen oder der Ernährungsunsicherheit nahe. 88 Prozent der Haushalte erhielten Hilfsleistungen und 39 Prozent der Bevölkerung lebten unterhalb der Armutsgrenze. Hauptursache für die humanitäre Katastrophe der Bevölkerung von Gaza ist, so stellt der UN-Bericht ganz eindeutig heraus, die anhaltende Blockade des Gazastreifens.

Kein Trinkwasser und die Gefahr irreparablen Schadens

Der UN-Bericht, der von einer gleichbleibenden Entwicklung ausgeht und damit die massive Verschlechterung der Lage, die durch den letzten Gaza-Krieg entstanden ist, gar nicht mit einbeziehen konnte, betont besonders den Mangel an trinkbarem Wasser und die hierdurch entstehenden Auswirkungen auf die Menschen und die Umwelt in Gaza. Der Bedarf an Wasser werde bis zum Jahre 2020 um 60 Prozent steigen – bei gleichzeitig zunehmender Verseuchung des Wassers unter anderem durch Abwässer und in der Landwirtschaft verwendetem Dünger. Bereits die Hälfte der getesteten Kinder aus dem Gazastreifen weist einen Mangel an roten Blutkörpern auf, wodurch unterschiedlichste Krankheiten hervorgerufen werden können.

Noch schlimmer: Der Bericht weist nach, dass es bereits 2016 im Gazastreifen kein trinkbares Wasser mehr geben wird. Und ab 2020 werde gar jede Möglichkeit verspielt sein, diese Entwicklung noch rückgängig zu machen. Der Schaden wäre dann also irreparabel und der Gazastreifen kein potentieller Lebensraum mehr. Bereits heute verfügen die meisten Haushalte im Gazastreifen über kein oder nicht ausreichend Trinkwasser und selbst die ausgesprochen geringen verfügbaren Mengen sind verseucht. Da im Gazastreifen Regenfall eher eine Seltenheit ist, muss zur Versorgung der Bevölkerung in erster Linie auf das Grundwasser zurückgegriffen werden. Da in Folge dessen in den letzten Jahrzehnten bereits viel zu viel Grundwasser abgepumpt wurde (oder vielmehr abgepumpt werden musste), dringt zunehmend Meerwasser in die Grundwasservorräte ein.

Durch den 51-tägigen Gaza-Krieg hat sich die Lage noch einmal deutlich verschärft: Die Wasser- und Abwasser-Systeme sind zu 70 Prozent beschädigt worden, so Dr. Amal Sarsour in einem Bericht des Gouverneurs von Gaza kurz nach dem Krieg – genau wie die Abwasserpumpstation und die Kläranlagen. Selbst die nicht beschädigten Pumpstationen fielen durch den Mangel an Gas und Strom immer wieder aus, was eine zusätzliche Verschärfung der Situation zur Folge habe. Von der teilweisen Funktionsunfähigkeit der Wasserleitungen seien 700 000 Menschen betroffen.

Auch durch die von der israelischen Armee auf den Gazastreifen abgefeuerten unterschiedlichen Arten von Bomben und anderen Geschossen wie Streubomben, DIME-Bomben (Dense Inert Metal Explosives) und Phosphorbomben sei eine neue Gefahr für die Menschen, aber auch für die Umwelt, entstanden. Die in der Munition enthaltenen Substanzen hätten sich mit der Erde vermischt – eine Entwicklung, die durch den nun im Winter fallenden Regen wohl noch einmal immens beschleunigt wird – und drohten so, das Grundwasser weiter zu vergiften. Ungereinigte Abwässer stellen eine große Gefahr ebenso für die Umwelt wie für die Gesundheit der Bevölkerung dar und tragen ihren Teil dazu bei, dass das Grundwasser immer unbrauchbarer wird.

Die von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene Menge Wasser am Tag pro Person beträgt mindestens 100 Liter. Vor dem Gaza-Krieg standen der Bevölkerung des Gazastreifens allerdings nur 60-70 Liter pro Person zur Verfügung, bedingt durch den Krieg sind es laut Dr. Amal Sarsour heute in einigen Gebieten nur noch 3 Liter pro Tag.

Verseuchtes Meerwasser

Bereits vor dem Gaza-Krieg wurden die Bewohner des Gazastreifens davor gewarnt, im Meer zu baden. Schon damals erklärte die palästinensische Umweltbehörde, dass die meist ungeklärten, ins Meer fließenden Abwässer dazu führten, dass sich gefährliche Viren, Bakterien und Parasiten im Meerwasser befänden und damit das Risiko von Krankheiten und Epidemien bestehe. Auch die Fischbestände, eine der wichtigsten Einkommensquellen im Gazastreifen, werden dadurch verseucht und stellen ein ernstes Gesundheitsrisiko für die Bevölkerung Gazas dar. Tausende Fischer/innen, die ohnehin nur sehr eingeschränkt agieren können, da sie nicht mehr als drei nautische Meilen aufs Meer fahren dürfen (damit sind 85 Prozent der Meeresgebiete, die in den Osloer Abkommen den Palästinenser/innen zugesagt worden waren, für die palästinensische Bevölkerung nicht zugänglich) und bei „Zuwiderhandlungen“ von der israelischen Armee beschossen werden, sind so quasi erwerbsunfähig und können sich und ihre Familien kaum ernähren. Parallel dazu wird den Palästinenser/innen der Zugang zu 17 Prozent des Gazastreifens verwehrt, da die israelische Regierung diese Gebiete zu „Pufferzonen“ erklärt hat. Davon betroffen sind 35 Prozent der landwirtschaftlich nutzbaren Fläche. Als die palästinensische Umweltbehörde ihre Warnung an die im Gazastreifen lebenden Menschen aussprach, waren bereits 35 – 45 Prozent des Meerwassers kontaminiert. Durch den israelischen Angriff auf den Gazastreifen hat sich dieser Wert auf 70 Prozent erhöht. Auch vor dem Gaza-Krieg konnten nur 25 Prozent des Abwassers behandelt und beispielsweise in der Landwirtschaft verwendet werden. Wegen der in Folge des letzten Krieges zum Teil schwer beschädigten Abwasser- und Klärsysteme mangelt es den Palästinenser/innen in noch höherem Maße als zuvor an Vorrichtungen, das Abwasser zu behandeln. Täglich werden nach Angaben der Umweltbehörde von Gaza bis zu 100 000 Kubikmeter unbehandeltes Wasser im Mittelmeer „entsorgt“. Die daraus resultierenden Auswirkungen werden irgendwann auch anderswo spürbar sein und sich keinesfalls auf das Meerwasser direkt vor Gaza beschränken.

Gefährliche Abfälle

Dr. Amal Sarsour geht in ihrem Bericht zudem detailliert darauf ein, dass im Gazastreifen keine effektive Abfallwirtschaft existiert und es selbst an der Bodenfläche mangelt, den Minimalstandards entsprechende Mülldeponien zu errichten. Auch hier habe sich die Situation durch den Gaza-Krieg extrem verschärft: Müllfahrzeuge seien beschädigt und der Zugang zu den vorhandenen Mülldeponien blockiert worden. Dies führe dazu, dass an 16 inoffiziellen Stellen Abfall entladen und ein Volumen von 76 000 Tonnen Müll erreicht worden sei, der bei den vorhandenen Mülldeponien abgeladen wurde. Hinzu kämen weitere 20 000 Tonnen Müll, die auf provisorischen Müllhalden angehäuft wurden.

Nicht vergessen werden darf auch die riesige Menge an zum Teil kontaminiertem Schutt und Trümmern, die durch die schrecklichen und massiven Zerstörungen im Gaza-Krieg entstanden ist. Die Menschen, die nun obdachlos sind und denen es an Materialien fehlt, ihre Häuser wieder zu errichten, werden zudem noch durch diese geschätzten 2 Millionen Tonnen Schutt, von denen niemand weiß, wie und wo sie entsorgt werden sollen, in ihrer Gesundheit bedroht. Zum Vergleich: nach dem Gaza-Krieg von 2008/2009, nach dem sich kaum einer vorstellen konnte, es könne ein noch massiverer, brutalerer und zerstörerischer Angriff folgen, waren es etwa 600 000 Tonnen Schutt.

Luftverschmutzung

Die in vielen Fällen international geächteten Bomben und anderen Geschosse, die die israelische Armee während des Krieges gegen die Bevölkerung des Gazastreifens eingesetzt hat, haben über 2000 Menschen getötet und tausende schwer verletzt. Als wäre dies nicht genug, haben diese 20 000 Tonnen schadstoffhaltiger Munition aber auch noch langfristig die Umwelt verschmutzt und den Bewohnern Gazas so ein weiteres Stück ihrer Lebensgrundlage und ihrer Zukunft geraubt. Die in den Boden eingedrungenen Schadstoffe werden wiederum vom Wind aufgewirbelt und reichern so die Luft mit giftigen Partikeln an.

Besonders die uranhaltige Munition birgt die Gefahr in sich, bei der Bevölkerung, die das Uran inhaliert, Missbildungen und Krankheiten hervorzurufen. Davon betroffene schwangere Frauen gebären in vielen Fällen Kinder mit Missbildungen oder Krebs.

Toxische Gase gelangten laut Dr. Amal Sarsour auch durch den Beschuss des einzigen Elektrizitätswerks im Gazastreifen in die Luft. Zwei Millionen Liter Diesel seien in der Folge verbrannt; riesige Rauchwolken seien in die Luft gestiegen und hätten zu zahlreichen schweren Erkrankungen der Atemwege geführt. Kombiniert mit der Tatsache, dass die Krankenhäuser und Krankenstationen im Gazastreifen nur noch eingeschränkt funktionsfähig oder gar zerstört sind, werden selbst vergleichsweise ungefährliche Krankheiten für die Menschen zu einer nicht zu bewältigenden Katastrophe und können Kindern und älteren Menschen den Tod bringen.

Viel zu wenige Ärzt/innen und Pflegepersonal sind vor Ort, um die durch die Umweltkatastrophe erkrankten oder im Krieg oft schwer verletzten Menschen zu versorgen. Hinzu kommt der Mangel an Strom: 12 bis 16 Stunden, manchmal gar bis zu 20 Stunden pro Tag bricht die Stromversorgung zusammen. Bereits vor dem Krieg vom Sommer 2014 mussten die Krankenhäuser in Gaza regelmäßig auf Notstromaggregate zurückgreifen, Operationen können häufig wegen des Mangels an Strom nicht durchgeführt werden. Eine Behandlung im Ausland ist teuer und oft unmöglich, weil den Betroffenen von den israelischen oder ägyptischen Behörden die Ausreise verweigert wird.

Die Gaza-Blockade muss endlich aufgehoben werden

Da die meisten für den Wiederaufbau genau wie für die allgemeine Instandhaltung der Infrastruktur benötigten Materialien und natürlichen Ressourcen im Gazastreifen nicht vorhanden sind, ist die dortige Bevölkerung auf Importe angewiesen. Die von der israelischen sowie der ägyptischen Regierung verhängte Blockade gegen den Gazastreifen verhindert aber in großem Stil, dass neben so lebensnotwendigen Gütern wie Nahrung, Medikamenten und medizinischem Gerät auch Treibstoff und Materialien für den Wiederaufbau, insbesondere Zement, nach Gaza gelangen können.

Die bei einer im Oktober 2014 in Kairo abgehaltenen Geberkonferenz für den Wiederaufbau des Gazastreifens zugesagten 4,3 Milliarden Euro können in Folge der Weigerung der israelischen Regierung, wenigstens ein Mindestmaß an Materialien und Produkten über die Grenzübergänge zu lassen, nicht abgerufen werden. Dass den Menschen so ihre Lebensgrundlage vorenthalten wird und sie weiterhin in den Ruinen des letzten Gaza-Krieges leben müssen, ist ein Verbrechen und verstößt gegen alle internationalen Standards.

Es ist die Pflicht der internationalen Gemeinschaft und insbesondere der Politik, die gebetsmühlenartig wiederholt, dass eine Friedenslösung im Nahen Osten gefunden werden und internationales Recht durchgesetzt werden müsse, dass sie ihren Worten endlich Taten folgen lässt und sich nachdrücklich dafür einsetzt, dass die Gaza-Blockade beendet wird. Wenn nicht sehr schnell die Bedingungen geschaffen werden, die schon fast unaufhaltsame Entwicklung in Gaza rückgängig zu machen, besteht für die Menschen in dem kleinen Küstenstreifen die ganz akute Gefahr einer langfristigen Zerstörung ihrer Lebensgrundlage. Nur wenn endlich gemeinsam dafür gestritten wird, dass wirksame Techniken in den Gazastreifen gelangen und dort auch angewandt werden können, ist eine lebenswerte Zukunft für Gaza und die dort lebenden Menschen mehr als reine Utopie.

Es kann kaum noch die Rede davon sein, dass der Gazastreifen ein bewohnbarer Ort bleiben soll – vielmehr muss er wieder dazu gemacht werden. Die im Zwei-Jahres-Rhythmus gegen Gaza und die dort lebenden Menschen geführten Kriege werfen das Gebiet jedes Mal und mit jedem Angriff in höherem Ausmaß noch weiter zurück, als dies selbst ohne die israelischen Angriffe aufgrund mangelnder Mittel und der demographischen Entwicklung ohnehin der Fall wäre. Es ist aber in sehr hohem Maße auch die völkerrechtswidrige Blockade gegen den Gazastreifen und seine Bevölkerung, die die heute vorherrschende und spätestens im Jahr 2020 unumkehrbare Katastrophe verschuldet hat.

Selbst der Deutsche Bundestag, der sich wie die deutsche Politik im Allgemeinen aufgrund der deutschen Geschichte schwertut, klare Worte zum israelisch-palästinensischen Konflikt zu finden, hat im Juni 2010 einmütig die Bundesregierung dazu aufgefordert, mit Nachdruck auf ein Ende der Gaza-Blockade hinzuwirken. Geschehen ist seitdem kaum etwas. Die Menschen in Gaza aber haben ein Recht darauf, mit der Misere, für die auch die internationale Gemeinschaft eine Mitverantwortung trägt, nicht allein gelassen zu werden. Andernfalls wird der Gazastreifen nicht einfach still weiter zugrunde gehen, sondern explodieren. Dies wäre ohne Zweifel weder der Sicherheit Israels noch der gesamten Region des Nahen Ostens zuträglich.

Die Bundesregierung und die EU müssen sich endlich dafür einsetzen, dass die Infrastruktur im Gazastreifen so schnell wie möglich repariert und modernisiert wird. Es ist absolut dringlich, die Abwässer zu reinigen und zu diesem Zweck Kläranlagen für den gesamten Gazastreifen zu bauen. Die bereits vorhandenen Kläranlagen müssen wiederhergestellt und modernisiert werden. Die internationale Gemeinschaft muss es zu ihrer obersten Priorität machen, die fortschreitende Kontaminierung des Grundwassers in Gaza und die katastrophale Vergiftung des Meerwassers zu beenden sowie die bereits entstandenen Schäden zu beheben.

Die Lebensgrundlage der Landwirt/innen und der Fischer/innen muss genau wie die der restlichen Bevölkerung des Gebiets gesichert werden. Autarke und nachhaltige regenerative Erzeugungsanlagen, Solarkollektoren und der Bau von Windkraftanlagen sind eine notwendige Voraussetzung, um eine dauerhafte Energieversorgung zu gewährleisten und so die fatale Entwicklung im Gazastreifen zu stoppen. Die völlig maroden Wasserleitungen müssen saniert werden, um so die massiven Wasserverluste zu verringern. Damit kann die Grundwasserentnahme deutlich reduziert und das Eindringen von Meerwasser gestoppt werden. Gleichzeitig muss das Abwassersystem in Gaza modernisiert, Abwasserleitungen müssen gebaut und ausgetauscht werden.

Insgesamt sollte ein ökologisches Infrastrukturprogramm für Gaza aufgelegt werden, das die Lebensgrundlage der Menschen nachhaltig sichert. Zielführend kann all dies aber nur sein, wenn gleichzeitig die israelische Regierung die gesperrten Flächen endlich freigibt, damit in diesen Bereichen eine landwirtschaftliche Nutzung für die eigenständige Sicherstellung von Nahrungsproduktion für die Menschen in Gaza entstehen kann. Langfristig wird in Teilen von Gaza die Dekontaminierung von Böden angegangen werden müssen, damit sich die gesundheitliche Situation für die Bevölkerung nachhaltig verbessert. Für die Gaza-Solidaritätsbewegung ist es deshalb wichtig, internationale Natur- und Umweltverbände einzubeziehen. Alle gemeinsam müssen sich für eine schnelle Bekämpfung der sich immer weiter zuspitzenden Umweltsituation einsetzen und ein ökologisches Sanierungsprogramm für die Erhaltung der Lebensgrundlage von mehr als 2 Millionen Menschen initiieren.

Zu den Autorinnen:

Annette Groth ist Diplomsoziologin und Mitglied des Deutschen Bundestags. Sie ist menschenrechtspolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke.

Wiebke Diehl studierte Islamwissenschaften und ist wissenschaftliche Mitarbeiterin von Annette Groth.

s. auch: Menschenrechte im Spannungsfeld wirtschaftlicher und nationaler Interessen – Aufzeichnung einer Frankfurter Matinee mit Annette Groth