Gitta Düperthal (aus: BIG 2/2017)

Die Haltung der Bundesregierung zur Rettung der Stadt Kobane in Nordsyrien vor dem IS: Keinerlei Unterstützung, aber Diskriminierung von Kämpfern für die Demokratie. Einzig die Linkspartei und einige lokale Initiativen, darunter ein Verein in Frankfurt am Main, machen sich dafür stark, in Nordsyrien die kurdischen Demokraten zu stärken. Vom einstigen öffentlichen Interesse in der Bundesrepublik, das Anfang des Jahres 2015 der Stadt Kobane galt, ist nicht mehr viel zu spüren. Zwei Jahre nach der Befreiung von der Terrormiliz des Islamischen Staates (IS) durch die kurdischen Frauen- und Volksverteidigungseinheiten YPJ und YPG interessiert sich dafür niemand mehr.

Damals hatten das Fernsehen und andere Mainstream-Medien geradezu ausdauernd über die Wichtigkeit berichtet, diese Stadt im autonomen Kurdengebiet vorm Zugriff des IS zu retten. Ob bei Anne Will in der ARD oder in den Schlagzeilen vieler Zeitungen: Es herrschte weitgehend Einigkeit darüber, das dort installierte demokratische Rätesystem als Modell friedlichen Zusammenlebens und als einen Weg aus der Krise im mittleren Osten anzusehen.

Deprimierend sei, dass all die Versprechen, diese nordsyrische Stadt im autonomen Gebiet Rojava nahe der türkischen Grenze zu fördern, unterdessen nicht gehalten wurden. So fasst Mehmet Atac, Vorstandsmitglied des Vereins „Städtefreundschaft Frankfurt-Kobane e.V.“ die problematische Situation zusammen. Der Verein strebe darum eine Partnerschaft der deutschen Finanzmetropole Frankfurt am Main mit Kobane an. Schließlich nehme die weitgehend zerstörte Stadt – derzeit noch ein Trümmerfeld im Wiederaufbau – trotz ihrer prekären Lage jede Menge Flüchtlinge aus Syrien auf und versorge sie.

200 000 Menschen leben nun dort in Kobane. Die Türkei aber schneidet die Stadt mitsamt den rund 400 umliegenden Dörfer durch ihrem Mauerbau entlang der etwa 1000 Kilometer langen Grenze zu Nordsyrien zunehmend von der Außenwelt ab. Die türkische Armee begleitet dies obendrein mit permanenten Angriffen und Grenzüberschreitungen. Trotz eines wirtschaftlichen Embargos, das jeglichen Handel lahmlegt, und aggressiven Übergriffen des türkischen Militärs, schaffe es die Stadtbevölkerung, die Flüchtlinge zu beherbergen und sie mithilfe von landwirtschaftlichen Kooperativen zu ernähren. Viele Einwohner seien trotz anhaltender Gefahrenlage zurückgekehrt, weil sie ein freies Leben führen wollen, sagt Atac. Die PYD-Regierung und die Bevölkerung der nordsyrischen Stadt setzten auf Demokratie und Frauenbeteiligung.

Kobane ist Bestandteil der demokratischen Föderation in Rojava, wo Kurden, Syrer, Turkmenen, Araber, Jesiden und Armenier in friedlicher Nachbarschaft miteinander leben. Frauen sind dort in allen Institutionen in einer Doppelspitze gleichberechtigt vertreten. Obgleich die Menschen in Kobane selber aufgrund der ökonomischen Abschottung durch die Türkei geschädigt würden, fänden Flüchtlinge solidarisch Aufnahme, wenn sie aus dem krisen- und kriegsgeschädigten Aleppo oder anderswo in jenen durch die YPJ und YPG befriedeten Teil Nordsyriens kommen. Während die EU und die Weltgemeinschaft erzpatriarchalen Systemen im Mittleren Osten und der Türkei das Geld nur so in den Rachen geworfen hätten, sei in Kobane kein Cent aus öffentlichen Mitteln gelandet, kritisiert Atac.

Die Bundesregierung kriminalisiere nun gar neuerlich die Widerstandskämpfer gegen den sogenannten IS, erklärt Ulla Jelpke, innenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke im Bundestag. Sie sieht darin „eine krude Logik, um die Symbole legaler Organisationen wie der Widerstandskämpfer gegen den IS, YPG/YPJ, der kurdischen Partei PYD und der kurdischen Studierendenorganisation YXK zu verbieten“. Seit März behauptet die Bundesregierung nämlich, diese Symbole würden von der verbotenen PKK genutzt, um auf ihre Ziele hinzuweisen. „Offensichtlich ist der Bundesregierung der Gedanke überhaupt nicht gekommen, dass die Träger solcher Fahnen sich mit den Zielen von YPG/YPJ, dem Kampf gegen den IS-Terror und dem Aufbau eines demokratischen föderalen Syriens unter gleichberechtigtem Einschluss aller Volksgruppen und Glaubensgemeinschaften identifizieren könnten“, erklärt dagegen die linke Bundestagsabgeordnete. Sie hält die Verbote von Symbolen von an sich legalen Organisationen für rechtlich nicht zulässig. Jelpke gibt sich zuversichtlich, diese Verbote „sowohl auf dem Rechtsweg als auch mit Aktionen des zivilen Ungehorsams“ erschüttern zu können.

Der im September 2016 gegründete Verein „Städtefreundschaft Frankfurt-Kobane e.V.“ basiert auf einer bereits vor einem Jahr zuvor gegründeten Initiative, die den Abschluss einer Städtepartnerschaft zwischen der Mainmetropole und der Stadt in Nordsyrien anstrebte. Der Verein ist eine der wenigen Organisationen, die bislang überhaupt etwas für die Menschen dort getan hat. Bislang konnten 50 000 Euro für ein Waisenhaus in Kobane gesammelt werden; weitere 100 000 Euro werden noch benötigt. Das Haus ist bereits bis zur zweiten Etage ausgebaut. Es soll Kindern ein Zuhause bieten, die vom Kriegserlebnissen traumatisiert sind, oder die ihre Eltern im Kampf um die Befreiung der Stadt verloren haben.

Diese Kinder hätten bereits so viel erleiden müssen, dass Unterstützung für sie selbstverständlich sein müsste, meinte Vorstandsmitglied Atac. Der Verein, der unter anderem aus Lehrern, Ärzten und auf die Behandlung von Trauma spezialisierten Pädagogen besteht, hält ständigen Kontakt zu den Menschen in der nordsyrischen Stadt. Einige Vereinsmitglieder planen, dorthin zu reisen. „Wir wollen die Partnerschaft mit Frankfurt am Main vorantreiben, damit endlich öffentliche Gelder dorthin fließen“, so Atac gegenüber BIG.

Es sei vor Ort nicht einmal genügend Schulmaterial vorhanden. Der Lehrer Abdi Qader, Lehrer und Stadtrat in Kobane, schilderte, wie Schüler teilweise ihre Hefte mit Bleistift vollschrieben, alles jedoch anschließend wieder ausradieren würden, um sie erneut zu benutzen. Der hessische Landtag habe daraufhin Unterstützung zugesichert „Wir warten mit unseren Genossinnen und Genossen dort auf die Umsetzung der Versprechen“, erklärt Atac.

Kürzlich erst seien Nachrichten an die Öffentlichkeit gelangt, dass türkische Behörden humanitäre Hilfsgüter von der Initiative „Dresden hilft Kobane“ stoppten. Sie hätten sogar gedroht, die dringend benötigten Medikamente und andere Hilfsgüter zu vernichten.

Wie ist es dann überhaupt noch zu schaffen, Baumaterial und anderes dorthin zu bringen? „Wir werden den genauen Weg nicht öffentlich beschreiben; aber unsere Hilfe kommt an“, erklärt der Vereinsvorstand. Fotos vom Rohbau des Waisenhauses beweisen dies. Der Bau komme gut voran, weil es unter anderem im benachbarten Kanton Cizire viele Fabriken gebe, die Material zulieferten. Auch in der nahe gelegenen Stadt Manbidsch – diese wurde ebenfalls durch YPJ und YPG vom IS befreit; die Bevölkerung wirtschaftet seitdem selber in Selbstverwaltung und verteidigt sich gegen Angriffe – gebe es viele Fabriken, berichtet Atac.

Deshalb sei es in der Tat besonders schlimm, wenn der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan nun in ganz offensichtlicher Heuchelei behaupte, nach Al Bab vermeintlich auch Manbidsch „befreien“ zu wollen. Denn da gibt es nichts zu befreien. Die Bevölkerung war bereits am 31. Mai vergangenen Jahres durch die demokratischen Kräfte Syriens (SDF) befreit – dieser gehörten eben auch die prokurdischen Einheiten YPJ/YPG an. Der Kampf gegen den IS und dessen Vertreibung habe 73 Tage angedauert. Zahlreiche Fotos belegten, dass die Bevölkerung ihre Befreiung gefeiert habe. Männer hatten sich ihre Bärte abrasiert, Frauen ihre Verschleierung abgelegt und die Tücher öffentlich verbrannt.

Die Bevölkerung in Kobane ist über die mangelnde Unterstützung der Weltgemeinschaft empört. Die Bewohnerinnen und Bewohner können nicht verstehen, warum sie niemand unterstützt, obwohl sie doch diejenigen waren, die mit mutigem Einsatz den weiteren Vormarsch der Islamisten verhindert hatten – und es auch weiterhin tun.

Währenddessen hatte die Türkei bekanntermaßen einen regen Grenzverkehr von Salafisten geduldet – wenn nicht gar gefördert. Die SDF aber hatten ein weiteres Erstarken letzterer gestoppt, damit auch Angriffe auf europäischen Boden verhindert. Wie aber ist die widersprüchliche Interessenlage der in Richtung der USA orientierten führenden Partei der „Nordsyrischen demokratischen Föderation“ und der von Russland unterstützten PYD, „Partei der Demokratischen Union“ einzuschätzen? Müssen sie nicht etwa geschickt zwischen beiden Lagern lavieren und aus militärstrategischen Gründen auf deren Unterstützung gegen die Türkei hoffen?

Hierzu möchte Atac nicht für den erst kürzlich gegründeten Verein sprechen. Nach seiner persönlichen Einschätzung ist die Sache klar: Die PYD kämpfe nur für das friedliche Zusammenleben der Bevölkerung dort, damit diese in Selbstverwaltung und Demokratie dort leben kann – ohne Unterdrückung von Frauen oder Minderheiten. Das sei alles, betont er nachdrücklich: „Wenn die Welt Demokratie im Mittleren Osten will, sollte sie das Modell ‚Rojava-Föderation Nordsyrien‘ unterstützen, das Einheit in Vielfalt und säkulare Demokratie garantiert“. Die SDF, vor allem die PYD und ihre Verteidigungseinheiten YPJ/YPG gehörten selbstverständlich mit an den Verhandlungstisch in Genf. Genau dies habe aber die Türkei bislang verhindert.

Spendenkonto Städtefreundschaft Frankfurt – Kobane e.V.

Frankfurter Volksbank
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Gitta Düperthal lebt und arbeitet als freie Journalistin in Frankfurt am Main.